Ein Leben nach Corona kann es erst geben, wenn weit über die Hälfte der Deutschen gegen Covid-19 immun sind. Bei allen berechtigten Zweifeln an Impfungen führt daran aus Sicht der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Prof. Dr. Alena Buyx, kein Weg vorbei.
Frau Prof. Buyx, Sie haben mit darüber entscheiden müssen, wer als Erstes geimpft wird und wer nicht. Können Sie das ihren Eltern mit gutem Gewissen erklären?
Wenn Sie das ethisch durchdenken, dann kommen sie rein von der Logik her auf keine andere Reihenfolge, als die, die wir jetzt empfohlen haben und die auch sehr wahrscheinlich von der Politik so umgesetzt wird. Denn es ist doch offenkundig, dass zum Beispiel ich als Anfang 40-jährige, gesunde Frau, in einem Beruf, in dem ich ganz wenig mit Menschen zu tun habe, vermutlich zu einer der letzten Personengruppen gehören werde, die geimpft wird. Das können nicht nur meine Eltern nachvollziehen, sondern ich glaube, das kann jeder nachvollziehen. Sie haben Recht, ich diskutiere solche Fragen natürlich auch mit meinen Eltern und Freunden. In dieser Frage gibt es nicht nur in unseren wissenschaftlichen und politischen Gremien, sondern auch in meinem privaten Umkreis eine sehr hohe Zustimmung zu dieser Priorisierung, wie wir sie empfohlen haben, denn das hat ja auch was mit Solidarität in der Gesellschaft zu tun.
Allerdings könnte gar nicht die Reihenfolge der zu Impfenden das Problem werden, sondern dass fast 60 Prozent der Deutschen laut dem jüngsten Deutschlandtrend eine Covid-19-Impfung ablehnen?
Na, Umfragen sind das eine und die tatsächlichen Handlungen der Menschen das andere. Ich glaube aber: Wenn der Impfstoff vorhanden ist und viele Menschen berichten, dass die Impfung gar nicht schlimm ist, dass dann auch die Akzeptanz bei den Menschen steigen wird. Denn sehr viele Menschen wissen ja instinktiv, dass ein Weg raus aus dieser Pandemie nur über das Impfen funktionieren wird. Die Menschen werden sehen, dass ein Weg zurück in die Normalität nur so möglich ist. Und dann wird die Zustimmung dafür auch steigen.
Wäre es denn für Sie als Ethikerin umgekehrt eine Option, wer sich nicht impfen lässt, darf zum Beispiel nicht ins Sportstudio, in die Oper, ins Restaurant oder ins Theater?
Also das ist eine sehr kontroverse Diskussion, eine sehr kontroverse Debatte und ich hoffe sehr darauf, dass wir solche Fragen überhaupt nicht stellen müssen. Es ist ganz sicher, dass es keine allgemeine Impfpflicht geben wird. Natürlich wird es Menschen geben, die sagen, wir machen es nicht, aber da wird es, wie gesagt, auch eine überwiegende Mehrheit von Menschen geben, die sich impfen lassen. Deswegen sollten wir solche Debatten erst dann führen, wenn wir absehen können: Funktioniert es oder nicht? Ja, und dann werden sicherlich auch solche Konsequenzen diskutiert werden müssen, wie Sie sie gerade angeführt haben. Aber diese Debatte führen wir nicht jetzt.
So eine Frage, Impfpass als Eintrittsberechtigung, entscheidet ja nicht der Ethikrat, das macht die Politik. Wie weit wird denn Ihre Expertise von den Regierenden wahrgenommen?
Wir werden auf jeden Fall wahrgenommen und unsere Expertise ist gefragt! Das zeigt ja schon der Umstand, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an den Wissenschaftsrat, die Impfkommission und an uns als Ethikrat herangetreten ist und uns um Unterstützung bei all diesen ganzen Fragen gebeten hat. Klar ist, alle Konsequenzen für die persönliche Entfaltung der Menschen bei der Bekämpfung der Pandemie werden in den kommenden Wochen und Monaten noch viele, nicht nur juristische, sondern ethische Fragen aufwerfen, und die Beantwortung geht nur solidarisch in der Gemeinschaft.