Union Berlin startet wie schon in der Premieren-Saison mit einer Niederlage in die neue Spielzeit. Nervös wird der Club deswegen nicht, doch die Probleme sind vielfältig.
Mancherorts löst eine Auftaktniederlage schon eine kleine Krise aus. Doch nicht bei Union Berlin. Einerseits setzt der Club auf ein ruhiges Umfeld und verfolgt eine langfristig angelegte Strategie. Andererseits ist eine Pleite zum Saisonstart für die Eisernen fast schon ein gutes Omen: Auch in der Vorsaison war die Ernüchterung nach dem allerersten Bundesligaspiel der Vereinsgeschichte gegen RB Leipzig (0:4) groß, am Ende feierten die Berliner aber den souveränen Klassenerhalt. Kein Wunder also, dass die Verantwortlichen nach dem enttäuschenden 1:3 gegen den FC Augsburg nicht nervös wurden. Wie schon im Vorjahr könnte die Startpleite eine heilende Wirkung entfalten, denn auch der Letzte dürfte spätestens jetzt realisiert haben: Mit ein paar Prozent weniger Leidenschaft und Konzentration kann man in der Bundesliga als Union Berlin nicht bestehen. Ihm habe „die letzte Geschlossenheit, die letzte Konsequenz" gefehlt, „das eigene Tor zu verteidigen", haderte Trainer Urs Fischer. Auch der eingewechselte Stürmer Max Kruse, der in der 71. Minute sein Debüt für Union feierte, fand das Ergebnis „sehr, sehr ärgerlich, das müssen wir uns auch nicht schönreden". Der Ex-Nationalspieler baute seine Teamkollegen aber auch verbal auf: „Weiter geht’s!" Und zwar an diesem Samstag, 26. September um 15.30 Uhr, im schweren Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach.
Eine zweite Niederlage ist gegen den Champions-League-Club nicht unrealistisch, was gerade für eine Mannschaft wie Union, die von der Euphorie und dem Zusammenhalt lebt, gefährlich wäre. Auch die Verletzung von Mittelfeld-Stabilisator Christian Gentner im Augsburgs-Spiel könnte ein Problem werden. Doch Union hat noch andere Baustellen: Die Abwehr zeigte sich bei den drei Gegentreffern anfällig, die Offensive ohne den zum 1. FC Köln verkauften Sebastian Andersson harmlos. Diese Problemfelder konnte Torhüter Andreas Luthe von hinten heraus sehr gut beobachten. Man habe in der Defensive „nicht konsequent genug" agiert und sei vorne „teilweise zu schlampig gewesen", kritisierte der Keeper nach seinem ersten Bundesligaspiel für Union. Auch Kruse bemängelte, man sei „in den entscheidenden Situationen nicht nah genug" an den Gegenspielern gewesen und habe „als Team nicht gut genug verteidigt". Und vor allem nicht clever genug agiert. Nach dem Ausgleich durch Marius Bülter in der 75. Spielminute hätte man versuchen sollen, „das 1:1 erst mal zu halten und hinten raus vielleicht einen Lucky Punch zu setzen", so Kruse. Doch die naive Spielweise der Berliner wurde von den gnadenlos effizienten Augsburgern bestraft.
„Sehr ärgerlich, das müssen wir uns auch nicht schönreden"
Dass Union überhaupt noch mal die Chance auf einen Punkt erhielt, könnte an der Einwechslung von Kruse gelegen haben. „Es sah so aus, als ob noch mal ein Ruck durch die Mannschaft ging", gab selbst Fischer zu. Den Fehler, den Angreifer vielleicht zu spät gebracht zu haben, sah der Trainer aber nicht. „Max hatte nur Luft für 20, 25 Minuten", betonte Fischer. Und außerdem: „Wir haben anschließend auch noch zwei Gegentore kassiert." Kruse selbst weiß, dass er nach sechs Monaten Verletzungspause wegen Problemen am Sprunggelenk „noch nicht bei Hundert Prozent" Fitness angelangt ist. „Aber ich arbeite weiter daran", versprach er den Fans, „ich will natürlich so schnell wie möglich der Mannschaft helfen."
Einen Max Kruse in der Form, in der er einst bei Werder Bremen in vielen Spielen den Unterschied gemacht hatte, bräuchte Union dringend. In der Offensive fehlt es an Ideen und auch an Durchschlagskraft. Nicht nur ein spielstarker Angreifer wie Kruse fehlt, sondern auch ein bulliger Stoßstürmer wie Andersson. „Uns fehlt dieses Element, einen gelernten Stürmer auf dem Platz zu haben", sagte Fischer.
Sportchef Oliver Ruhnert arbeitete im Hintergrund an Lösungen, um die sechs Millionen Euro für den Andersson-Transfer zumindest teilweise für Ersatz zu reinvestieren. Die günstige Lösung heißt Taiwo Awoniyi, der 23-Jährige wird vom englischen Meister FC Liverpool ausgeliehen. In der vergangenen Spielzeit lief Awoniyi für den FSV Mainz 05 auf. „Taiwo ist ein hoch veranlagter Spieler, der die Bundesliga bereits kennt", sagte Ruhnert über die neue Option im Sturm. „Mit seiner körperlichen Robustheit, seinem Teamgeist und seinem Zug zum Tor soll er unser Angriffsspiel variabler machen und das Offensivspiel weiter beleben."
Die über 4.000 Zuschauer machten ordentlich Rabatz
Die deutlich kostenintensivere Lösung lautet Philipp Hofmann. Der frühere Junioren-Nationalspieler hat seinen Arbeitgeber, den Zweitligisten Karlsruher SC, gebeten, zum Saisonstart gegen Hannover 96 nicht für die Startelf nominiert zu werden, „weil er sich nicht imstande sah, am Samstag aufzulaufen", berichtete KSC-Manager Oliver Kreutzer und fügte sichtlich verärgert an: „Es ist vielleicht der Versuch, den Wechsel zu erzwingen." Gegen diesen Vorwurf wehrte sich Hofmann. Sein Wechselwunsch zu Union stand aber schon länger fest, den hatte er bei den Verantwortlichen auch schon vor einiger Zeit so hinterlegt. Das erste offizielle Angebot der Unioner war Karlsruhe deutlich zu wenig, der Zweitligist erhoffte sich eine Ablöse in Höhe von rund fünf Millionen Euro. Viel Geld für einen Profi, der mit 27 Jahren zwar im besten Fußballalter ist, der bislang aber hauptsächlich in unteren Ligen seine Tore erzielte. Hofmann ist körperlich robust, kopfballstark und kann den Ball als Stoßstürmer gut behaupten und weiterleiten. Seine Defizite in Sachen Schnelligkeit und Technik verhinderten jedoch bislang den großen Durchbruch. Der gelang aber auch Andersson erst bei Union, wo man sich auf solche Spielertypen spezialisiert hat.
Neben einem cleveren Scouting ist Union Berlin auch in dieser Saison von der Unterstützung in der Alten Försterei abhängig. Die über 4.000 Zuschauer, die trotz Hygieneauflagen gegen den FC Augsburg Einlass erhalten hatten, machten ordentlich Rabatz. „Die Stimmung war sensationell", schwärmte Torhüter Luthe. „Es hat Spaß gemacht, ich war über jeden Einzelnen, der da war, glücklich."
Nicht dabei war „Ritter Keule". Das Maskottchen der Unioner musste zum Saisonstart draußen bleiben, weil für Zone eins in Spielfeldnähe nach wie vor strenge Hygieneauflagen gelten und die Personenanzahl dort auf ein Minimum beschränkt werden muss. „Er muss sich also – wie so viele andere – noch ein wenig gedulden, bis er wieder ins Stadion darf", teilte der Club mit.