Bevor wir auf ein hoffentlich sportreiches Jahr 2021 vorausschauen, müssen wir zunächst zurückblicken. Denn nicht nur die coronabedingten Absagen oder Verschiebungen von globalen Großveranstaltungen haben das zu Ende gehende Jahr geprägt, sondern vor allem auch die Abwesenheit von Live-Zuschauern.
Mit ausführlichen Vorschauen hatten die internationalen Medien zum Jahresende 2019 die Vorfreude der Sportfreunde weltweit geschürt. Schließlich versprach 2020 wirklich ein Jahr mit Sportevents der Extraklasse gleichsam am Fließband zu werden. Wobei selbst die Handball-Europameisterschaft im Vergleich zu den für den Sommer geplanten Olympischen Spielen oder der Fußball-Europameisterschaft nur ein kleiner Aufwärmgalopp sein konnte. Als Ende Januar erstmals ein Corona-Infizierter im bayerischen Landkreis Starnberg registriert werden musste, war gerade die Handball-EM der Männer mit dem Sieger Spanien zu Ende gegangen, der Österreicher Matthias Mayer hatte einen Hundertstelkrimi auf der legendären Kitzbühel-Streif für sich entschieden, bei den Australian Open war Novak Djokovic auf dem besten Weg zu seiner Titelverteidigung und in den USA stand der 54. Super Bowl an, bei dem die Kansas City Chiefs triumphieren sollten.
Super Bowl fand noch regulär statt
Corona schien damals noch eine auf China beschränkte Seuche zu sein, weshalb anschließend auch noch beispielsweise die Rennrodel-WM in Sotschi sowie die Bob-EM in Sigulda Mitte Februar oder die bis zum 1. März dauernde Bahnrad-WM im Berliner Velodrome mit vier deutschen Titelgewinnen durchgeführt wurden. Bei keinem dieser Events wurde ein Corona-Fall vermeldet. Was nach dem Champions-League-Match vom 19. Februar zwischen Atalanta Bergamo und dem FC Valencia gänzlich anders aussah. Auch wenn es keine direkten Beweise dafür gibt, so scheint diese Fußballpartie, die im voll besetzten Mailänder San-Siro-Stadion über die Bühne gegangen war und die in der italienischen Presse als „Spiel Null" der Corona-Pandemie bezeichnet wurde, den massenhaften Ausbruch der Seuche in der Provinz Bergamo zumindest befeuert zu haben. Der erste italienische Corona-Patient wurde genau zwei Tage nach dem Match positiv getestet, zwei Wochen später war die Krankheit in der Region Lombardei geradezu explodiert. Möglicherweise wurde das Virus über einen spanischen Sportjournalisten oder von über Milano – einem Lieblingsziel chinesischer Mode-Jünger – mitgereiste Gästefans auf die Iberische Halbinsel gebracht.
Um den 8. März 2020, als der erste Deutsche an Corona verstorben war, ging der 25. Spieltag der Fußball-Bundesliga noch mit voll besetzten Rängen über die Bühne. Das Nachhol-Match zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln musste allerdings am 11. März schon ohne Zuschauer ausgetragen werden und ging als erstes coronabedingtes Geisterspiel in die Bundesliga-Geschichte ein – nachdem vier Tage zuvor beim West-Derby gegen Borussia Dortmund das Gladbacher Stadion noch restlos ausverkauft war, obwohl im benachbarten Kreis Heinsberg ein früher durch Karneval verursachter Corona-Hotspot registriert worden war. Dass RB Leipzig seinen Champions-League-Sieg gegen Tottenham am 10. März noch vor mit 42.000 Zuschauern ausverkauftem Haus feiern konnte, wurde durch das lokale Gesundheitsamt unter anderem damit begründet, dass England als Heimatland der Spurs ja kein Corona-Risikoland sei. Vor diesem Hintergrund mag es kaum verwundern, dass wenig später in London sogar noch die Box-Olympia-Qualifikation angegangen und erst nach heftigen Protesten am 15. März abgebrochen wurde (eine Farce, die durch die in Prag im November abgehaltene Judo-EM noch getoppt werden sollte). Schon einen Tag zuvor war das Weltcup-Radrennen Paris-Nizza vorzeitig mit dem Sieg von Maximilian Schachmann beendet worden, weil die Sicherheit der Fahrer nicht mehr gewährleistet werden konnte.
Mit dem europaweiten Lockdown kam die Sportwelt Mitte März komplett zum Erliegen. Glimpflich kamen dabei die Wintersportler davon, da beispielsweise Biathlon oder der Alpine Skiweltcup den Terminkalender ohnehin schon fast zu Ende gebracht hatten – die Biathleten mit dem WM-Höhepunkt in Antholz im Februar und den beiden Gesamtweltcup-Siegern Johannes Thingnes Bö und Dorothea Wierer. Ganz schlecht sah es hingegen für die Formel 1 aus, die eigentlich ihre Saison am 15. März in Melbourne starten wollte und den Titelkampf letztlich erst am 5. Juli durch zwei aufeinanderfolgende Rennen im österreichischen Spielberg eröffnen konnte – mit den erwarteten Siegen von Valtteri Bottas und Lewis Hamilton im Mercedes. Im Oktober durften die Boliden auf dem Nürburgring dann sogar an über 20.000 Zuschauern vorbeirasen, nachdem die meisten früheren Rennen weitestgehend ohne Publikumspräsenz abgelaufen waren.
Auch die großen Sportligen der USA hatten Mitte März ihre Saison unterbrochen. In der NBA, der besten Basketball-Liga der Welt, ruhte der Ball ab dem 11. März und sollte erst wieder beim unter einer Quarantäne-Blase auf dem Disney-Campus durchgeführten Meisterschaftsturnier ab dem 30. Juli geworfen werden. Der Start der NBA-Saison 2020/2021 wurde immer wieder hinausgeschoben, zuletzt war man bei Ende Dezember 2020 angekommen, wobei sich das Problem stellt, dass das kanadische Team der Toronto Raptors wegen der strengen heimischen Quarantäne-Regeln in die US-Stadt Tampa umziehen musste. Die NHL, die beste Eishockey-Liga der Welt, welche die Saison am 12. März unterbrochen und schließlich am 26. Mai mit Deklarierung der Boston Bruins zum Titelträger gänzlich abgebrochen hatte, möchte den Spielbetrieb ab Januar 2021 aufnehmen, hat aber mit dem gleichen Zweiländer-Problem wie die NBA zu kämpfen, nur dass gleich sieben Mannschaften aus Kanada stammen, weshalb eine zweigeteilte Conference-Serie angedacht worden ist. Die NFL, die Football-Liga, hat ihren Spielbetrieb im September 2020 wieder aufgenommen, wobei seitdem die Zahl der Corona-Infizierten bedenklich im Steigen begriffen ist. Die MLB, deren Saison ursprünglich am 26. März beginnen sollte, hatte das Baseball-Spiel Ende Juli aufgenommen.
NBA-Endturnier auf dem Disney-Campus
In Europa richtete sich das öffentliche Hauptaugenmerk in Sachen Sport nach den coronabedingten Verschiebungen der Olympischen Spiele von Tokio und der Fußball-EM um jeweils ein Jahr in den Sommer 2021 vor allem auf die heimischen Top-Ligen der Kicker. Wobei die Deutsche Fußball Liga mit ihrem ausgetüftelten Hygienekonzept so etwas wie ein schnell kopiertes Vorbild für alle anderen Länder und auch andere Sportarten wie Handball oder Basketball werden sollte. Dank des Hygienekonzeptes konnte der vom DFB im März erwogene Abbruch der Saison vermieden, der Bundesliga-Spielbetrieb ohne Zuschauer ab dem 16. Mai wieder aufgenommen und die Spielzeit am
27. Juni mit der Meisterschaft für den FC Bayern München abgeschlossen werden. Dass die Bayern in dieser besonderen Saison auch noch das Triple gewinnen konnten (Pokalsieg gegen Leverkusen und Champions-League-Triumph gegen Paris Saint-Germain nach Quarantäne-Final-Turnier in Lissabon), dürfte nicht nur die Hardcore-Fans der Roten beeindruckt haben. Überraschend war, dass viele Vereine – nicht nur in Deutschland, sondern europaweit – offenbar trotz ständig steigender TV-Gelder den Wegfall der Ticket-Einnahmen kaum verkraften konnten. Selbst ein Gigant wie der FC Barcelona sollte im Herbst 2020 gewaltig unter finanziellen Existenzdruck geraten.
Hierzulande gab es viele Gerüchte über drohende Insolvenzen, wobei immer wieder der Name des FC Schalke 04 genannt wurde. Die Knappen mussten daher ebenso wie Eintracht Frankfurt Landesbürgschaften in Anspruch nehmen. Spieler im In- und Ausland konnten von ihren Vereinen zu Gehaltsverzichten überredet werden. Der europäische Transfermarkt war im Sommer 2020 ungewohnt ruhig, obwohl man angesichts des Abebbens der Corona-Infektionskurven auf eine baldige Rückkehr der Zuschauer in die Stadien der hierzulande am 18. September begonnenen neuen Spielzeit und damit verbunden eine Wiederauffüllung der Geldtaschen gehofft hatte. Den Versuchsballon mit einer 20-prozentigen Stadionbesucherauslastung ließ die zweite Corona-Welle dann schnell platzen.
Ab November 2020 waren Fans im deutschen Profisport wieder komplett ausgeschlossen worden – was in der Bundesrepublik andere Publikumssportarten wie Handball, Eishockey oder Basketball noch viel stärker getroffen hat als die Kicker-Branche, deren Aushängeschild Nationalmannschaft mit wenig begeisternden Vorstellungen in der Nations League sogar die Position des Bundestrainers Löw nach der Spanien-Klatsche infrage gestellt hatte.
Die Clubs der deutschen Handball- oder Eishockey-Liga decken bis zu 70 Prozent ihres Etats über den Ticketverkauf, weshalb Geisterspiele für sie keine Dauerlösung sein können. Staatliche Hilfen aus dem Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung von jeweils maximal 800.000 Euro haben zwar fast alle Proficlubs des hiesigen Basketballs, Handballs, Eishockeys, Volleyballs sowie der dritten Fußball-Liga beantragt, aber auch dieses Geld wird à la longue zum Überleben nicht ausreichen. Die meisten DEL-Clubs, die ihre Serie verspätet am 17. Dezember starten wollen, dürften keinen zweiten Saisonabbruch wie im Frühjahr verkraften können, gleiches gilt für die Vereine der Handball-Bundesliga, die immerhin den THW Kiel im April nach dem Saisonabbruch zum Meister deklariert hatten.
Eigentlich nur das Profi-Tennis und der Radsport konnten fast alle ihre Zielvorgaben für das zweite Halbjahr erfüllen. Nach der Absage von Wimbledon konnten von den Grand Slams die US-Open vom 31. August bis 13. September mit dem Sieger Dominic Thiem im Herreneinzel und die French Open vom 27. September bis 11. Oktober mit Rafael Nadal als Gewinner im Herreneinzel sowie die ATP-Finals vom 15. bis 22. November mit Triumphator Daniil Medwedew durchgeführt werden. Noch besser hatte in Corona-Zeiten die UCI ihre Hausaufgaben bei der Bewältigung ihres ambitionierten World Tour-Plans erledigt. Nicht nur dass die Tour de France vom 29. August bis 20. September mit dem Überraschungssieger Tadey Pogacar perfekt über die Bühne gebracht werden konnte.
Auch alle anderen aus dem Frühjahr oder Frühsommer in den Herbst verschobenen Rennen konnten nahezu ohne größere Corona-Infektionen durchgeführt werden, darunter die wichtigen Rundfahrten Giro d’Italia (Sieger Tao Geoghegan Hart) und Vuelta a España (Sieger Primoz Roglic).
Die Rad-WM in Imola nicht zu vergessen, wo sich Julian Alaphilippe Ende September das Weltmeistertrikot überstreifen konnte.