Christian Seifert hat den deutschen Fußball so sicher und erfolgreich wie nur denkbar durch die schweren Corona-Zeiten geführt. Und kündigte ausgerechnet jetzt seinen Abschied für 2022 an. Sein Nachfolger wird ein bestelltes Feld vorfinden, aber auch große Fußstapfen füllen müssen.
Vielleicht hat Christian Seifert dieser Tage an eines der bekanntesten Zitate von Jürgen Klopp gedacht. „Es ist nicht so wichtig, was über einen gedacht wird, wenn man kommt", hatte der heutige Trainer des FC Liverpool bei seinem Abschied 2015 von Borussia Dortmund gesagt: „Aber es ist extrem wichtig, was über einen gedacht wird, wenn man geht."
Als Seifert 2005 zum Chef der Deutschen Fußball Liga, der Vereinigung der 36 Erst- und Zweitligavereine in Deutschland, wurde, rümpfte so mancher in diesem gerne im eigenen Saft schmorenden Geschäft die Nase. Seifert hatte nicht das, was man im Fußball gern als „Stallgeruch" bezeichnet. Er war kein Ex-Profi, hatte nie für einen Fußballverein in irgendeiner Funktion gearbeitet. Von 1995 bis 1998 war er bei der MGM Mediagruppe in München tätig, zuletzt als Leiter Product Management. Danach war er zwei Jahre Marketing-Direktor für Zentraleuropa bei MTV Networks. Von 2000 bis 2005 saß er schließlich im Vorstand der Karstadt-Quelle New Media AG, von 2004 an hatte er dort den Vorsitz. Das war eine beachtliche Laufbahn für einen gerade mal 36-Jährigen. Aber der Fußball steht im Allgemeinen eher auf hemdsärmelige, volkstümliche Vertreter als auf echte Manager-Typen. Zudem hatte Seifert eben noch keinen Innenblick in dieses Geschäft gehabt, das schon sehr eigen ist. Diese Erfahrung musste auch schon mancher aus anderen Bereichen renommierte Manager im Fußball machen.
Der Quereinsteiger setzte sich durch
Im Falle von Seifert war es 2005 der Beginn einer mindestens 15-jährigen, am Ende wohl 17-jährigen Erfolgsgeschichte. „Er hat uns aus dem Fußball kommenden Managern gezeigt, dass er es besser kann", sagte Heribert Bruchhagen, einst selbst Geschäftsführer Spielbetrieb der DFL zu „spox.de". Seifert habe bewiesen, „dass jemand von außen, der keine Stollenschuhe getragen hat, genau der richtige Mann für die Deutsche Fußball Liga sein kann." Die Unvoreingenommenheit, die anderen Sichtweisen und Ideen von Christian Seifert taten der DFL und dem deutschen Fußball im Ganzen gut. Schon vor der Corona-Krise hatte es der DFL-Boss geschafft, intern überall angesehen zu sein und auch von den Fans durchaus akzeptiert zu werden. Die Vereine lobten die in den vergangenen 15 Jahren rapide angestiegenen Vermarktungs-Modelle und TV-Einnahmen. Als Seifert kam, lagen sie bei rund 300 Millionen Euro pro Saison. Nun betragen sie rund 1,5 Milliarden. Wenn über die Übervermarktung des ach so seelenlosen Fußballs gesprochen wurde, schossen sich Fans und Kritiker meist eher auf die einzelnen Vereine oder den DFB ein, der in Seiferts Amtszeit schon den fünften Präsidenten hat. Und wenn aus der Szene Lob für die DFL kam, wurde dies von Größen wie Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge oder Dortmund-Chef Hans-Joachim Watzke meist ausdrücklich an „Christian Seifert und sein Team" gerichtet. In der Corona-Zeit wurde Seifert dann endgültig von allen Seiten gefeiert. Weil er es schaffte, den deutschen Fußball zielstrebig, aber ruhig und bestmöglich durch diese Krise zu navigieren. Mit großer Eloquenz, kluger Strategie und einer gehörigen Prise Demut gegenüber der Politik wurde er zum Gesicht des deutschen Fußballs. Und der Tatsache, dass die Liga als erste in Europa ihre Saison fortsetzte. Weil sie ein Hygiene-Konzept vorlegte und umsetzte, das zumindest über die Grundsatz-Diskussion, ob der Fußball Sonderrechte erhalte, breite Zustimmung fand.
Ende Oktober kündigte Seifert dann aber plötzlich seinen Abschied an. Seinen bis 30. Juni 2022 laufenden Vertrag wolle er erfüllen, aber nicht mehr verlängern, erklärte der 51-Jährige. Er plane, sich eine neue berufliche Herausforderung zu suchen. „Dies sind anspruchsvolle Zeiten, die danach verlangen, Klarheit und Verlässlichkeit zu schaffen. Das gilt für die DFL als Ganzes und auch für meine beruflichen Ambitionen", schrieb Seifert in einer persönlichen Erklärung als Begründung dafür, dass er seine Entscheidung jetzt schon ankündigt.
Seifert sieht seine Mission als erfüllt an
Aus dem Fußball kam allerorts Bedauern, an dessen Echtheit man kaum zweifeln muss. Sein Ausstieg werde „ein herber Verlust für die Bundesliga sein", sagte Watzke: „Einen Mann wie Christian Seifert, der so lange auf so hohem Niveau für den Fußball gearbeitet hat, eins zu eins zu ersetzen, ist ein schwieriges Unterfangen." Seifert werde „große Fußstapfen" hinterlassen, sagte Leverkusen-Boss Fernando Carro. Leipzigs Vorstandschef Oliver Mintzlaff lobte, Seiferts Leistung sei „sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene gar nicht hoch genug zu bewerten. Christian Seifert geht jedes Thema mit einer außergewöhnlichen strategischen Weitsicht an, er denkt in Lösungen, nicht in Problemen." Und auch DFB-Präsident Fritz Keller erklärte, er bedauere den Schritt sehr. Seifert sei ein „unverzichtbarer, leidenschaftlicher, kenntnisreicher Streiter für den gesamten deutschen Fußball".
Also stellte sich mancher die Frage, warum Seifert den Schritt jetzt geht. Dafür gibt es wohl drei Antworten. Zum einen sieht er seine Mission als erfüllt an und weiß, dass die Zeiten im Fußball nach Corona eher schwieriger werden. Zweitens dürfte sich sein Marktwert in der freien Wirtschaft in der Corona-Zeit nochmal gesteigert haben, Seifert dürften viele Türen offen stehen. Im Fußball wird er wohl nicht bleiben. Einen Wechsel zum DFB schloss er „definitiv" aus, und auch eine Tätigkeit bei einem Verein strebe er nicht an. Drittens hat die Krisenzeit, die er einmal mit einem „Science-Fiction-Film" verglich, auch am DFL-Boss gezehrt. „Ich hatte einige Nächte mit wenig Schlaf. Die Fülle an Fragen, die aufkamen, war so groß, dass ich mitten in der Nacht aufgestanden bin und alles niederschreiben musste", erzählte Seifert in einem „Stern"-Interview. Er nehme aus der Krise mit, „dass ich meinen Instinkten vertrauen kann". Und die sagten wohl: Mach ab 2022 was anderes.
Bleibt noch offen, wer in knapp zwei Jahren Seiferts Nachfolge übernehmen wird. Der Aufsichtsrat der DFL kündigte an, das Ganze „ohne Zeitdruck professionell anzugehen". Dabei wird er für das Rollen-Profil erst einmal die Grundsatz-Frage beantworten müssen, ob der Fußball nun wieder wen mit „Stallgeruch", wen aus den eigenen Reihen braucht, oder ob es nicht sinnvoll ist, erneut einen Manager von außen zu holen, um Seiferts Weg dann bestmöglich fortzuführen.
Abgesehen davon sind knapp zwei Jahre eine sehr lange Zeitspanne. Besonders im Tagesgeschäft Fußball und ganz besonders in Corona-Zeiten. Stand heute gibt es nicht den einen logischen Nachfolger. Erste Namen wurden aber natürlich schon gespielt, Ideen und Anregungen gab es auch öffentlich schon. Der ehemalige DFL-Manager Wolfgang Holzhäuser regte im Deutschlandfunk an, es gehe „darum, möglicherweise auch eine Geschäftsführerin zu finden. Das wär doch auch mal was für den Fußball." In jedem Fall solle der Nachfolger wie Seifert nicht aus dem inneren Zirkel kommen. „Gerade in dieser Position glaube ich, dass der Blick von außen eher weiterhilft als der Blick von innen", sagte Holzhäuser.
Der Nachfolger nicht aus dem inneren Zirkel
Intern gibt es bei der DFL zumindest Leute, die seit Jahren in Vereinen in führenden Positionen tätig sind und durch Funktionen in der DFL auch diese Arbeit schon kennen. Zum Beispiel Peter Peters, aktuell Seiferts Stellvertreter und Vorsitzender des Aufsichtsrates sowie von 1994 bis vor wenigen Monaten Vorstandsmitglied beim FC Schalke 04. Oder Oliver Leki, studierter Betriebswirt, Finanzvorstand des SC Freiburg und aktuell zweiter Stellvertreter Seiferts. Jan-Christian Dreesen, Diplom-Kaufmann, Ex-Banker, stellvertretender Vorsitzender der FC Bayern München AG und Mitglied des DFL-Präsidiums.
Wie auch St. Paulis Präsident Oke Göttlich, der seit fünf Jahren für die DFL tätige Ex-Bochum-Manager Ansgar Schwenken oder Kölns Geschäftsführer Alexander Wehrle. Wehrle antwortete auf eine entsprechende Nachfrage des „Express" lachend: „Sie sind nicht der Erste, der mich das fragt" und erklärte: „Ich mache mir darüber aktuell keine Gedanken. In diesen herausfordernden Zeiten zählt für mich nur der 1. FC Köln."
Wer auch immer es am Ende wird: Vorbehalte wegen seines beruflichen Vorlebens in möglicherweise fußballfremden Bereichen wird er – oder sie – wohl keine ausräumen müssen. Auch das ist ein Vermächtnis von Christian Seifert.