Deutschland feiert Online-Weihnachten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Ende recht behalten: Ein bisschen Lockdown zwingt das Virus nicht in die Knie.
Peter Altmaier (CDU) ist immer für einen guten Spruch gut, doch dass er die Bürger als Bundeswirtschaftsminister ausgerechnet zu Weihnachten zum Konsumverzicht aufruft, damit ist er als konservativer Politiker in eine völlig neue politische Dimension vorgestoßen. Eigentlich ist der Aufforderung zum Konsumverzicht an Festtagen eine Bastion der kommunistischen Plattform der Linken. Doch in Corona-Zeiten verschwimmen offenbar auch immer mehr die politischen Grenzen. Es half dann auch wenig, dass Altmaier nachschob: „Ein Gutschein ist ja auch ein schönes Geschenk zum Fest." Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland, Stefan Genth, ist auch im Sinne seiner Mitglieder stocksauer auf Altmaier. Erstens, dass der harte Lockdown bereits eine Woche vor Heiligabend gekommen ist und zweitens, dass dann auch noch der Wirtschaftsminister zum kollektiven Konsumverzicht an den letzten beiden offenen Verkaufstagen des Jahres aufruft.
Stefan Genth hatte den Wirtschaftsminister noch in der ersten Dezemberwoche in seinem Büro unter vier Augen gebeten, alles zu tun, um den harten Lockdown tatsächlich auf die Zeit nach Weihnachten zu terminieren, also ab dem 27. Dezember. Peter Altmaier hat bekanntermaßen einen guten Draht zur Kanzlerin, aber der half nun auch nicht mehr. Die Infektionszahlen waren einfach zu hoch: Deutschland wurde daher in der umsatzstärksten Woche für den stationären Einzelhandel, genau acht Tage vor Weihnachten, heruntergefahren. Politisch und wirtschaftlich eine brisante Entscheidung, denn die Fachgeschäfte, Sportläden oder Parfümerien in den Innenstädten machen zwischen Mitte November und Silvester gut und gern 30 bis 40 Prozent, aber mindestens ein Viertel ihres Jahresumsatzes. Dabei hat der stationäre Handel ohnehin schon ein verheerendes Jahr hinter sich. Der Frühlingsauftakt über Ostern wurde komplett verhagelt durch den ersten echten Lockdown. Dann war das Sommergeschäft mit Abstandsregelungen, Kundenbegrenzung und Maskenpflicht nicht gerade dazu angetan, Kunden zum begeisterten Shopping einzuladen. Nun mitten in der Adventszeit der nächste totale Lockdown, vorerst mal bis zum 10. Januar.
Einzelhandel für späteren Lockdown
Inzwischen haben die Händler in den deutschen Innenstädten ein sicheres Gefühl, was politische Entscheidungen in Sachen Corona-Maßnahmen angeht. Der teilweise Lockdown sollte ja ursprünglich nur vier Wochen bis Ende November gehen, dann in den Dezember verlängert, jetzt endgültig für alle Geschäfte für Gebrauchsgüter bis zum 10. Januar beschlossen. „Wer es glaubt, wird selig", so die einhellige Meinung der Einzelhändler von der Außen-Alster in Hamburg bis zur Leopoldstraße in München. Darum konnten die Kauffreudigen bereits am Samstag vor dem dritten Advent ein noch nie dagewesenes Phänomen bewundern: Winterschlussverkauf Mitte Dezember. Am Montag und Dienstag darauf dann direkt vor dem Total-Lockdown legten die stationären Einzelhändler in Sachen Rabatte noch einen drauf. Es war an den beiden letzten verkaufsoffenen Tagen im Dezember 2020 eine Mischung aus Winterschlussverkauf und dem US-amerikanischen „Black Friday".
Die Folge war in Teilen genau das Gegenteil von dem, was Peter Altmaier von den Bürgern gefordert hatte. Die Händler ihrerseits wussten, was zu tun ist: Möglichst noch ganz schnell ihre Lager mit der Weihnachts-, aber auch schon mal mit der Winterware räumen. Der Hintergrund für diese Taktik in den Innenstädten ist leicht nachvollziehbar. Denn viele ahnen ziemlich sicher, dass dieser komplette Lockdown sehr wahrscheinlich länger dauern wird als nur bis zum 10. Januar. Und dafür gibt es einen einfachen Grund: Die Menschen werden sich über Weihnachten treffen, Familien werden kreuz und quer durch die Bundesrepublik reisen, das zeigen allein schon jetzt die Buchungen bei der Bahn. Damit kann man den individuellen Pkw-Verkehr in etwa vorausahnen. Schließlich wollen sich Familien soweit irgend möglich auf jeden Fall treffen.
Damit wäre es eine mathematische Gewissheit, dass am ersten Januar-Wochenende die Infektionszahlen erneut durch die Decke gehen, also bundesweit wieder weit jenseits von 20.000 Neuinfektion innerhalb einer Woche liegen dürften. Die Inzidenz-Parameter des Robert Koch-Instituts der vergangenen neun Monate besagen, dass erst zwei Wochen nach dem Peak die Werte wieder sinken, wenn dann die Maßnahmen zum kompletten Lockdown nach Weihnachten tatsächlich eingehalten würden. Damit wäre also der 10. Januar als vorläufiges Enddatum kaum haltbar, und das ist den Einzelhändlern klar.
Die Ministerpräsidenten von der Ostsee bis an die Saar haben in ihren Regierungserklärungen mehr als deutlich gemacht, dass an auch nur eine teilweise Öffnung erst zu denken ist, wenn die Infektionszahlen spürbar zurückgehen, sonst nicht.
Zähneknirschend mussten die Länderchefs zur Kenntnis nehmen, dass Bundeskanzlerin Merkel am Ende dann doch recht behalten sollte. Ein sogenannter Lockdown Light macht nur bedingt einen Sinn, wie die Infektionszahlen der letzten Wochen nachdrücklich belegen. Es gab zwar zunächst einen Stopp des exponentiellen Anstiegs, aber eben nur eine Stagnation, keinen Rückgang. An der Börse spricht man von einer Seitwärtsbewegung. Zuletzt entwickelten sich die Zahlen so, dass die ursprüngliche Überlegung eines harten Lockdowns nach Weihnachten nicht mehr verantwortbar war.
Langfristige Orientierung fehlt
Und aus Sicht der Virologen ist auch die jetzige Regelung nicht konsequent zu Ende gedacht. Alle Geschäfte für Konsumgegenstände werden geschlossen, nur die Buchhandlungen nicht. Was werden die Menschen also zwei Tage vor Heiligabend machen? Für ein letztes Geschenk in die Buchhandlung stürmen? Buchhändler würde es freuen, das Virus vermutlich auch, denn damit finden sich wieder Menschen draußen auf der Straße und gegebenenfalls in der Schlange vor der Ladentür. Ob das um diese Jahreszeit bei Fahrradwerkstätten ähnlich wäre, ist fraglich, jedenfalls dürfen auch die offen bleiben, weil handwerkliches Gewerbe. Der Friseur dagegen, definitiv körpernahes Handwerk, musste nun schließen.
Restaurants, Theater, Kinos oder Sportstudios waren ohnehin schon geschlossen und werden es jetzt auch noch eine Weile bleiben.
Worüber bereits jetzt gestritten wird, ist eine Strategie über den 10. Januar hinaus. Gefordert wird eine solche Strategie zur Orientierung schon länger. Bei den Zusammentreffen der Landeschefs mit der Kanzlerin ist das zumindest nach außen noch kein Thema. Aber die Fragen stellen sich die Betroffenen, und damit so gut wie alle, schon jetzt: Was wird dann irgendwann ab Mitte/Ende Januar kommenden Jahres als erstes überhaupt wieder aufgemacht? Mit der bloßen Formulierung, „das müssen die Infektions-Zahlen entscheiden und wir fahren auf Sicht", ist den Menschen wenig geholfen. Auch wenn das im Kern zutreffend ist, ist spürbar, dass die Unzufriedenheit zunimmt.
Dazu kommen Entscheidungen, die halbherzig und planlos erscheinen. Eltern wissen nicht, ab wann ihre Kinder nach Weihnachten wieder in die Kita oder Schule dürfen, wie lange sie also im Homeoffice bleiben müssen. Ladenbesitzer wissen nicht, wann sie ihre Läden wieder öffnen dürfen. Da hilft auch der Satz von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wenig, dass es eben „nicht die Zeit für Shopping-Abenteuer" ist, und der wohlmeinende Tipp zu Weihnachts-Gutscheinen. Niemand weiß, wann der Gutschein denn eingelöst werden kann. Oder ob der Laden im neuen Jahr überhaupt wieder aufmacht.