Eine friedliche Machtübergabe sieht anders aus. Doch ungerührt von den Twitter-Tiraden Donald Trumps und zahllosen abgewiesenen Klagen seiner Anwälte wegen angeblichen Wahlbetrugs, arbeiten Joe Biden und Kamala Harris daran, am 20. Januar die Macht im Weißen Haus zu übernehmen.
Der Präsident twittert, golft und schaut Fernsehen. Sein Nachfolger arbeitet sich schon mal ein. Während Donald Trumps Anwaltsteam die Geduld von Bundesrichtern mit vagen Behauptungen und kaum Beweisen auf eine harte Probe gestellt hat, um den Zertifizierungsprozess der Wahl aufzuhalten, macht sich Team Biden ungerührt auf den Weg in Richtung Präsidentschaft. Der noch amtierende Präsident dagegen ist frustriert. Die sogenannte „Strike Force" von Anwälten hat in drei Wochen kein einziges Bundesgericht davon überzeugen können, dass bei der Wahl betrogen wurde. Als Anwältin Sidney Powell, unbewiesen, letztlich über Schmiergeldzahlungen an den republikanischen Gouverneur von Georgia schwadronierte und als Hintermann den (2013 verstorbenen) venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez benannte, hatte sie die Grenzen der Absurdität endgültig gesprengt.
Frustration verlangt nach Ablenkung. Dass Trump nach Angaben der „New York Times" laut überlegt haben soll, in den letzten Wochen seiner Präsidentschaft noch die größte Atomanlage des Iran anzugreifen und seine Berater ihn davon abbringen konnten, hätte vor fünf Jahren noch einen Aufschrei bewirkt. Heute, angesichts der Vielzahl an Normverletzungen und Grenzüberschreitungen in den vergangenen vier Jahren, ist es nur noch eine Randnotiz.
Umso erwartungsvoller richtet sich der Blick auf eine Nach-Trump-Ära, in der Joe Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris die brüchig gewordenen Beziehungen des Weißen Hauses nach innen und nach außen kitten wollen.
Innenpolitisch setzt Biden – und das ist keine Überraschung – auf Vertraute. Sein langjähriger Berater Ron Klain soll, wie schon in der ersten Obama-Administration, sein Stabschef werden, Kampagnen-Managerin Jen O’Malley Dillon dessen Vize. Bei der Besetzung der Ministerposten spielt die Senatsmehrheit eine entscheidende Rolle. Der republikanische Mehrheitsführer Mitch McConnell hat bereits verlauten lassen, er werde keine allzu progressiven Minister in der Biden-Administration unterstützen. Ministerposten werden vom Senat abgenickt. Um den Posten des Arbeitsministers wird bereits hart gerungen, die Progressiven-Ikone Bernie Sanders hat Interesse bekundet, doch er könnte an der Senatsbestätigung scheitern.
Der Posten des Außenministers soll mit dem Vize-Chefdiplomaten der Obama-Administration, Antony Blinken, besetzt werden. Klar ist, auch unter einem Präsidenten Joe Biden wird die US-amerikanische Außenpolitik ein Mix aus den vergangenen acht Jahren sein: Als ausgewiesener Transatlantiker wird Joe Biden den Multilaterialismus wiederbeleben, aber Stärke zeigen. Chinas jüngster Coup, das Freihandelsabkommen RCAP (Regional Comprehensive Economic Partnership, deutsch: Regionale Umfassende Wirtschaftliche Partnerschaft), das explizit ohne die USA ausgehandelt wurde, unterstreicht den Anspruch der Volksrepublik auf wirtschaftliche Führerschaft im pazifischen Raum.
Dagegen könnte Biden eine Allianz westlich geprägter Demokratien, unter anderem mit der Europäischen Union, schmieden. Eine Bedingung der Europäer könnte jedoch sein, dass die USA nicht mehr länger die Welthandelsorganisation blockieren, um das „Recht des Stärkeren" durchzusetzen. Erste Entspannungssignale in Richtung der Biden-Regierung sendete die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Grundsatzrede, in der sie die Achse Washington-Brüssel betonte – aber auf Augenhöhe. Knackpunkt bleibt der deutsche Nato-Beitrag, der für den US-Geschmack weiter viel zu langsam steigt. Als mögliche neue Generalsekretärin der Nato könnte Kramp-Karrenbauer das insgesamt angeschlagene transatlantische Verhältnis mit Deutschland in einer zentralen Rolle jedoch wieder kitten.
Amtsübergabe nach Blockade
Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg ins Oval Office. Das sogenannte Transition Team Bidens, das den Übergang zwischen zwei Präsidentschaften organisieren soll, kommt nach drei Wochen Blockade der zuständigen Bundesbehörde endlich an Gelder, Büros und vor allem Sicherheitsfreigaben für seine Angestellten, um Akten einzusehen. Zuvor versuchte das Biden-Team, die durch Trump blockierten offiziellen Wege mithilfe ehemaliger Regierungsangestellter der Ära Obama und Geheimdienstbriefings des Senats, dem die kommende Vizepräsidentin Kamala Harris noch immer angehört, zu umgehen, berichten US-Medien wie „Politico" und CNN.
Biden und Harris treffen künftig auf eine US-Bundesverwaltung, die nahezu ausgelaugt ist. Mehrere Zehntausend Bundesangestellte haben unter Trump das Handtuch geworfen, während die Regierung Spitzenposten in den Behörden mit politisch willfährigen Parteigängern ersetzt hat. Hinzu kommt eine „Executive Order" Trumps, die den Schutz ziviler Angestellter in Behörden quasi aufhebt und damit den Durchgriff des Präsidenten auf unliebsames Personal bis tief in die Behörden hinein sicherstellt. Ironischerweise könnte diese präsidiale Anordnung der neuen Regierung helfen, auch Trump-Parteigänger loszuwerden – um die Anordnung per Federstrich Bidens danach wieder aufzuheben. Dennoch wird es Jahre dauern, den Washingtoner Verwaltungsapparat wieder gangfähig zu machen – inmitten einer Pandemie, deren Auswirkungen das Bildungs- und Gesundheitssystem, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft in den USA auf eine harte Probe stellen.
Klar ist: Eine „friedliche Machtübergabe" sieht anders aus. Sie endet letztlich verfassungsgemäß am 14. Dezember. Dann wählen die Frauen und Männer des „Electoral College" den nächsten Präsidenten.