Endlich „mehr Fairness", twitterte Ursula von der Leyen: Die EU zeigt sich über das noch rasch vor Ende der deutschen Ratspräsidentschaft abgeschlossene Investitionsabkommen mit China erfreut. Doch vor allem seitens des EU-Parlamentes sind die Zweifel groß. Reinhard Bütikofer (Grüne), Leiter der China-Delegation des Parlamentes, kritisiert das Abkommen als Mogelpackung.
Herr Bütikofer, die EU und China feiern das im Grundsatz Ende Dezember beschlossene Investitionsabkommen CAI als Fortschritt. Stimmen Sie damit überein?
Nein, ein großer Durchbruch ist das nicht. Es gibt durchaus Zusagen für besseren Marktzugang, doch die sind teilweise konditioniert oder bereits im Foreign Investment Law enthalten und gelten ab 2022 dann nicht nur für die EU, sondern für alle Investitionspartner Chinas. Oder die Zusagen, etwa im Finanzbereich, werden durch andere Gesetzesvorhaben konterkariert. Ein „level playing field" wird nicht erreicht. Und in der Frage, dass China massiv Zwangsarbeit anwendet, hat sich die EU über den Tisch ziehen lassen. Die Kommunistische Partei macht leere Versprechungen, die sie nicht einzuhalten gedenkt, wo wir auf Ratifizierung von ILO Konventionen bestehen müssten. Da geht es konkret um zentrale europäische Werte.
Wird der Wettbewerb mit China dadurch also nicht fairer?
Dass der Wettbewerb durch CAI fair würde, behauptet meines Wissens nach noch nicht einmal die EU-Kommission. Reziprozität hieße, dass der Zugang europäischer Unternehmen zum chinesischen Markt dem Zugang der chinesischen Unternehmen zum europäischen Markt entspräche. Das haben wir nicht erreicht. Wir haben keine Öffnung der chinesischen öffentlichen Beschaffungsmärkte erreicht. Okay, mancher formelle Joint-Venture-Zwang fällt weg, aber in China wird schon öffentlich spekuliert, dass viele europäische Investoren de facto weiterhin nicht um Joint Ventures herumkommen werden, weil sie sonst zu viele Behörden verärgern würden. Außerdem ist ja praktisch immer entscheidend, wie man Zusagen im Konfliktfall durchsetzen kann. Zwischen dem, was auf dem Papier steht, und dem, was wirklich gilt, ist der Unterschied riesig.
Warum musste das Abkommen nun so schnell, kurz vor Ablauf der deutschen Ratspräsidentschaft, unter Dach und Fach sein?
Gute Frage. Warum China, nachdem lange nur Schneckenfortschritte möglich waren, auf einmal auf die Tube drückte, verstehe ich. Aber wieso ging für Angela Merkel und Emmanuel Macron auf einmal Kalender vor Substanz? Die EU hatte lange betont: Substanz geht über Geschwindigkeit. Es gab ja auch Vorbehalte und Kritik an der Hektik aus zahlreichen Mitgliedsstaaten, darunter Italien, Spanien, Schweden, Benelux, Polen, die Balten. Die EU stand nicht unter Abschlusszwang. Nach der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten hatte China angefangen, sich mehr zu bewegen. Darin manifestierte sich eine chinesische Sorge: dass ein neuer US-Präsident, der seine Bündnispartner in Europa wertschätzt, die transatlantische Zusammenarbeit auch gegenüber China wiederaufleben lässt. Strategisches Ziel der chinesischen Außenpolitik aber ist es, Keile zwischen Europa und die USA zu treiben. Eben deswegen hätte die EU sich entschließen sollen, erst die Konsultationen mit dem Biden-Team zu beginnen, bevor man mit Xi abschließt.
Was bedeutet dies für die künftigen Beziehungen der EU zu den USA?
Die EU behauptet, dieses Abkommen sei Ausdruck der strategischen Autonomie der EU. Man kann sich auch autonom ins Knie schießen. Dass man der Autonomie-Demonstration gegenüber Washington Vorrang gibt und nicht der Kooperation mit Washington gegenüber Peking, das ist falsch. Das werden wir korrigieren müssen.
Auf welche Situation müssen sich also europäische Unternehmen einstellen?
Für viele Herausforderungen, die auf unsere Unternehmen in China zukommen werden, gibt CAI keine Antwort. In einer sehr interessanten neuen Studie des Think Tanks Merics zusammen mit der Europäischen Handelskammer in China wird etwa die strategische Auseinandersetzung im technologischen Bereich thematisiert. Diese zwingt Unternehmen mehr und mehr dazu, zwei Technologieportfolios zu entwickeln: eines für den chinesischen Markt, auf dem die USA die Nutzung ihrer Technologien einschränken und China die Nutzung eigener Technologien verstärkt sehen will; und ein Portfolio für die Nutzung außerhalb Chinas. Das heißt: doppelte Kosten für betroffene Unternehmen. Dazu bietet CAI nichts.
Dann sorgt China also intern dafür, dass das Investitionsabkommen in bestimmten Branchen von Anfang an die EU benachteiligt?
China ist die Umsetzung vieler Versprechen, die beim WTO-Beitritt gemacht wurden, schuldig geblieben. Der Markt in China bleibt trotzdem wegen seines Volumens und Wachstumspotenzials attraktiv. Da haben sich viele gesagt: Wir wissen zwar, dass China sich nicht an die Regeln des Welthandels hält, etwa Technologietransfer erzwingen, dass Staatsunternehmen politisch agieren, aber wir verdienen. Mittlerweile gibt sich China nicht mehr zufrieden damit, billige Massenprodukte zu fertigen, sondern arbeitet sich in der Wertschöpfungskette nach oben, will Technologieführerschaft. Das macht die Lage strategisch heikel. Die Eisenbahnindustrie hat schon erlebt, wie die chinesische Konkurrenz, die sie selbst gross gemacht hatte, ihr dann das Wasser abgrub. Heute ist auch der Maschinenbau mit Blick auf die Perspektive beunruhigt. Und CAI? Wenn man das ganze Bild in den Blick nimmt, muss man sagen: Es ist bestenfalls ein Pflaster für bestimmte Probleme, aber keine Kur. Und die politische Dimension der Systemrivalität mit China klammert man einfach aus.