In wenigen Tagen wird bekannt werden, in welchen Regionen ein Atommüll-Endlager infrage kommt. Die Entscheidung soll in zehn Jahren fallen - ein ambitionierter Zeitplan, denkt Julia Neles, Gruppenleiterin am Öko-Institut Darmstadt.
Frau Neles, das Thema Atommüll haben die Deutschen die letzten Jahre irgendwie ganz gut verdrängt, aber nun wird es langsam ernst. Warum ist das Datum 28. September so wichtig?
Ja, am 28. September wird die BGE, die Bundesgesellschaft für Endlagerung, ihren ersten Zwischenbericht veröffentlichen. Zum ersten Mal erfährt dann die Öffentlichkeit, welche Regionen in Deutschland überhaupt infrage kommen für ein atomares Endlager. Bislang hat die BGE ja nur im Stillen gearbeitet. Der Prozess der Standortsuche bekommt mit der Veröffentlichung der Teilgebiete, so der offizielle Name, eine neue Qualität und sicher eine andere Aufmerksamkeit als bisher. Anhand festgelegter Kriterien und Anforderungen hat die BGE Teilgebiete ausgewählt, die „günstige geologische Voraussetzungen" aufweisen und sich somit grundsätzlich für ein Endlager eignen.
Was wären denn günstige geologische Voraussetzungen?
Die geologischen Formationen, die infrage kommen, sind im Standortauswahlgesetz von 2017 klar definiert. Als Wirtsgestein werden Steinsalz, Tonstein und kristallines Gestein untersucht. Das sind die Gesteine, in denen die Endlagerung aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich funktionieren kann. Die Skandinavier etwa haben sich für kristallines Gestein entschieden, die Franzosen für Ton. Über Salz gibt es in Deutschland viele Erkenntnisse. Darüber hinaus legt das Standortauswahlgesetz Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und geowissenschaftliche Abwägungskriterien fest, die für eine Beurteilung jeweils angewendet werden müssen.
Die Endlagersuche geht aber doch schon Jahrzehnte. In Gorleben wurde ja schon in den 70er Jahren demonstriert. Wieso sagen Sie, dass es jetzt erst losgeht?
Natürlich ist die Geschichte der Endlagersuche viel älter und auch ziemlich komplex. Die früheren Anläufe haben schlicht nicht funktioniert oder sind nicht weiterverfolgt worden. Den Standort Gorleben gab der Ministerpräsident von Niedersachsen Ernst Albrecht 1977 einfach bekannt – aber dieser Versuch der einsamen Entscheidung ist gescheitert. Entsprechend hat bereits 2002 der AkEnd, der Arbeitskreis Endlagerung, nach dem ersten Atomausstiegsbeschluss ein Auswahlverfahren entwickelt, das aber dann nicht umgesetzt wurde. Nach der Rückabwicklung der Laufzeitverlängerungen von 2010 ...
… also dem erneuten Atomausstiegsbeschluss nach Fukushima –
… brachte 2011 der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann mit seiner Intervention wieder Schwung in das festgefahrene Thema. Das führte 2013 zur ersten Fassung des Standortauswahlgesetzes. Ein Novum in der deutschen Gesetzgebung war sicherlich die anschließende Überprüfung des Gesetzes durch die pluralistisch besetzte Endlagerkommission. Sie führte zum Standortauswahlgesetz von 2017, das nun umgesetzt wird. Dabei war sicherlich der Atomausstieg auch eine Voraussetzung dafür, dass es eine breite Mehrheit für dieses Gesetz gab.
Was ist dieses Mal anders?
Jetzt wurde ein Auswahlverfahren aufgesetzt, dass über mehrere Teilschritte die sogenannte weiße Deutschlandkarte auf wissenschaftlicher Basis immer weiter einengt, bis ein Standort mit bestmöglicher Sicherheit festgelegt werden kann. Das ist fairer und vor allem nachvollziehbarer. Zudem ist eine umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit über verschiedene Instrumente vorgesehen. Jetzt kommt es darauf an, ob und wie der Standortauswahlprozess in der Praxis bei seiner ersten Bewährungsprobe funktionieren wird.
Weiße Deutschlandkarte soll heißen: Es gibt keine Vorentscheidungen oder Abmachungen. Seit der damaligen Entscheidung für Gorleben gibt es aber ein Misstrauen vor allem bei Menschen im Wendland, dass es am Ende doch wieder auf Gorleben hinausläuft. Ist deren Misstrauen berechtigt?
Die weiße Deutschlandkarte war als Startpunkt des Auswahlprozesses richtig. Was aber nicht vergessen werden darf: Es gibt auf dieser Karte einen schwarzen Punkt: Gorleben. Das Standortauswahlgesetz hat einen eigenen Gorleben-Paragrafen, Paragraf 36. Gorleben wird danach in das Standortauswahlverfahren einbezogen und soll wie jeder andere auch Standort behandelt werden. Gorleben ist damit im Verfahren drin, soll aber nicht bevorzugt werden, bloß weil man dort bereits viel über die geologischen Bedingungen weiß. Gorleben hat hier also eine Sonderrolle. Es wird darauf ankommen, dass der Prozess trotzdem fair mit Gorleben umgeht.
Die wissenschaftliche Absicherung des besten Standortes ist nur die eine Seite der Medaille. Eine ganz andere Sache, und mindestens genauso wichtig, ist ja, dass die Bevölkerung, die Öffentlichkeit, beteiligt und überzeugt wird.
Definitiv, damit das Verfahren und später die Standortentscheidung akzeptiert werden kann, ist das ganz wesentlich: Im ersten Schritt sind vier Termine in den kommenden Monaten vorgesehen, in denen die Öffentlichkeit zunächst informiert wird und dann die Ergebnisse des Zwischenberichts diskutiert. Das Gesetz sagt, es sollen Bürger, Kommunen, zivilgesellschaftliche Organisationen und die Wissenschaft im Rahmen der sogenannten Fachkonferenz Teilgebiete zu Wort kommen. Die Beratungsergebnisse sollen von der BGE im nächsten Schritt, das ist die Einengung auf Standortregionen, berücksichtigt werden. Das Verfahren ermöglicht den Betroffenen so, sich früh in den Auswahlprozess einzubringen. Diese Möglichkeit bleibt im gesamten Verfahren bestehen, sodass die Bürgerinnen und Bürger sich eine Meinung bilden können, ob fair geprüft wurde und alles mit rechten Dingen zuging. Nur dann besteht eigentlich eine Chance, dass die Entscheidung für einen Standort am Ende auch toleriert werden kann. Aber auch hier gilt: Eine gute Öffentlichkeitsbeteiligung umzusetzen ist nicht trivial.
Warum kommt eigentlich eine oberirdische Lagerung gar nicht infrage?
Wir brauchen eine dauerhafte sichere Entsorgung des radioaktiven Abfalls. Im Gesetz steht ein Zeitraum von einer Million Jahre. Wenn man in die Geschichte Deutschlands zurückblickt, hätte unsere Gesellschaft in den letzten 100 Jahren mehrfach große Schwierigkeiten gehabt, den Atommüll sicher zu betreuen. Da reden wir noch nicht mal von den technischen Herausforderungen. Wer das fordert, muss sich die Frage stellen, wer soll oder könnte über diesen langen Zeitraum die Verantwortung übernehmen? Mit welcher Begründung wollen wir künftigen Generationen die Probleme der Betreuung unserer Abfälle übergeben?
Allerdings ist die Lagerung in den Tiefen der Erde keine Garantie für ewige Sicherheit. Was ist denn in der ehemaligen Schachtanlage Asse passiert?
Die Asse ist tatsächlich ein Negativbeispiel für die Umsetzung von Endlagerung in tiefen geologischen Schichten. Die Asse ist ein ausgebeutetes Salzbergwerk, das heißt durch viele Hohlräume so löchrig wie ein Schweizer Käse. Durch den Bergdruck und die Fließeigenschaften des Salzgesteins werden die Hohlräume nun zusammengedrückt. Damit ist das ganze Bergwerk ziemlich instabil. Durch diese Verschiebungen entstanden außerdem Zutritte für das Grundwasser aus den umliegenden Schichten. Wasser soll aber möglichst nicht mit den dortigen schwach und mittelradioaktiven Abfällen in Berührung kommen, damit keine Nuklide ausgetragen werden. Obwohl sehr früh bereits Kritik an diesem Standort formuliert wurde, hat man dennoch Abfälle eingelagert: „probeweise". Mit der Asse hat man sich damit heute einen massiven Problemfall eingehandelt. Klar ist: ein Wirtsgestein, in dem bereits Bergbau betrieben wurde, ist als Endlager ungeeignet.
Wie können wir sicher sein, dass solche und ähnliche Fehler nicht wieder passieren?
Niemand kann ausschließen, dass Fehler passieren. Deshalb ist das Standortauswahlverfahren auch als lernendes Verfahren angelegt, das Reversibilität zur Fehlerkorrektur zulässt. Die Ausgestaltung der Endlagerung später muss Rückholbarkeit und Bergbarkeit ermöglichen, das heißt wenn sich unerwartete Probleme ergeben, muss es über bestimmte Zeiträume möglich sein, die Einlagerung rückabzuwickeln und den Abfall wieder herauszuholen.
Der Zeitplan sieht vor, dass der Standort bis 2031 gefunden sein und etwa 2050 die Endlagerung beginnen soll, die bis zu 50 Jahre dauert. Ist dieser Zeitplan einzuhalten?
Das Ziel Standortentscheidung 2031 – so steht es im Gesetz – ist ambitioniert. Auch die Vorstellung, Anfang der 2050er-Jahre einlagern zu können, halte ich für fast noch ambitionierter. Denn die Entscheidung für einen Standort ist noch keine Genehmigung, da folgt noch ein weiterer wahrscheinlich auch nicht einfacher Prozess. Anschließend wird das Endlager, und dazu gehören neben dem Bergwerk unter Tage auch die Anlagen an der Oberfläche, erst noch gebaut. Insgesamt wird es sicher einige Dekaden dauern, und dabei wird es viel Engagement von allen Seiten brauchen. Sicher ist, wir brauchen einen sorgfältigen Prozess, der aber auch nicht „ewig" dauern darf, dafür sind die Probleme der überirdischen Lagerung zu groß.