Der bekannte Regisseur gab dem „Lubitsch“ an der Bleibtreustraße seinen Namen. Auf dem Teller ist zeitgenössisch elegant interpretierte Klassik aus dem Dreieck Wien-Berlin-Paris von Küchenchef Michael Weigt zu finden.
Ernst Lubitsch wacht über das Geschehen. Als in die Frontscheibe geätzte Silhouette mit der charakteristischen Zigarre im Mund und auf zahlreichen Fotos und Wandzeichnungen im Innenraum sowieso. Nach dem Regisseur und Schauspieler ist das Restaurant „Lubitsch“ in der Bleibtreustraße benannt. Der ab den 1920er-Jahren in Hollywood lebende gebürtige Berliner hat das vor 28 Jahren von Galerist Volker Diehl eröffnete und vor zwei Jahren von Ole Cordua übernommene Lokal selbst nie zu Gesicht bekommen. Lubitsch verstarb bereits 1947. Seine Salonkomödien mit schlagfertig-kultivierten Wortwechseln wurden Klassiker.
Der leichtfüßig-ironische, nie alles auserzählende Duktus ging als „Lubitsch Touch“ in die Filmgeschichte ein. Diese Stilistik bleibt im Berliner Restaurant auch kulinarisch gewahrt. Darüber wacht nicht zuletzt Tochter Nicola Lubitsch. Immer zur Verleihung des Ernst-Lubitsch-Preises Ende Januar, um den Geburtstag ihres Vaters herum, reist sie nach Berlin. „Dann schaut sie bei uns vorbei“, sagt Ole Cordua. Das „Lubitsch“ macht seinem Namensgeber mit Eleganz und Geschmack alle Ehre. Die Tische sind weiß eingedeckt. Spiegel, Fotos und Gemälde schmücken die Wände, lange Bänke und Holzstühle erinnern an ein Bistro. Auf dem Tresen zieht ein umfänglicher Blumenstrauß die Blicke auf sich. Das „Lubitsch“ ist ein schmaler, eleganter Salon gekreuzt mit Wohnzimmer-Atmosphäre. Die Gäste fühlen sich wohl und danken mit Treue.
Stilistisch bewegt sich „Lubitsch“-Küchenchef Michael Weigt „im Dreieck Wien-Berlin-Paris“. Kalbstafelspitz, Königsberger Klopse und gefüllte Artischocke auf der Karte markieren das deutlich. Damit sich die Gäste nicht nur an Allzeit-Favoriten wie Wiener Schnitzel oder Steak frites halten, erneuerte er behutsam die Karte. Beispiel geeistes Gurkensüppchen: Die zartgrüne, kühle Sommersuppe im Gazpacho-Style gewinnt ihre Cremigkeit durch die Zugabe von Kefir. Ein gebackenes Ziegenkäse-Röllchen als Beigabe fügt Biss und Robustheit hinzu. Gerösteter Sesam und einige Tropfen Zitronenöl sorgen für Frische und Überraschung. „Das gab es früher als Salat“, sagt Cordua. Zu brav für das 21. Jahrhundert!
Die Urtomaten dagegen werden eigentlich als Salat, aber de facto als grafisches Kunstwerk gereicht. Rote, gelbe, grüne und gestreifte, aus alten Sorten gezogene Tomaten werden mit Meersalz-Flakes aus der Nordsee und mit einem Schuss guten Olivenöls auf Glasplatten in Flechtoptik arrangiert. Bei diesem puren Vergnügen speist das Auge erfreut mit. „Es ist unsere Idee, den Geschmack in den Vordergrund zu stellen“, stapelt Cordua angesichts dieses farbig austarierten Minimalismus‘ tief. Vielleicht wäre der Quark, den wir zusammen mit Brot und Hummus zur Einstimmung gereicht bekamen, ein besseres Beispiel gewesen. Er schickt grüne Schnittlauchröllchen optisch nach vorn, doch unsichtbarer, frisch geriebener Ingwer zieht geschmacklich sofort eindrücklich nach. In diesem Starter-Set lebt Küchenchef Weigt seine Freude am Spiel mit tagesfrisch verfügbaren Produkten gleich aus.
Bei den Spinatknödeln mit Bergkäse nehmen wir den Abzweig nach Österreich. Geröstete Semmelbrösel auf dem Knödel, Nussbutter darunter, schon ist die Welt schön. Der Knödel hat überzeugende innere Werte: eine cremige Konsistenz, feine Nuancen vom würzigen Bergkäse, die das Gericht aber nicht überschreiben. Die internationale Freundin, die von sich sagt „not to be not such a big fan of the normal white Knödel“, ist begeistert. Die gute Nachricht für sie: Es handelt sich um die Bonsai-Ausgabe zum Probieren. Üblicherweise liegen drei Knödel auf dem Teller. Ein weiterer Besuch im „Lubitsch“ dürfte damit feststehen. Beim Wein bleiben wir Felix Austria treu und bekommen einen Grünen Veltliner von Huber im Traisental aus der Lage Obere Steigen eingeschenkt.
Lieblingsgerichte neu interpretiert
Der Wolfsbarsch im Fischgang schwamm zuvor nicht auf der Karte herum. Der Küchenchef nahm den Loup de Mer mit Selleriemousseline, blanchiertem grünem Spargel, Nussbutter und Spinat als Tagesangebot auf. Ein Le Jade Picpoul de Pinet ergänzt ihn im Glas. Mit seinen zitronigen und sogar leicht grasigen Akzenten schließen wir den Weißwein sofort ins Herz. Wenig überraschend, dass ich ihn noch nirgends getrunken habe: „Der größte Teil der Importe vom Picpoul de Pinet in Deutschland geht nach Charlottenburg“, weiß Ole Cordua. Er kam als Grafikdesigner, Gastgeber und Restaurantleiter unter anderem im „Borchardt“, „Manzini“, „Mani“ und „Grosz“ viel in der Stadt herum. Wir notieren: Öfters im „alten Westen“ ausgehen! Dann steigen die Chancen auf ein Glas Wein vom blumigen, aber auch sehr säurehaltigen „Weißen Lippenbeißer“, so die wörtliche Übersetzung des Rebsorten-Namens „Piquepoul Blanc“, aus der französischen Region Coteaux de Languedoc.
Mit der „Pluma de Ibérico“ im Fleischgang schweifen wir am Mittelmeer etwas weiter südwestlich. Das als „Feder“ bezeichnete Muskelstück vom Ibérico-Schwein liefert mit seinem nussigen Aroma den standhaften Gegenpart zu einem leicht angeschärften, warmen Hummus und den ersten gebratenen Pfifferlingen. Michael Weigt interpretiert es leichtfüßig zum Sommerpilz und zu den orientalischen Gewürzen. Das bringt Abwechslung auf den Teller, nicht zuletzt für die Stammgäste, die teils drei- bis viermal in der Woche ins „Lubitsch“ kommen. Weigt leitet seit einem guten halben Jahr das Küchenteam, kochte zuvor unter anderem im „Borchardt“. Die Lieblingsgerichte sollen auf der Karte bleiben, werden aber zeitgenössisch interpretiert. „Früher gab es Blutwurst im Ganzen gebraten, mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Das machen wir jetzt straighter, moderner. Und die Kartoffeln lassen wir weg.“ Nun wird die Blutwurst ausgelassen, mit Sahne-Sauerkraut im Ring und mit einem schmackigen Granatapfel-Chutney als süß-säuerlichem Extra serviert.
Ein kühles, intensives Erdbeersüppchen mit Rhabarber und Milchreisnocke ist die sommerlich-hiesige Spielart einer Kaltschale. Eine Wehlener Sonnenuhr von Dr. Loosen greift im Glas mit Aromen von Pfirsich und grünem Apfel die fruchtige Note des Tellers auf. Der blaue Schieferboden der Mosel-Steillage unter den Riesling-Reben schiebt leichte Mineralität mit ins Glas – eine perfekte Abrundung. Auf einen Andraschko-Kaffee folgt eine Besichtigung des Innenhofes. Dann folgt Dessert Nummer zwei. Eine Crème brûlée versorgt uns mit ihrer cremigen, vanilligen und karamellüberzogenen zartsüßen Superpower. Unser Dessertmagen freut sich über dieses hervorragende Schälchen klassisches Frankreich. Ein Glas vom Erdbeerbrand „Mieze Schindler“ aus der Berliner Destillerie „Fräulein Brösel“ versüßt uns schließlich den Abschied.
Das 20-köpfige Team des „Lubitsch“ musste den Frühling coronabedingt weitgehend auslassen. Aber selbst jetzt, mit den im Innenraum um die Hälfte auf 35 zusammengeschnurrten Plätzen, hat das Umfeld viel Verständnis und Wohlwollen. Abends wird zweimal für die Gäste eingedeckt. Das Ordnungsamt erlaubte erstmals in zweiter Reihe Tische auf der Terrasse vor dem Eingang. „Ein gemeinschaftlicher Ruck geht durch die Bleibtreustraße. Das ist schön“, sagt Ole Cordua.
Die großzügigste Offerte erhielt das „Lubitsch“ aus dem eigenen Haus: „Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist auf das Restaurant zugekommen und hat uns angeboten, im Innenhof in diesem Sommer ein Pop-up zu machen.“ Mehrere Tische bieten unter hohen Bäumen und blauen Sonnenschirmen Platz – ein einladender Nachbarschaftsgarten mit Bewirtung entstand. Das Lubitsch ist wieder bis Mitternacht geöffnet, Küchenschluss aber noch um 22 Uhr. „Wenn die Oper und die Philharmonie wieder öffnen, wird es wieder länger sein“, sagt Cordua. Viele Gäste schätzen ihren Wein und einen Teller nach der Kultur. Ich wage zu behaupten: Ernst Lubitsch hätte sich gewiss nach einem Kino-Besuch in „seinem“ Restaurant ebenso wohl gefühlt.