In Corona-Zeiten war einfach alles anders. Auch der Endspurt der Champions League. Und in den deutschen Fußball-Geschichtsbüchern wird diese Endrunde in Portugal einen ganz besonderen Platz erhalten.
Es war ein Triumph auf der ganzen Linie. Der FC Bayern München holte die Champions League erstmals seit 2013 nach Deutschland, gewann auf dem Weg dorthin alle elf Spiele und demontierte im Viertelfinale den großen FC Barcelona mit 8:2. Final-Gegner war Paris Saint-Germain mit Trainer Thomas Tuchel und den deutschen Nationalspielern Thilo Kehrer und Julian Draxler. Dazu stand noch RB Leipzig im Halbfinale und machte mit seinem Trainer Julian Nagelsmann einen besonderen Rekord perfekt: Noch nie in der Geschichte der Champions League waren drei der vier Trainer der Halbfinalisten aus einem Land gekommen.
Dabei war es gerade in den Jahren davor in der Königsklasse nicht wirklich gut gelaufen für die Bundesligisten. Seit dem deutschen Endspiel 2013 zwischen den Münchnern und Borussia Dortmund im Wembley-Stadion (2:1) hatte Spanien von den zwölf Final-Teilnehmern bis 2019 gleich sieben gestellt. England drei und Italien zwei. Deutschland war nicht vertreten gewesen. Von der Europa League mal ganz zu schweigen, in der es in diesem Jahrtausend noch keinen Titel und nur zwei Final-Teilnahmen von Borussia Dortmund (2002) und Werder Bremen (2009) gab.
Nun also dieser Triumph auf der ganzen Linie. Den man natürlich durch zahlreiche Statistiken ausbauen könnte. So wurde Bayern-Torjäger Robert Lewandowski mit 15 Treffern Torschützenkönig vor Dortmunds Erling Haaland (der allerdings acht seiner zehn Tore noch für Salzburg schoss) und Serge Gnabry, einem weiteren Bayern-Profi. Die Bayern stellten mit fast vier Toren im Schnitt (genau 3,91) eine Bestmarke auf, Nagelsmann war mit 32 der jüngste Trainer, der je in einem Halbfinale stand. Und in das 23-köpfige „Team of the year" berief die Uefa mit Manuel Neuer, Alphonso Davies, Joshua Kimmich, David Alaba, Thiago, Leon Goretzka, Thomas Müller, Serge Gnabry und Robert Lewandowski gleich neun Bayern-Spieler und dazu mit Dayot Upamecano, Angelino und Marcel Sabitzer drei Leipziger. In diesem All-Star-Team mit Neymar oder Lionel Messi – in dem Cristiano Ronaldo diesmal übrigens fehlte – stellte die Bundesliga also mehr als die Hälfte aller Spieler.
Ist der Erfolg auch nachhaltig?
Nach so einem Erfolg bleiben natürlich vor allem zwei Fragen: Zum einen, worauf er zurückzuführen ist. Und zum anderen, ob er nachhaltig sein wird.
Widmen wir uns zunächst den Gründen: Da sind in diesem besonderen Jahr natürlich auch die besonderen Bedingungen zu nennen. Dass die Bundesliga ihre Saison aufgrund ihres Hygienekonzepts als erste Liga wieder aufnehmen konnte, keine so lange Pause hatte wie die meisten Konkurrenten und sie im Endeffekt auch so früh beenden konnte, dass die Spieler vor der Endrunde noch ein bisschen durchschnaufen konnten. Vor den Finals hatten sich alle gefragt: Ist es ein Vorteil, diese Pause zu haben und mit einer kleineren Vorbereitung wieder auf das Turnier hinzuarbeiten? Oder ist es ein Vorteil, voll im Liga-Betrieb zu sein, wenn man in Portugal antritt? Die Antwort hieß klar Ersteres.
Das hatte Prof. Dr. Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule in Köln, auch so vorhergesehen. Deutschland
und Frankreich, das erstmals zwei Vereine im Halbfinale stellte, hätten einen Vorteil durch die vorherige Pause. „Die Rahmenbedingungen waren nicht gleich, deshalb ist es in Sachen Chancengleichheit eigentlich nicht richtig, dieses Champions-League-Turnier zu spielen", hatte er vorab der „Bild"-Zeitung" gesagt: „Aber man muss dann eben auch das Heft in die Hand nehmen, die Chance ergreifen und das Beste draus machen. Und das haben Flick, Nagelsmann und Tuchel richtig gut gemacht."
Vor allem die Bayern gingen topfit in dieses Turnier. Fitness-Trainer Holger Broich, den Trainer Carlo Ancelotti einst aussortierte und den Jupp Heynckes dann zurückholte, war nicht nur für die Münchner „Abendzeitung" ein „unbesungener Held im Hintergrund". Im Team nennen sie Broich, der den offiziellen Titel „Wissenschaftlicher Leiter und Leiter Fitness" trägt, hochachtungsvoll „Professor". Er schaffte es nicht zuletzt während der Bundesliga-Pause, den Profis ein ideales Heimtraining an die Hand zu geben. Weswegen Jérôme Boateng nach dem Titel auch ein „großes Lob an Holger Broich und das ganze Trainerteam" aussprach. Dafür, „wie sie das alles geplant haben in der Spielpause mit dem Cyber-Training. Ich glaube, es ist der Schlüssel, dass wir damals früh angefangen haben, sobald das möglich war. Holger Broich hat das super aufgebaut. Es ist wichtig, gerade bei Spielen in Turnierform, wenn man hintenraus noch mal etwas drauflegen kann, wenn der Gegner müde wird." Auch, dass Thomas Müller in der ihm eigenen Art erklärte, dass die Spieler „den lieben Herrn Professor manchmal am liebsten auf den Mond geschossen hätten", ist durchaus als Kompliment zu verstehen. Ebenso wie die Schlagzeile des englischen „Guardian", der schrieb, die Bayern seien „wie ein Bulldozer" über die Gegner gewalzt.
Hinzu kam bei den Bayern eben der Faktor Hansi Flick. Mit der Beförderung des früheren Dauer-Assistenten von Bundestrainer Joachim Löw von Niko Kovacs’ Co-Trainer zum Chefcoach trafen die Bayern-Bosse die absolut richtige Entscheidung. Flick war mit seiner bodenständigen, empathischen Art gerade in dieser Saison mit ihren besonderen Umständen genau der richtige Mann. Und im Endeffekt der Triple-Macher. Auch die spanische Zeitung „As" sah in Flick in einem launigen Artikel den fehlenden Baustein zum Bayern-Triumph. „Die Bayern haben Magie in ihren Stiefeln. Robert Lewandowski ist eine Kanone. Manuel Neuer scheint Magnete an seinen Handschuhen zu tragen, und Joshua Kimmich verkörpert das Kriegergen, das das Team im Laufe der Geschichte definiert hat", hieß es dort: „Natürlich brauchte es einen Katalysator, der all das Potenzial kanalisieren konnte, das unter den rot-weißen Trikots verborgen war. Und genau dort erscheint Flick. Eine gemächliche Person. Herzlich, aber immer direkt und offen. So wie sie sie in München lieben."
Die Gunst der Stunde genutzt
Unabhängig von Flick haben die Bayern und ein bisschen Leipzig aber eben auch die Umstände und die Gunst der Stunde genutzt. Bleibt erst recht die Frage, ob dieser Erfolg für die Bundesliga nachhaltig ist. Die Vorrunde ließ zumindest darauf schließen. Von den 24 Partien an den ersten vier Gruppen-Spieltagen der Champions und Europa League gewannen die sechs deutschen Vereine 18. Am 3. Spieltag siegten alle sechs Vereine, die vier Champions-League-Teilnehmer legten mit 17:3 Toren die beste Woche hin, die die Bundesliga je in der Königsklasse erlebt hat.
„Für mich ist das keine Momentaufnahme", sagte danach Sky-Experte Lothar Matthäus der dpa: „Die Bundesliga hatte eine lange Durststrecke. Aber sie ist auf dem besten Wege, wieder nach oben zu kommen." Jahrelang habe es aus Deutschland quasi nur Bayern München gegeben, sagte Matthäus. „Aber jetzt zeigen auch andere Mannschaften, wie gut die Bundesliga ist."
Sein Sky-Kollege Dietmar Hamann, der 13 Jahre seiner Karriere in England verbracht hat, hält es für gut möglich, „dass die vier deutschen Vereine in dieser Saison in der Gesamtheit besser abschneiden als die vier englischen". Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes wollte den Vorrunden-Ergebnissen noch „nicht zu viel Bedeutung beimessen". Sagte aber auch: „Ich denke schon, dass sich gerade in der derzeitigen Krise im internationalen Vergleich die Stabilität der Bundesliga zeigt. Und dass sich Seriosität und vernünftiges Handeln auszahlen."
Für Matthäus ist es auch ein Erfolgsgeheimnis, dass die Bundesligisten mit ihrer Fitness aktiv sind. „Die Mannschaften spielen attraktiv. Sie suchen das Offensivspiel, haben Mut, spielen nicht nur auf Ergebnis halten", sagte er: „Offenbar ist das der Fußball, der den Erfolg zurückbringt." Die bisherigen Resultate der neuen Champions-League-Runde zeigen, dass dies keine Eintagsfliege sein muss. Alle vier deutschen Teilnehmer stehen im Achtelfinale.