Hospizhelferinnen stehen Mitmenschen in ihrer letzten Lebensphase bei, halten Sterbenden die Hand und erfüllen letzte Wünsche. Von ihren Erfahrungen mit dem „Tod der anderen" erzählen sechs Sterbebegleiterinnen.
Elisabeth Carapic spricht diese Worte mit leiser aber fester Stimme: „Ich kann nicht mit jedem mitsterben, aber ich kann ihn begleiten, ihm beistehen, seine Hand halten und ihm das Gefühl geben, dass er nicht alleine ist. Ein Gefühl, das den Sterbenden leichter gehen lässt, das vielen hilft loszulassen. Zugleich ist dieses Beistehen, dieses Begleiten für mich nicht nur bedrückend und belastend, sondern es bereichert mich." Die 58-jährige Bürokauffrau ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Vor fünf Jahren hat die Überherrnerin ihre Ausbildung bei den Ambulanten Hospiz- und Palliativberatungszentren Caritas Saar-Hochwald absolviert. Neun Monate ließ sie sich mittwochs, freitags und an Wochenenden zeigen, wie man mit Sterbenden umgeht, wie man ihnen fachgerecht den Mund anfeuchtet, Patientenverfügungen ausfüllt, Angehörige betreut, über Bestattungsarten informiert, wie man sich dem Sterbenden auf Augenhöhe nähert, Nähe aufbaut und auch Distanz wahrt. Dazu kamen noch 20 Stunden Praxiserfahrungen im Hospiz unter professioneller Begleitung.
„Das waren sehr intensive Monate der Vorbereitung und der Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben", ergänzt Marie-Therese Bales-Heiser. Die 56-jährige Kunsthandwerkerin aus Überherrn hat den gleichen Kurs besucht, nachdem sie ihren krebskranken Vater bis zum Tod begleitet hatte. „Damals habe ich oft gehört, dass Sterbende sich alleingelassen fühlen. Dass sich Angehörige abgewendet haben, aus Angst und Verunsicherung. Dass viele nicht wussten, wie sie sich im Sterbeprozess verhalten sollen. Mich hat das motiviert, den Kurs zur Sterbebegleiterin zu machen, weil ich durch die Ausbildung Strukturen erlernt habe, mit dem Tod und dem Sterbenden besser umzugehen."
Von ähnlichen Erfahrungen und Motiven für ihr Engagement als ehrenamtliche Hospizhelferinnen berichten auch Petra Franz, Charlotte Hess, Margret Jung und Karla Lampert. Mal war es der eigene Mann, mal die Mutter, mal die Schwester, der Schwager oder die Freundin, die sie haben sterben sehen. Deren Tod hat in ihnen den Wunsch ausgelöst, anderen bei solch tiefgreifenden Erlebnissen beizustehen. Kennengelernt haben sich die sechs Frauen aus Überherrn, Beckingen und Merten während ihrer Ausbildung vor fünf Jahren. Seitdem haben sie schon viele Einsätze ambulant oder stationär im Hospiz absolviert. Haben mit den Gästen, wie Sterbende im Hospiz genannt werden, geweint, gelacht, gesungen.
„Werden wir zu Sterbenden gerufen, die bereits im Begriff sind, sanft in den Tod hinüberzugleiten, dann sitzen wir ruhig neben ihnen am Bett und halten ihre Hand", erzählt Elisabeth Carapic. „Anfangs dachte ich, in so einer Situation bekommt der Sterbende nichts mehr mit. Doch als ich mich bewegt habe und dabei war, seine Hand loszulassen, hat er festgehalten und mir signalisiert: ‚Bleib bei mir. Geh nicht. Lass mich nicht allein.‘ Das waren sehr ehrfürchtige Momente."
„Manch einer ist aber noch sehr lebendig. Hat noch spezielle Wünsche, die wir, soweit es möglich ist, auch erfüllen", ergänzt Karla Lampert. „Noch eine Zigarette rauchen. Rockmusik hören. Ein letztes Mal den Sohn drücken. Noch einmal den eigenen Garten sehen, sich auf die eigene Harley-Davidson setzen oder den geliebten Hund streicheln. Das sind zum Beispiel Wünsche, die Sterbende oft noch äußern, bevor sie loslassen können."
Rituale entwickelt, um den Tod der Patienten besser aufzunehmen
„Und wenn ich dann sehe, dass wir dem Sterbenden damit ein Lächeln ins Gesicht zaubern können, gehe ich beseelt nach Hause", gesteht Charlotte Hess.
Petra Franz schildert, dass manche Sterbende sich viele Gedanken um ihre Angehörigen machen und sich beispielsweise fragten, was aus ihrem Kind werde, wie der Ehemann ohne sie klarkomme und wer sich um den Garten kümmern werde.
„Viele fragen auch: Was kommt nach dem Tod? Nur ein schwarzes Loch? Das Paradies? Wie kann Gott zulassen, dass ich so jung sterben muss oder so viel Schmerzen habe?", sagt Margret Jung. Oft könnten sie mit Außenstehenden besser über ihre Ängste, Zweifel und Wut sprechen als mit Familienangehörigen, berichtet sie über ihre Erfahrung.
„Häufig erleben wir, dass Sterbende warten, bis eine bestimmte Person ins Zimmer kommt oder den Raum verlässt", erinnert sich Marie-Therese Bales-Heiser. „In solchen Situationen denke ich, dass der Sterbende noch ganz viel mitbekommt und noch aktiv regeln kann. Das sind zum Beispiel Situationen, in denen man schon darüber nachdenkt, ob da etwas ist zwischen Himmel und Erde."
„Manche geben uns Aufträge: Kümmere Dich bitte um meine Tochter. Ich hätte gerne eine schöne Messe, und ich möchte so gerne ins Grab meiner Eltern, kannst Du das möglich machen?", erinnert sich Elisabeth Carapic an zwei ihrer ersten Sterbebegleitungen. Im ersten Fall hat sie der Tochter bei der Wohnungssuche geholfen und konnte dann mit einem guten Gefühl abschließen. In dem anderen Fall regelten die Angehörigen alles anders, als die Sterbende es gewollt hat. „Das war sehr schwer für mich. Da tat es gut, dass ich mich mit anderen Sterbebegleitern und auch mit meinen Ausbildern professionell aussprechen konnte."
Gerade dieses Aussprechen, Erzählen, Verarbeiten während und nach einer Sterbebegleitung ist wichtig für die sechs ehrenamtlichen Hospizhelferinnen.
„Seit unserer gemeinsamen Ausbildung stehen wir in freundschaftlichem Kontakt zueinander, stützen uns gegenseitig, wenn wir mal selbst unser Herz ausschütten müssen und genießen es, gemeinsam abzuschalten und die Seele baumeln zu lassen. Denn trotz aller Professionalität im Umgang mit Sterbenden, die wir uns in den vielen Einsätzen mittlerweile angeeignet haben, können wir die Erlebnisse nicht einfach aus unseren Kleidern schütteln", sagen alle einmütig.
Alle sechs haben bestimmte Rituale entwickelt, mit denen sie ihren Einsatz bei ihren Schützlingen nach deren Tod abschließen. Sie verharren noch eine Zeit lang am Bett, drücken zart die Hand, hängen ihren Gedanken an die Erlebnisse mit dem Verstorbenen nach, manchmal rollen auch Tränen über ihre Wangen.
Marie-Therese Bales-Heiser fährt danach über den Gau zur Orannakapelle, die „ein Energieort" für sie ist, wie sie sagt. Margret Jung und Karla Lampert telefonieren miteinander, Petra Franz geht in den Wald und umarmt eine ganz bestimmte Eiche und meditiert zu Hause in einem Raum, den sie speziell für sich eingerichtet hat, Elisabeth Carapic hört laut Helene Fischer im Auto, und Charlotte Hess zündet eine Kerze an.
Alle freuen sich, wenn sie neben ihren persönlichen Ritualen bei Einkehrtagen zusammenkommen und sich aussprechen können. Gerade Letzteres fiel coronabedingt seit Monaten aus. Kurzerhand organisierten die sechs einen Einkehrtag im „Victor’s Residenz-Hotel" in Saarbrücken. Dabei erinnerten sich die sechs an die zurückliegenden Jahre und stellten fest, dass ihr Ehrenamt sie positiv geformt hat. „Eigene schmerzliche Erlebnisse haben wir besser verarbeiten können. Unsere Arbeit mit den Sterbenden hat unserem Leben einen tieferen Sinn gegeben, mehr Lebensqualität für uns selbst gebracht. Wir sehen es als ein Geschenk in unserem Leben."