Bergbau, Textilproduktion und Automobilindustrie – Sachsen ist stolz auf seine Industriegeschichte. Und feiert diese bis Ende des Jahres mit mehreren Ausstellungen, die unter dem Motto „Boom. 500 Jahre Industriekultur in Sachsen“ stehen.
Ein langgezogenes Backsteingebäude mit großen Fenstern, durch die viel Licht fällt – passender könnte der Rahmen für ein Industriemuseum wohl kaum sein. In der ehemaligen Gießerei der Werkzeugmaschinenfabrik Hermann und Alfred Escher in Chemnitz ist seit Ende der 1990er-Jahre das Sächsische Industriemuseum untergebracht, das 2003 – um einen Verbindungsbau erweitert – neu eröffnet wurde.
Hier kann man einen Streifzug durch 220 Jahre Maschinenbaugeschichte starten – vorbei an der ersten elektrischen Waschmaschine und einem Bierwärmer bis zur mechanischen Dechiffriermaschine. Erste Entwürfe neben hypermodernster Technik – von diesen Kontrasten lebt die Schau, etwa bei dem knallgelben DKW mit Frontantrieb, der beim Eibseerennen 1931 beinahe über die stärker motorisierten Fahrzeuge mit Heckantrieb triumphierte – und der neben Robotern aus der Autoindustrie platziert ist.
„Welche Maschine würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?“, fragt Kurator Jürgen Kabus. Sicher nicht die noch funktionstüchtige Einzylinder-Gegendruck-Dampfmaschine von 1896, da sie mit Kohle beheizt wurde.
Eisenbahntransport ohne Gleisanschluss
Auch die rund einhundertjährige Lokomotive Baureihe 98 passt nicht auf eine einsame Insel ohne Gleise. Genau dieses Problem aber hatten die Eisenbahnbauer von Chemnitz-Hilbersdorf – hier wurden 60 Jahre lang Lokomotiven gebaut, ohne dass die Fabrik einen Gleisanschluss besaß. Also zerlegte man die fertigen Loks wieder in Einzelteile, transportierte diese mit Pferd und Wagen. Anfangs bis nach Leipzig, später zu Bahnhöfen in Chemnitz. Insgesamt 30-mal, zuletzt zogen am 5. September 1908 16 kräftige Kaltblüter eine solche Last.
Dass der Maschinen- und Eisenbahnbau Chemnitz Wohlstand bescherte, beweisen die zwischen 1870 und 1930 errichteten „bebilderten“ Wohnhäuser am Kaßberg sowie das Stadtbad von 1935 mit seiner 50-Meter-Bahn, das jährlich von über einer Million Schwimmern genutzt wird.
Facettenreiche Zentralausstellung
Nun weiter nach Zwickau zur Zentralausstellung im Audi-Bau, der ehemaligen Montagehalle der Auto-Union AG. Dort wird auch klar, warum Sachsen „nur“ 500 Jahre Industriekultur feiert, obwohl der Kohle- und Silberbergbau bereits vor gut 800 Jahren begann.
Den „Startpunkt“ für die Industriegeschichte wählte man mit dem „Zweiten Berggeschrey“ kurz vor 1500, als im Erzgebirge ein großer Silberfund entdeckt wurde. Jubelgeschrei hallte über Berge und Städtchen – das „Berggeschrey“.
In Zwickau sind 600 wertvolle historische Objekte ausgestellt, auch die Doktorarbeit eines Dresdners, geschrieben im Ersten Weltkrieg auf Toilettenpapier in einem französischen Gefängnis. Dazu geben zahlreiche Dokumente und Exponate auch zu den Auswirkungen der Industrialisierung und im Untergeschoss mit abrufbaren Videos den Bezug zur aktuellen Forschung. Sachsens Universitäten und Hochschulen stellen dabei ihre aktuellen Projekte vor.
Besondere Anziehungskraft aber hat die Ausstellung „Autoboom“ nebenan im August Horch Museum. In der 1912 erbauten Villa neben der Fabrik wohnte Horch eine Zeit lang mit seiner Familie. Die schwarz-dunkelrote Horch-Limousine, der grüne Horch von 1911 und daneben der auch von August Horch konstruierte gelbe Audi Typ C von 1913 (der „Alpensieger“) sind echte Hingucker. Daneben findet man die ebenfalls in Zwickau hergestellten DKWs und natürlich den Trabanten, der wegen des verwendeten Materials der Karosse auch als „Rennpappe“ bezeichnet wurde. Dem letzten Trabi in Pink folgt hier ein beigefarbener VW-Polo.
Ausgestellt ist auch ein Horlacher Saxi, ein Elektroauto von 1996 mit Steckdose. 20 Zentimeter kürzer als ein Smart ist das Auto, soll aber Platz für den Fahrer und vier weitere Fahrgäste bieten, die seitlich auf den Batteriekästen sitzen.
Textil- und Kohleboom
Laut wird es dagegen beim Textilboom in der ehemaligen Tuchfabrik der Gebrüder Pfau in Crimmitschau. Werden die Original-Maschinen im Spinnereisaal eingeschaltet, ist der Lärm ohrenbetäubend. Kaum vorstellbar, dass die Arbeiterinnen im 19. Jahrhundert das zunächst zwölf Stunden am Tag aushalten mussten und sich später einen Zehn-Stunden-Tag erkämpften. All die Maschinen wurden lange Zeit hauptsächlich durch die Verbrennung von Kohle angetrieben. Ohne diese, das „schwarze Gold“, hätte es den Industrieboom in Sachsen wohl nie in dieser Form gegeben. Und so stieg an vielen Orten aus hohen Schornsteinen dunkler Qualm auf, die Kehrseite der rasanten Wirtschaftsentwicklung.
Heute allerdings bleibt die Luft über dem Bergbaumuseum Oelsnitz im Erzgebirge, mit dem eckigen Förderturm, Standort für die Ausstellung Kohleboom, rein. Denn die Förderanlagen sind längst stillgelegt. Gerne wirft Führer Frank Stein Sachsens größte 1.500 PS starke Dampfmaschine an. Ein Erlebnis für die Besucher, die hier in der alten Schmiede viel über den Kohlebergbau in der Region erfahren. 800 Jahre lang wurde in Sachsen Steinkohle gefördert, das machte die Region zum Vorreiter bei der Industrialisierung Deutschlands. Vielleicht ebenso wie die Silbererzfunde in Freiberg, 1168 begann hier der Silberboom.
Freiberger Silberfunde ermöglichten Dresdens Aufschwung
Aus zahlreichen Ländern strömten Schürfer und Glücksritter herbei. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich das Freiberger Revier zu Sachsens wichtigstem Silberlieferanten – sehr zur Freude von August dem Starken (1670–1733), Kurfürst von Sachsen und später auch König August II. von Polen. Mit Silber finanzierte er den Umbau Dresdens zur eleganten Barockstadt.
In seinem Auftrag schuf Baumeister Matthäus Daniel Pöppelmann das Residenzschloss, den Zwinger und das Schloss Pillnitz. Auch leitete er den Umbau des Jagdschlosses Moritzburg zu einem noblen Barockdomizil. Hier wird seit August und noch bis zum 1. November mit der Sonderausstellung „350 Jahre Mythos August – Geschichte. Macht. Ihr“ gefeiert.
Mit dem „Lößnitzdackel“ nach Moritzburg
Ein guter Grund, Schloss Moritzburg zu besuchen. Das kann man beispielsweise per Bahn, wenn man in Radebeul Ost in die Lößnitzgrundbahn, den sogenannten „Lößnitzdackel“ steigt.
Im Schloss selbst wird August der Starke, der Allround-Genießer mit all den ihn umrankenden Mythen wieder lebendig. Legendär sei Augusts immense Körperkraft, heißt es beispielsweise. Er habe Hufeisen zerbrochen und Silberteller wie Papier eingerollt, ist auf einem der ausgestellten Schriftstücke zu lesen. Das 1711 von ihm mit bloßen Händen zerbrochene Hufeisen ließ er in die Rüstkammer bringen. Doch es war vorher schon brüchig, wie eine Untersuchung vor einigen Jahren ergab. Und den Beinamen „der Starke“ erhielt er erst nach seinem Tod. Von den Preußen!
Üppig war die Tafel in Schloss Moritzburg unter August dem Starken gedeckt, und eingedeckt mit Meißner Porzellan. Da August die Silberfunde nicht reichten, sollte Johann Friedrich Böttger Gold für ihn machen. Stattdessen entdeckte Böttger 1709 das „Weiße Gold“ und das von den Chinesen gehütete Geheimnis der Porzellanherstellung. Die 1710 von August gegründete Meißner Porzellanmanufaktur machte ihn unabhängig von teuren Importen.
Was sich auf den Tellern türmte, ist dokumentiert. Beim Sommerfest 1718 wurden täglich 128 Stück Wildbret verzehrt, außerdem Fisch und Kalbfleisch. Und der Wein floss in Strömen. Augusts anhaltende Schlemmerei hatte Folgen. Bald wog er mehr als 120 Kilo. 62-jährig starb der Starke in Warschau an Diabetes und einem Schwächeanfall. Dort ist er auch begraben.