Die Welt der angehenden Akademiker folgt ihren eigenen Gesetzen. Von der Freiheit der Forschung und Lehre ist immer weniger die Rede, es geht um Rankings, die optimale Chancenauswertung und viel Konkurrenz.
Studieren heute – das ist schon, bevor alles beginnt, ein Kampf mit einem Dschungel an Informationen: Tausend Rankings, welche Uni oder Hochschule worin am besten ist, 450 Fächer, 426 Hochschulen und Universitäten, Praxis oder Theorie, mit oder ohne Auslandssemester, große Uni mit vielen Studenten oder eher kleine, BAföG, Stipendium oder wie sich finanzieren, Termine, Fristen und Regelstudienzeiten. Der neueste Studienführer, den „Die Zeit" herausgebracht hat, umfasst 300 Seiten – vollgestopft mit jeder Menge Wissen und Tipps.
Früher hat man sich eine halbwegs interessante Stadt mit Uni ausgesucht, seine Bewerbung losgeschickt und konnte meist im nächsten Wintersemester loslegen. Wer eines mit dem Numerus clausus bewehrten Fächer belegen wollte, wandte sich an die Zentrale Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund und wurde einer Uni zugeteilt. Protest sinnlos, man nahm es hin. Genau wie die Tatsache, dass man bei einer freien Wahl in seiner Lieblingsstadt meistens nicht allein war, sondern mit 3.000 anderen Kommilitonen in einer Vorlesung saß. Aber da die Zahl der Studenten immer weiter wuchs und die Plätze knapper wurden, bewarben sich viele Studenten gleich an mehreren Unis, was zu einem enormen Verwaltungsaufwand führte. Der Versuch, immer mehr Fächer mit Zulassungsbeschränkungen zu versehen und die Bewerbungen über die ZVS steuern zu lassen, führte auch nicht weiter, weil die Klagen immer mehr zunahmen.
Das änderte sich radikal im Jahr 2008. Die ZVS verlor ihre zentrale Stellung und wurde durch eine „Stiftung für Hochschulzulassung" ersetzt, die nur noch den Zugang zu den Studiengängen für Humanmedizin, Tiermedizin, Zahnmedizin und Pharmazie koordiniert. Über die Webseite „Hochschulstart.de" können sich Interessenten für diese Fächer bewerben.
Für alles gibt es Punkte
Für die Mehrheit aber heißt es: Die Unis suchen sich ihre Studenten selbst aus. Das nennt sich dann DoSV (Dialog-orientiertes Serviceverfahren), ein Wort wie es sich nur Bürokraten ausdenken können. Gleichzeitig durchliefen die Unis den Bologna-Prozess und teilten das Studium in Bachelor und Masterkurse auf. Der Bachelor ist so etwas wie ein erweitertes Grundstudium, der Master baut darauf auf. In jedem Semester gibt es Punkte für Vorlesungen und Seminare. Bis zum Ende des vierten Semesters muss jeder Student 180 Punkte zusammenhaben. Das Studium ähnelt seitdem zumindest in der Anfangszeit einem streng geregelten Oberstufenunterricht.
Aber wie funktioniert das DoSV nun? Der Anfang war holprig – wer an der Uni wusste schon, was ein Assessmentverfahren ist oder wie man Bewerber erfolgreich testet? Das hat sich bis heute gründlich geändert. Heute gibt es nicht nur für jedes Fach kurze oder ausführliche Mustertests, mit denen der Student wie für eine Teilnahme an Günter Jauchs „Wer wird Millionär?" üben kann. Mit immer neuen Einfällen können die Unis ihre Eignungsprüfungen immer besser dem vorhandenen Angebot an Studienplätzen anpassen. Manche machen es sich bequem und geben das ganze Zulassungsverfahren an die Stiftung Hochschulzulassung, die Nachfolgerin der ZVS, die dann als Dienstleister prüft, testet und auswählt.
Aber bevor man sich mit den Prüfungen beschäftigt, sollte sich der künftige Betriebswirtschaftler, Jurist oder Ingenieur durch die Fächer-Rankings kämpfen. Das ist ein Feld, das Übung erfordert. Einfach so zum Beispiel Informatik belegen – das funktioniert eher nicht. Soll es eine Universität mit mehr theoretischem Schwerpunkt oder eine Fachhochschule mit mehr Praxisbezug sein? Unter den besten Unis nach den Kriterien Wissenschaftsbezug/Studiensituation/Unterstützung im Studium/Zahl der Studenten sind Aachen, Saarbrücken, Karlsruhe, München und Potsdam an der Spitze. München ist zu teuer, in Potsdam gibt es keine Zimmer, also versucht man es zum Beispiel in Saarbrücken. Da man aber nicht der einzige ist, der entdeckt hat, dass diese Uni sehr hoch in den Rankings steht, muss man damit rechnen, dass die entsprechende Aufnahmeprüfung gesalzen ist. Die Eignungstests berücksichtigen zwar auch die Abiturnote, sie spielt aber oft nicht die Hauptrolle. Es geht je nach Fach um den Nachweis von Englischkenntnissen, um mathematisches Verständnis, räumliches Denken, aktuelles Wissen. Ein Wirtschaftsinformatiker hat vielleicht spontan eine Selbstpräsentation zu entwerfen und vorzutragen. Künftige Architekten besuchen einen Obst- und Gemüsemarkt und bekommen die Aufgabe, einen mobilen Marktstand zu entwerfen. Ein Designstudent soll nach einer Fotovorlage ein Kleid schneidern.
Sicherlich kann man sich auch an verschiedenen Unis gleichzeitig bewerben. Da aber die Tests und die Zulassung an bestimmte Termine gebunden sind, wird es schwer bis unmöglich, diese Zeiten gleich an mehreren Unis wahrzunehmen. Das bedeutet: Du musst Dich entscheiden! Und weil die Unis ja miteinander konkurrieren, wird an Werbung und Marketing-Maßnahmen – gerade in den neuen Bundesländern, wo man Studenten gern anlocken würde – nicht gespart. „Happy Place to be!" werden die Thüringer Akademiker animiert, „Studieren mit Meerwert" heißt es in Mecklenburg-Vorpommern, und „Wirklich weiterkommen" soll der Studierende in Sachsen-Anhalt. Brandenburg wirbt mit Beratungsangeboten bis nach Hause, studienbegleitenden Hilfen bis zum Einstieg ins Berufsleben, moderner Ausstattung, internationalen Netzwerken, günstigen Preisen, verträumten Standorten und der Nähe zur Hauptstadt.
Manchmal wird es doch die Provinz
Nicht zu vergessen: Für mehr Konkurrenz hat auch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung gesorgt. Das milliardenschwere Förderprogramm wurde 2005/2006 zum ersten Mal ausgelobt, parallel zur grundlegenden Umstellung des Hochschulwesens durch den Bologna-Prozess. Es ist ab 2017/18 durch die Exzellenzstrategie abgelöst worden, deren Förderphase 2019 begann. Bund und Länder stellen für die Sieger-Unis, zehn Exzellenzuniversitäten und ein Exzellenzverbund, seit 2019 jährlich rund 533 Millionen Euro bereit. Gefördert werden unter anderem München, Berlin, Konstanz, Köln, Dresden und Heidelberg. Kritiker wenden ein, dass dadurch eine Zweiklassenhochschullandschaft zwischen Elite und Nicht-Elite entsteht. Die Verlierer stehen im Schatten der „Exzellenten". Studenten und Professoren könnten die „Elite"-Universitäten gegenüber den „normalen" bevorzugen.
Weil die gewöhnlichen Hochschulen angesichts der steigenden Studentenzahlen ohnehin mit knappen staatlichen Mitteln auskommen müssen, haben sie es als „Nicht-Exzellenz-Standorte" schwerer, Drittmittel einzuwerben. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) befürchtet, dass die nötige Grundfinanzierung nicht mehr ausreichend gegeben ist. Ohnehin liegt Deutschland mit seinen Bildungsausgaben unter dem EU-Durchschnitt.
Auf der einen Seite stünden die mit Forschungsgeldern üppig geförderten, auf den Weltmarkt zielenden Star-Universitäten, auf der anderen Massenuniversitäten, die kaum etwas anderes tun können als Bachelorstudenten schnell auf den Arbeitsmarkt vorbereiten.
Kein Wunder, dass in dieser Situation hinter vorgehaltener Hand wieder das Wort Studiengebühren fällt. Mitte der 2000er-Jahre bis 2010 wurden sie in sieben Bundesländern kurzfristig eingeführt – und wieder abgeschafft. Damals hieß es unter anderem: Warum sollten Kitas Geld kosten während das Studium gratis ist?
Studiengebühren sind heute (noch) ein Tabu. Doch angesichts der Unsummen von Finanzmitteln, die der Bund während der Corona-Pandemie ausgegeben hat, scheint es durchaus vorstellbar, dass auch an dieser Stellschraube gedreht wird. Irgendwo muss das Geld ja wieder reinkommen, das der Staat so großzügig verteilt hat.