Rheuma gilt als Alterskrankheit. Aber auch junge Menschen können darunter leiden. Was das Rheuma des Kindes von dem des Erwachsenen unterscheidet, erklärt die Kinderrheumatologin Dr. Betina Rogalski.
Frau Dr. Rogalski, wie häufig tritt Rheuma in jungen Jahren auf?
„Rheuma" ist ein Überbegriff für mehrere Hundert Erkrankungen. Grob unterscheidet man gelenkrheumatische Erkrankungen – mit und ohne Augenbeteiligung – von systemisch rheumatischen Erkrankungen und von autoinflammatorischen Erkrankungen.
Bezogen auf die gelenkrheumatischen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters erkrankt etwa eines von 1.000 Kindern an einer Gelenkentzündung. Bei etwa 20 Prozent davon, also bei einem von 5.000 Kindern, kommt es zu einem chronischen Verlauf.
Wie ist das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen?
Mädchen sind bei den meisten Rheumaerkrankungen des Kindes- und Jugendalters häufiger betroffen als Jungen.
Wie ist die Versorgungssituation in Deutschland im internationalen Vergleich?
Die Versorgungssituation in Deutschland ist im internationalen Vergleich eigentlich gar nicht so schlecht. Sie ist allerdings abhängig davon, wo die Patienten leben. Nehmen wir das Saarland und Rheinland-Pfalz: An Kinderärzten mit der Zusatzqualifikation Kinder- und Jugendrheumatologie gibt es außer mir in Püttlingen nur einen niedergelassenen Kinderarzt in Trier und eine Kollegin an der Universitätskinderklinik Mainz. Die nächsten Kinderrheumatologen – von Nord nach Süd – sind in Sankt Augustin, Frankfurt, Heidelberg und Baden-Baden. In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern ist die Situation besser.
Was unterscheidet eine Kinderrheumatologin von der Rheumatologin für Erwachsene?
Kinderrheumatologen sind ausgebildete Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit der Zusatzweiterbildung und Qualifikation in Kinder- und Jugendrheumatologie.
Erwachsenenrheumatologen sind Fachärzte für Innere Medizin mit der entsprechenden Zusatzweiterbildung und Qualifikation in Rheumatologie.
Was gab bei Ihnen den Ausschlag, diese Fachrichtung einzuschlagen?
Vor vielen Jahren, während meiner Facharztausbildung, besuchte ich eine Fortbildung der Abteilung Kinder- und Jugendrheumatologie am St. Josef Stift in Sendenhorst. Ich war fasziniert von der Komplexität der Fachrichtung – und der Komplexität des erforderlichen Wissens. Ich finde, als Kinderrheumatologe ist man eine Art „Dr. House" der Kinderheilkunde.
Dr. House? Der Protagonist dieser TV-Serie kommt exotischen, rätselhaften Krankheiten auf die Schliche. Braucht man detektivischen Spürsinn, um kindliches Rheuma zu diagnostizieren?
Die differenzialdiagnostische Abklärung einer Gelenkschwellung des Kindes- und Jugendalters ist umfangreich und beinhaltet unter anderem maligne (bösartige) Erkrankungen, orthopädische Erkrankungen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, verschiedene Infektionen (zum Beispiel Borrelien, Streptokokken), Immunglobulinmangel, metabolische Erkrankungen … Erst nachdem all dies und noch einiges mehr ausgeschlossen wurde und eine Gelenkentzündung sechs Wochen und länger besteht, darf man von einer gelenkrheumatischen Erkrankung des Kindes- und Jugendalters sprechen.
Gibt es einen Unterschied zwischen dem Rheuma von Kindern und dem von Erwachsenen?
Absolut! Insbesondere die gelenkrheumatischen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters unterscheiden sich in ihrer Komplexität, in ihrem Verlauf und im Hinblick auf eine mögliche Augenbeteiligung grundsätzlich von der Rheumatoiden Arthritis oder der Spondarthritis des Erwachsenenalters.
Wie sieht diese Augenbeteiligung aus? Um welche Erkrankungen geht es da?
Bei der Augenbeteiligung der juvenilen idiopathischen Arthritis, kurz JIA, handelt es sich um eine chronische Regenbogenhautentzündung, auch chronische Iridozyklitis oder chronische Uveitis anterior genannt. Eine chronische Uveitis anterior ist von außen nicht zu erkennen. Das Auge wird nicht rot und es treten keine Schmerzen auf.
Jungen mit einer HLA-B27-assoziierten JIA haben bei einer Augenbeteiligung eine akute Regenbogenhautentzündung, akute Uveitis anterior. Diese fällt in den allermeisten Fällen durch eine Rötung der Augen auf. Auch Schmerzen in den Augen können auftreten.
Bleibt ein Kind lebenslang Rheumatiker, kann es geheilt werden oder spontan wieder genesen?
Das ist eine Frage, auf die es leider keine einfache Antwort gibt. Wir schätzen, dass etwa 50 Prozent unserer Patienten mit gelenkrheumatischen Erkrankungen ihre Erkrankung mit ins Erwachsenenalter nehmen. Aber auch selbst bei Patienten, die ohne Medikamente und „gesund" bei uns altersbedingt ausscheiden, wissen wir nicht, ob sie in ihren 20ern, 30ern oder 40ern wieder einen Krankheitsschub bekommen. Zu diesen Patienten haben wir keine Zahlen.
Bei Patienten mit systemisch-rheumatischen Erkrankungen sind häufig innere Organe, die Haut, Gelenke und Muskulatur betroffen. Dazu gehören unter anderem der juvenile systemische Lupus erythematodes, kurz jSLE, die juvenile Mischkollagenose, oder die juvenile Dermatomyositis. Es ist davon auszugehen, dass diese Patienten unter Therapie in die internistisch-rheumatologische Weiterbetreuung wechseln.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Existieren spezielle Medikamente für Kinder?
Spezielle Rheumamedikamente für Kinder gibt es nicht. Alle für Kinder und Jugendliche zugelassenen Rheumamedikamente sind auch für erwachsene Rheumatiker zugelassen, aber nicht umgekehrt. Es gibt mehr zugelassene Rheumamedikamente in der internistischen Rheumatologie, also für Erwachsene.
Die heutigen Behandlungsmöglichkeiten sind jedoch ein Quantensprung zu dem, was wir vor 20 Jahren an Medikamenten für unsere Patienten zur Verfügung hatten. Insbesondere in den letzten zehn Jahren sind mehrere neue Rheumamedikamente auch für Kinder und Jugendliche zugelassen worden.
Gibt es auch Fortschritte in der Diagnostik?
Ja. Heute wissen wir, dass die sogenannten autoinflammatorischen Erkrankungen eine eigene Gruppe rheumatischer Erkrankungen darstellen. Bei diesen Erkrankungen kann fast immer eine Genmutation diagnostiziert werden. Die korrekte Diagnosestellung wurde erst durch die Verbesserung der genetischen Diagnostik in den letzten Jahren möglich.
Wie äußern sich solche autoinflammatorischen Erkrankungen?
Die Symptome sind vielfältig, allen gemeinsam sind wiederkehrende Fieberschübe, Hautausschläge und verschiedene Formen der Organbeteiligung. Die bekannteste autoinflammatorische Erkrankung ist das familiäre Mittelmehrfieber. Die Patienten werden meistens sehr früh krank, oft schon als Säuglinge. Für einige dieser Erkrankungen gibt es heute Therapien, die es vor fünf oder sechs Jahren noch nicht gab. Die Diagnostik und die weitere Entwicklung von Therapien für diese schwierigen Erkrankungen bleiben hoch spannend.
Rheuma gilt als Alterskrankheit. Wird es deshalb bei Kindern zu selten entdeckt?
Ich denke nicht, dass Kinderrheuma heutzutage zu selten entdeckt wird. Vielleicht nicht so früh, wie wir als Kinderrheumatologen es uns wünschen würden. Aber rheumakranke Kinder werden heutzutage früher diagnostiziert als noch vor 20 Jahren.
Sind niedergelassene Kinderärzte ausreichend geschult, Rheuma zu diagnostizieren?
Ja. Die niedergelassenen Kinderärzte in Deutschland sind dazu sehr gut weitergebildet.
Bei Verdacht auf Kinderrheuma überweisen Kinderärzte die Patienten immer an uns Kinderrheumatologen zur weiteren Diagnostik und Therapie.
Welche Folgen hätte ein unbehandeltes Rheuma für das Kind?
Unbehandeltes Rheuma, egal welcher Art, führt immer zu Langzeitschäden. Rheuma muss diagnostiziert und nach deutschen Leitlinien und internationalem Standard behandelt werden, um Langzeitschäden zu verhindern.
Was weiß man über die Ursachen?
Bei rheumatischen Erkrankungen, nicht bei den autoinflammatorischen Erkrankungen, kommt es zu einer Fehlsteuerung im Immunsystem. Das Immunsystem arbeitet „falsch" und „falsch-zu-viel". Es erkennt körpereigenes Gewebe als „fremd". Warum das passiert, wissen wir nicht. Es gibt verschiedene Arbeitshypothesen, aber noch keine eindeutig gefundene Ursache.
Wie beeinträchtigt die Erkrankung das Leben der Kinder – und wie das Leben ihrer Familien?
Jede chronische Erkrankung beeinflusst das Leben der Patienten und deren Familien, unabhängig vom Alter der Patienten. Einen wichtigen Teil meiner Arbeit als Kinder- und Jugendrheumatologin ist neben der medizinischen Behandlung die psychosoziale Betreuung meiner Patienten und deren Familien.