Im Herbst vor 75 Jahren war in keiner Weise absehbar, dass sich die neu gegründete CSU einmal zu einem Synonym für Bayern oder gemäß eigenem Verständnis zur führenden Staatspartei mit beachtlichem Einfluss in der Bundespolitik entwickeln könnte.
Etwa 100 Personen hatten sich am 13. Oktober 1945 im Würzburger Elisabethenheim eingefunden. Eines der wenigen Gebäude, das das verheerende Bombardement britischer Flieger vom 16. März 1945, das die unterfränkische Stadt fast in Schutt und Asche verwandelt hatte, schadlos überstanden hatte. Sie waren einem Aufruf von Adam Stegerwald zur Gründung der Christlich-Sozialen Union für die Stadt Würzburg und das umliegende Land gefolgt. Stegerwald war in deutschen Landen kein Unbekannter, zählte er doch zu den Mitbegründern der christlichen Gewerkschaften und hatte in der Weimarer Republik als Mitglied der Deutschen Zentrumspartei verschiedene Ministerposten bekleidet. Zuletzt war er von 1930 bis 1932 für das Reicharbeitsministerium verantwortlich gewesen.
Schon 1920 hatte er in einer Rede auf einem Essener Gewerkschaftskongress seinen politischen Traum zur Etablierung einer konfessionsübergreifenden, antisozialistischen Christlich-Nationalen Volkspartei formuliert, die zwischen der Arbeiter- und Bauernschaft sowie zwischen den beiden christlichen Religionen Brücken schlagen sollte. Damals ein geradezu revolutionärer und somit nicht mehrheitsfähiger gedanklicher Ansatz. Und das schon in den eigenen Reihen des Zentrums, das eine explizit katholisch ausgerichtete Partei und für Protestanten somit nicht wählbar war.
Mit jener am 13. Oktober 1945 im Elisabethenheim gehaltenen Grundsatzrede knüpfte Stegerwald, der im Mai 1945 von der US-amerikanischen Besatzungsmacht zum Regierungspräsidenten des Bezirks Unterfranken ernannt worden war, an seine Visionen aus den 20er-Jahren an. Allerdings konnte er noch kein klar formuliertes Parteiprogramm präsentieren, sondern lediglich die wichtigsten politischen Eckpfeiler. Die Interkonfessionalität, die Überwindung der Spaltung zwischen Katholiken und Protestanten unter der Klammer des verbindenden Christentums, stand dabei im Mittelpunkt.
Obwohl sich große Teile der späteren CSU ebenso wie die im Oktober 1946 gegründete Bayernpartei in einem jahrelangen, erbittert geführten Bruderkampf um die Wählergunst auf die altbayerisch-katholischen und bayerisch-vaterländischen Traditionen der Bayerischen Volkspartei, dem bajuwarischen Arm des politischen Katholizismus der Weimarer Republik, berufen sollten, war es für Stegerwald ein elementares Anliegen, eine klare Abgrenzung vorzunehmen: „Unsere Partei ist keine Fortsetzung der Bayerischen Volkspartei. Wir wollen eine komplett neue Partei gründen."
Für diese wurde mit der Bezeichnung „Union" eine sehr moderne Selbstdefinition gewählt, weil man sich damit vom klassischen Parteienverständnis als Bündelung gleichgesinnter Interessen verabschiedet hatte und stattdessen eine Sammlungsbewegung propagierte, „die ihre Kraft gerade aus dem Willen zur Integration einer Vielfalt und Gegensätzlichkeit der Milieus, Interessen und Konfessionen schöpfen sollte", wie es der Deutschlandfunk mal ganz trefflich formuliert hatte. Mit dem „Unionsgedanken" sollten nicht nur konfessionelle Grenzen eingeebnet werden, sondern möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen für ein gemeinsames Engagement in der neuen Demokratie angesprochen werden. In Bayern wurde die Verwendung des Wortes Union schon im Sommer 1945 gebräuchlich.
Neue Partei sah sich als überkonfessionelle Sammlungsbewegung
Der 13. Oktober 1945 wird in diversen Medien als offizielles Gründungsdatum der CSU genannt. Die Partei selbst, die rechtzeitig zum 75-jährigen Bestehen auch an einer Aufarbeitung ihrer Frühgeschichte gearbeitet hat, hat sich diesbezüglich bislang bedeckt gehalten. Wohl auch, weil das Datum recht willkürlich erscheint und es ähnlich wie im Fall der Schwesterpartei CDU schwierig bis unmöglich ist, die Gründung auf ein einzelnes bestimmtes Datum zu fixieren. Die sogenannte Würzburger Gruppe rund um Adam Stegerwald, die in einem Flugblatt die neue Partei mit einem Zusatz als „Christlich Soziale Union in Bayern" tituliert hatte, um eine etwaige spätere deutschlandweite Ausbreitung nicht von vornherein auszuschließen, spielte zwar neben der sogenannten Münchner Gruppe rund um den legendären Josef Müller, der in der Weimarer Republik als Abgeordneter für die Bayerische Volkspartei im Reichstag tätig gewesen war und KZ-Aufenthalte in Buchenwald oder Dachau überlebt hatte, eine ganz zentrale Rolle.
Doch daneben hatten sich ab dem Sommer 1945 unter wohlwollender Beobachtung durch die US-Militärregierung in vielen weiteren bayerischen Gemeinden lokale Gruppierungen gebildet. Ihnen allesamt war der Unionsgedanke gemein, und sie verstanden sich als überkonfessionelle Sammlungsbewegung und nichtsozialistische Alternative zu den Arbeiterparteien SPD und KPD. Wobei katholisch-konservative Anhänger, die sich vornehmlich aus ehemaligen Mitgliedern der Bayerischen Volkspartei und der Partei des Bayerischen Bauernbundes rekrutierten, ihre Position neben eher christlich-liberal eingestellten Protagonisten zu behaupten versuchten.
Amerikaner verlangten Streichung des Begriffs „Bayerisch"
Die wesentlichen Weichenstellungen für die künftige CSU wurden bei Treffen zwischen Josef Müller und Adam Stegerwald getroffen. Josef Müllers Wort hatte dabei durchaus Gewicht. Immerhin wurde der „Ochsensepp", so sein Spitzname, im Sommer 1945 als Nachfolger von Fritz Schäffer gehandelt. Der Ministerpräsident, der zu Weimarer Zeiten Abgeordneter der Bayerischen Volkspartei gewesen war, war bei der US-Besatzungsmacht wegen seiner zu laschen Entnazifizierungspolitik in die Kritik geraten und wurde schließlich im Herbst 1945 abgelöst. Schon im Juli 1945 hatten sich Müller und Stegerwald auf die Gründung einer überkonfessionellen „überzeugenden Mehrheitspartei" geeinigt. Am 11. September 1945 hatte Stegerwald bei den US-Behörden einen Antrag auf Zulassung seiner „Christian Social Union" eingereicht. Einen Tag später hatte Müller im Münchner Rathaus 20 Gesinnungsgenossen um sich versammelt, dabei den Parteinamen „Bayerische Christlich-Soziale Union" und einen „Ausschuss zur Vorbereitung der Gründung einer Christlich-Sozialen Union" verabschieden lassen. Dieser trat fünf Tage später erstmals in Müllers Münchner Wohnung in der Gedonstraße 4 zusammen, wählte Müller zum Vorsitzenden und konnte nach der am 20. September 1945 erfolgten offiziellen Zulassung von Parteien und politischen Vereinigungen auf Kreis- und Ortsebene durch die US-Militärverwaltung seine Arbeit aufnehmen.
Müllers Lizenzantrag wurde zwar genehmigt, doch verlangten die Amerikaner die Streichung des Wortes „Bayerisch" aus dem Parteinamen, weshalb die CSU fürderhin unter Stegerwalds Vorgabe „Christlich-Soziale Union in Bayern" auftreten sollte. Müllers ursprüngliche Konzeption der CSU als einem Landesverband in einer dezentral verfassten deutschen Gesamtunion sollte sich angesichts der bayerisch-konservativen Hardliner rund um Fritz Schäffer oder Alois Hundhammer nicht durchsetzen lassen. Josef Müller wurde zwar am 8. Januar 1946 nach dem überraschenden Tod von Adam Stegerwald am 3. Dezember 1945 zum ersten CSU-Vorsitzenden gewählt. Doch konnte er die Spannungen zwischen den beiden Flügeln, den liberal-konservativ-gemäßigt föderativen Kräften, die in den CSU-Führungsgremien die Mehrheit hatten, und den katholisch-konservativen Hardlinern, die die Fraktion der CSU in der im Juni 1946 gewählten verfassungsgebenden Landesversammlung ebenso wie ab Dezember 1946 im Bayerischen Landtag dominierten, nicht überwinden.
Unter Hans Ehard musste CSU erhebliche Verluste verkraften
Heftige Auseinandersetzungen gab es vor allem wegen der Stellung Bayerns in einem künftigen deutschen Staat und bezüglich der Positionierung der CSU gegenüber der Schwesterpartei CDU. Erhebliche Probleme sollten der CSU ab 1948 auch durch das Erstarken der die Unabhängigkeit des Freistaates propagierenden Bayernpartei entstehen, wodurch die innerparteilichen Konflikte nur noch verschärft wurden.
Im Mai 1949 wurde Müller als Landesvorsitzender gestürzt und durch Ministerpräsident Hans Ehard ersetzt. Dieser konnte zwar einen Burgfrieden herbeiführen, nicht aber das Absacken der CSU zu einer bürgerlichen Honoratiorenpartei verhindern. Das sollte sich drastisch im Verlust der Regierungsmacht und der völlig ungewohnten Oppositionsrolle nach der Landtagswahl im November 1954 niederschlagen. Erst mit der Amtszeit von Parteichef Hans Seidel zwischen 1955 und 1961 und mit Beginn der Ära seines Nachfolgers Franz Josef Strauß sollte die CSU dank umfassender Reorganisation ihren Erfolgsweg zur großen bayerischen Volkspartei einschlagen, offensiv einen Alleinvertretungsanspruch für das bayerisch-bürgerlich-konservative Lager anmelden und dadurch auch eine immer gewichtigere Rolle in der Bundespolitik spielen. Wobei die CSU und der Freistaat Bayern dank Strauß in seinen Funktionen als Minister für Atomfragen und für Verteidigung auch von einem wirtschaftlichen, industriellen und technologischen Modernisierungsschub profitieren konnten, was bis heute zu einem strukturellen Wettbewerbsvorteil geführt hat.