Friedrich Engels war ein steinreicher Unternehmer und bedeutendster Weggefährte von Karl Marx. Er nutzte seine finanziellen Möglichkeiten, um seinen Weggefährten und dessen Familie zu unterstützen. Ideologisch gesehen war Engels ein radikaler Gegner des Kapitalismus, privat genoss er dessen Freuden in vollen Zügen.
Als der französische Schriftsteller Alexis de Tocqueville im Jahr 1835 Manchester, das Zentrum der englischen Textilindustrie, mit seinen 300.000 Einwohnern besichtigte, entsetzten ihn die drastischen Gegensätze zwischen Arm und Reich. Während die Arbeiterfamilien in elenden Bretterbuden mit feuchten Kellerräumen dahinvegetierten, so notierte er, genossen die Industriellen in prunkvollen Palästen ihr Leben. „Hier der Reichtum einiger weniger, dort das Elend der großen Zahl." Derartige Zustände waren auch der Stadt Barmen (heute Wuppertal) nicht fremd, die mit ihren fast 200 Färbereien, Webereien und Spinnereien damals als das „deutsche Manchester" galt.
Dort wurde am 28. November 1820 als Erstes von neun Kindern der Unternehmer, Schriftsteller und Journalist Friedrich Engels geboren. Zusammen mit dem Philosophen Karl Marx aus Trier ist er als Verfasser des „Kommunistischen Manifests" (1848) in die Geschichte eingegangen. Obwohl im Schatten von Marx stehend, war Engels mehr als dessen Stichwortgeber, Sponsor und Popularisierer. Das illustriert die bunte Vita dieses vielseitig begabten Intellektuellen.
Engels entstammte einer dem Pietismus eng verbundenen Dynastie von Baumwollfabrikanten in Barmen. Großvater und Vater engagierten sich in Kirchengemeinde und Armenverein und unterhielten Schulen für die Kinder ihrer Arbeiter. Das sensibilisierte den jungen Friedrich für die Bedürftigen der Gesellschaft. Während er als Unternehmersohn das Elberfelder Gymnasium besuchen durfte, verdingten sich die Kinder der Unterschicht in den Fabriken als billige Arbeitskräfte. Obwohl äußerst begabt, musste der Oberschüler auf Wunsch des Vaters ein Jahr vor dem Abitur das Gymnasium verlassen. Er sollte ins väterliche Textilunternehmen einsteigen.
Die vierjährige Kaufmannslehre führte Engels nach Bremen und Manchester. In der weltoffenen Hansestadt reifte der kaum 20-jährige Autodidakt, dem das Studium verwehrt war, zum Intellektuellen heran. Er las viel, begeisterte sich für die literarische Bewegung des „Jungen Deutschland" und die „Junghegelianer", die Hegels Dialektik mit revolutionärem Gedankengut kombinierten. Zahlreiche unter Pseudonym veröffentlichte Essays belegen das publizistische Talent des angehenden Kaufmanns. Etwa die „Briefe aus dem Wuppertal" (1839). In dieser Artikelserie übte Engels scharfe Kritik an den sozialen Verhältnissen in seiner Heimatregion.
„Sündenregister" der Bourgeoisie erstellt
Er beschreibt dort die „verderbliche" Allgegenwart der „Pietisterei" im Leben der Menschen und macht das skrupellose Gewinnstreben der Fabrikanten und die kargen Löhne für das „schreckliche Elend" der niederen Klassen verantwortlich. Auch für die verbreitete Trunksucht der Arbeiter und die Kinderarbeit. Für den jungen Beobachter stand fest, dass „unter den Fabrikanten die Pietisten am schlechtesten mit ihren Arbeitern umgehen". Oft seien die glühendsten Pietisten auch die erfolgreichsten Geschäftsleute.
Engels emanzipierte sich vom pietistischen Herkunftsmilieu, dann vom christlichen Glauben und bekannte sich schließlich offen zum Atheismus. Die inhumane Industriegesellschaft sah er durch die herrschende Ideologie religiös und ökonomisch legitimiert und zugleich verschleiert. Ihm dagegen schwebte eine sozialistische Gesellschaft vor, in der die Menschen frei und ohne Sorge um Gesundheit, Nahrung und Unterkunft leben könnten.
Während des Militärdienstes in Berlin belegte Engels Vorlesungen an der Universität und verkehrte als „Doktor Oswald" in einem Akademikerzirkel, der den gesellschaftlichen Umsturz anstrebte. Ende 1842 reiste er über Köln, wo er erstmals Karl Marx begegnete, nach Manchester, um dort seine Ausbildung in der von seinem Vater mitgegründeten Baumwollspinnerei Ermen & Engels zu vollenden. Der Rheinländer tauchte jetzt – auf den Spuren von Tocqueville – in das geschäftige Treiben der bedeutendsten Industriestadt Europas ein.
Mit offenen Augen und Ohren studierte Engels die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor Ort und schrieb darüber sein erstes umfangreiches Werk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (1845). Der Autor hält darin der englischen Bourgeoisie nach eigenen Worten ein „Sündenregister" vor – unzumutbare Lebens- und Arbeitsbedingungen der Proletarier, Gefahren von Frauen- und Kinderarbeit, Fehlen von Bildungsmöglichkeiten und Gesundheitsschutz – und geißelt mit drastischen Worten deren „zügellose Profitgier". Die deutsche Bourgeoisie, so merkte er an, sei „ebenso schlimm", nur nicht so geschickt „in der Schinderei" wie die englische.
Nur eine Revolution, so schlussfolgert Engels, könne die Lage der Arbeiter grundlegend ändern. Reformen gab er keine Chance – weder seitens des Staates noch der Unternehmer. Die Bismarcksche Sozialgesetzgebung in den 1880er-Jahren würde diese leichtfertige Voraussage gründlich widerlegen. Engels selbst schrieb im Nachhinein falsche Prognosen seiner „jugendlichen Ungeduld" zu.
Engels verkaufte seine Firmenanteile mit beträchtlichem Gewinn
1844 kehrte Engels nach Barmen zurück, wo er – zum Leidwesen seiner Eltern und von Polizeispitzeln beobachtet – bei den ersten kommunistischen Versammlungen als Redner auftrat. Im Sommer 1844 kam es im „Café de la Régence" in Paris zu einem ausführlichen Meinungsaustausch mit Karl Marx. Das war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft, das Bündnis zweier ebenbürtiger Köpfe, in dem Engels die Hauptrolle zukam: „Er war der erste Marxist, der Mann, der den Marxismus erfand", schreibt der Politikwissenschaftler Michael Krätke.
1847 traten Marx und Engels dem „Bund der Gerechten" bei, später: „Bund der Kommunisten", und verfassten dessen Programm, das „Manifest der kommunistischen Partei". Es beginnt mit den Worten „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus" und schließt mit dem kämpferischen Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" Das „Manifest" sieht im Klassenkampf das leitende Prinzip der Geschichte, begreift den Aufstieg des modernen Bürgertums („Bourgeoisie") als Sieg einer revolutionären Klasse und prognostiziert den gesellschaftlichen Umsturz durch das Proletariat.
1848/49 beteiligte sich Engels aktiv am revolutionären Geschehen im Rheinland, in der Pfalz und in Baden. Er forderte vor Tausenden von Zuhörern eine „demokratisch-soziale", eine „rote Republik". Schließlich emigrierte er, steckbrieflich gesucht, über die Schweiz und Genua nach England, das dann für mehr als 40 Jahre seine Heimat werden sollte. Ohne große Begeisterung kehrte er ins väterliche Unternehmen in Manchester zurück. Er brauchte Geld, um sich und Karl Marx zu finanzieren, der mit seiner Familie nach London ins Exil gegangen war.
Nach außen hin agierte Engels jetzt als wendiger Unternehmer, hinter den Kulissen als kommunistischer Revolutionär, der mit der Arbeiterin Lizzie Burns zusammenlebte und fleißig für angesehene Blätter schrieb. Darunter die „New York Daily Tribune". Die stattliche Erbschaft nach dem Tod des Vaters machte Engels 1860 materiell unabhängig. Er verkaufte seine Firmenanteile mit beträchtlichem Gewinn und zog nach London in die Nähe der Familie Marx.
Nun widmete er sich ganz seinen eigenen Schriften, vor allem aber der Unterstützung von Karl Marx, dessen Genie er neidlos anerkannte. Engels war ein flinker Schreiber und exzellenter Stilist. Mitunter schrieb er auch säumige Artikel unter Marx’ Namen, damit dieser sein 1867 erschienenes Hauptwerk („Das Kapital") vorantreiben konnte. Von den fast 500 Beiträgen, die nach 1851 unter Marx’ Namen in der „New York Tribune" erschienen, stammten – nach dem Historiker Eberhard Illner – rund 170 von Engels.
Beide hatten die Reformfähigkeit des Kapitalismus unterschätzt und den revolutionären Elan der Arbeiterschaft überschätzt. Sie hatten ferner weder die Rolle des Staates in der kapitalistischen Gesellschaft noch die Lernfähigkeit dieser Gesellschaft angemessen analysiert. Deshalb seien ihre Analysen als Orientierungsmittel in der heutigen Welt „partiell obsolet und ergänzungsbedürftig" geworden, schreibt der Marxismus-Forscher Iring Fetscher.
Seine Asche wurde auf eigenen Wunsch über dem Meer verstreut
Ideologisch gesehen war Engels ein radikaler Gegner des Kapitalismus, privat genoss er die Freuden des Kapitalismus in vollen Zügen – ob Fuchsjagden, Hummersalat, Château Margaux oder kostspielige Frauen. Nachzulesen ist all dies bei seinem britischen Biografen Tristram Hunt. Karl Marx dagegen, der Analytiker des Kapitalismus, lebte mit seiner Familie permanent am Rande des finanziellen Ruins.
Vor dem retteten ihn die ständigen Zuwendungen seines Busenfreundes Engels, die sich insgesamt auf „einige Millionen", so der Historiker Helmut Hirsch 1968, beliefen. Um dem Freund ehelichen Zwist zu ersparen, übernahm Engels auch noch die Vaterschaft für den unehelichen Sohn der Marxschen Haushälterin Helene Demuth.
Nach Marx’ Tod 1883 wirkte Friedrich Engels als graue Eminenz der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Er schrieb enorm viel und kümmerte sich um die Verbreitung des sozialistisch-kommunistischen Gedankengutes. Genossinnen und Genossen in Geldnöten half er. Engels starb, fast 75-jährig, am 5. August 1895 in London an Kehlkopfkrebs. Er hinterließ ein Erbe von bis zu 3,5 Millionen Euro.
Seine Asche wurde auf eigenen Wunsch im Meer verstreut. Ein Zeichen dafür, so der britische Historiker Tristram Hunt, dass der Vordenker des Sozialismus auf Kanonisierung keinen Wert gelegt habe. Für die spätere Vereinnahmung seines Namens durch die kommunistischen Regime – und noch weniger für deren Verbrechen – trage er keine Verantwortung.