Mehr als ein Drittel aller Bundesbürger nutzt regelmäßig oder gelegentlich digitale Spiele. Ob Tablet, Smartphone, Konsole oder PC – die Zahl der Spieler steigt seit Jahren kontinuierlich und über alle Altersklassen hinweg. Dennoch hält sich ein Klischee hartnäckig.
Klischees sind etwas Herrliches! Man kann sich wunderbar darin austoben, muss seine Aussagen nicht näher belegen und erhält nicht selten auch noch Zustimmung fürs Gesagte. Beispiel gefällig? „Spieler, die ständig am Computer daddeln, sind alle pickelige Heranwachsende, die sozial isoliert, bewegungsfaul und vor allem männlich sind." Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Die vorangegangenen Sätze sind pure Ironie – und doch ist genau dieses Bild noch immer in vielen Köpfen verankert. Doch woran liegt das?
Das stereotype Bild vom klassischen Computerspieler ist so alt wie die ersten digitalen Spiele selbst. Dabei sieht die Realität völlig anders aus. Den klassischen Spieler gibt es nämlich gar nicht. Die Spielenden sind vielfältig. Sie kommen aus allen Gesellschaftsschichten und auch aus allen Altersgruppen. Laut aktuellen Zahlen von „Game", dem Verband der deutschen Games-Branche, sind 34,3 Millionen Deutsche sogenannte Gamer. Als Gamer werden Menschen bezeichnet, die regelmäßig oder zumindest gelegentlich digitale Spiele spielen.
50- bis 59-Jährige am spielfreudigsten
Waren es in der Pionierzeit der digitalen Spiele tatsächlich überwiegend männliche Spieler, hat sich der Wert sehr schnell verändert und über die Jahre nahezu angeglichen. Inzwischen sind laut der Erhebungen 48 Prozent aller Nutzer digitaler Spiele weiblich. Wer regelmäßig online-basierte Multiplayer-Spiele mit und gegen andere spielt, wird dies bestätigen. Der Frauenanteil liegt dabei häufig vergleichbar hoch. Für die meisten – Männer wie Frauen – liegt der Reiz bei digitalen Spielen darin, in eine Rolle zu schlüpfen. Dies gilt insbesondere bei PC- und Konsolenspielen. Man taucht hier dank leistungsstarker Systeme in grafisch perfekte Welten ein, die der Realität optisch immer näherkommen. Die Spieler werden in ihrer Rolle Teil eines interaktiven Spielfilms. Bei weniger ressourcen-hungrigen Spielen – etwa für Tablet oder Smartphone – liegt der Reiz vor allem im kurzen Zeitvertreib zwischendurch, in der Überbrückung einer Wartezeit etwa.
Das Durchschnittsalter der Spieler liegt Umfragen zufolge aktuell bei 37,5 Jahren und steigt seit Jahren kontinuierlich an. Dies liegt zum einen daran, dass die heute Anfang 50-Jährigen die erste Generation war, die mit Computern aufgewachsen ist, die nach ersten Gehversuchen mit C64 und Amiga auch die ersten waren, die sich einen PC für zu Hause kauften – nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Spielen. Viele dieser Vorreiter sind ihrem Hobby bis heute treu geblieben. Das belegen auch die Zahlen von „Game". Demnach liegt der Anteil der 50- bis 59-Jährigen mit 17 Prozent und 5,7 Millionen Spielern sogar über dem der Altersklassen der Zehn- bis 19-Jährigen (16 Prozent/5,3 Millionen) und der 20- bis 29-Jährigen (14 Prozent/fünf Millionen). Diese Gruppe ist im direkten Vergleich sogar die spielfreudigste.
Zweitgrößte Gruppe ist die der 30- bis 39-Jährigen mit 5,5 Millionen (16 Prozent). Und selbst die Gruppe der über 60-Jährigen (15 Prozent/5,1 Millionen) spielt inzwischen stärker digitale Spiele als die 20- bis 29-Jährigen. Das entspricht einem Zuwachs von etwa 700.000 Menschen gegenüber dem Vorjahr in dieser Altersgruppe. Die Senioren 60+ greifen vor allem zu Smartphone und Tablet und weniger zu Computer oder gar Konsole. Aufbausimulationen, digitale Kreuzworträtsel und Sudokus, aber auch Kartenspiele gehören den Erhebungen zufolge zu den Lieblingsspielen dieser Altersgruppe. Weitere Gründe für die große Beliebtheit digitaler Spiele sind natürlich schlicht die technische Entwicklung und vor allem die Allgegenwärtigkeit des Internets. Hatten 2002 gerade einmal etwas mehr als 20 Prozent der Haushalte Internet, lag die Zahl 2015 bereits bei mehr als 90 Prozent. Heute kann zudem jeder zu jederzeit von nahezu überall auf der Welt auf unzählige Inhalte zugreifen. Moderne Smartphones machen es möglich – Hochleistungscomputer für die Jackentasche und für nahezu jeden erschwinglich.
Serious Games immer beliebter
In den Anfangszeiten des Homecomputers musste man schon ein ziemlicher Enthusiast sein, um sein sauer verdientes Geld in das neue Medium digitale Spiele zu investieren. Die Hardware-Kosten waren unvorstellbar hoch. Dagegen wirken die Preise für heutige Macbooks von Apple geradezu geschenkt. Bis Mitte der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts war ein 286-Prozessor von Intel State oft the Art – und kostete lange Zeit so viel wie ein Neuwagen. Er war allenfalls etwas für Firmen, für Privatpersonen hingegen unerschwinglich. Eine Speichererweiterung von 2 MB Ram für den Commodore Amiga etwa kostete noch 1987 schlappe 1.700 D-Mark. Damit ließe sich heute nicht mal mehr ein Foto speichern. Anfang der 90er-Jahre lagen die Preise für den 286-Prozessor zwar „nur" noch bei 2.500 D-Mark und waren somit endlich auch für Privathaushalte machbar, für einen zum damaligen Zeitpunkt ultramodernen 486 wurden aber immer noch Preise von 7.000 bis 8.000 D-Mark aufgerufen. Erst bessere Produktionsmethoden und der bis heute andauernde Wettstreit zwischen Intel und AMD machten Computer Mitte der 90er-Jahre nach und nach für wirklich jedermann erschwinglich. Heute hat längst das Medium Smartphone dem Computer als liebstes digitales Spielzeug den Rang abgelaufen. 19,5 Millionen Befragte gaben an, regelmäßig das Smartphone zum Spielen zu nutzen. Der PC liegt mit 16,3 Millionen Nennungen deutlich dahinter, knapp gefolgt von Konsolen (15,9 Millionen). Das Tablet (11,2 Millionen) rangiert abgeschlagen auf Rang vier. Natürlich waren hier Mehrfachnennungen möglich.
Die Beliebtheit des Smartphones als Spielgerät lässt sich auch deutlich an der Anzahl verkaufter Apps zeigen. Sie sind nach wie vor der größte Wachstumstreiber. 2019 stieg der Umsatz durch Apps gegenüber dem Vorjahr laut „Game" um 22 Prozent an. In Euro ausgedrückt: Mit dem Kauf von Apps und sogenannten In-App-Käufen – Boni, um etwa in Spielen schneller voranzukommen – wurden
1,8 Milliarden Euro umgesetzt. Und das, obwohl die Anzahl der Apps-Käufe im gleichen Zeitraum um 13 Prozent gesunken ist. Vor allem Free-to-Play-Spiele setzen auf In-Game-Käufe. Zu den bekanntesten Vertretern gehört beispielsweise die Candy-Crush-Reihe.
Der Vorteil der Smartphones liegt eindeutig darin, dass man sie heute ständig bei sich trägt. Sie sind so kompakt, dass sie problemlos in die Jacken- oder Hosentasche passen, gleichsam aber sind sie leistungsstark und unfassbar vielseitig. Die wenigsten Menschen nutzen das Smartphone tatsächlich dafür, wofür es ursprünglich einmal konzipiert wurde – zum Telefonieren. Dank hochmodernem Flashspeicher lassen sich gigantische Datenmengen speichern, von denen Home-PC-Benutzer vor 15 Jahren nur träumen konnten. Smartphones sind Computer, mobiles Büro, Fotoapparat, Fernseher und Spielekonsole gleichzeitig. Ob im Wartezimmer beim Arzt, in Bus oder Bahn, beim Warten auf Selbige oder zwischendurch in der Mittagspause – überall kann man sich die Zeit mit einem kleinen Spielchen vertreiben. Das kann kein anderes Medium.
Einen immer größeren Anteil – insbesondere in Zeiten des neudeutsch genannten Homeschooling – nehmen sogenannte Serious Games ein. Das sind digitale Programme, die Kindern Lerninhalte spielerisch vermitteln oder Lernerfolge mit kleinen Spielen für zwischendurch belohnen. Das steigert nicht nur die Motivation der Lernenden, auch die Lerninhalte werden so präsentiert, dass das Lernen selbst richtig Spaß macht und nicht als notwendige Zwangsarbeit angesehen wird. Den Angaben zufolge haben rund drei Viertel aller befragten Eltern bereits Serious Games eingesetzt und 90 Prozent davon eine Verbesserung der Lernleistung ihrer Kinder beobachtet.
Natürlich gibt es auch die eingangs erwähnten Fleisch gewordenen Klischees. Die Menschen, die ihre gesamte Freizeit vor dem Bildschirm verbringen und nur virtuelle statt reale Menschen ihre Freunde nennen. Doch sie sind die Ausnahme und sie waren dies schon immer – egal wie lange das allzu oft bemühte Klischee in manchen Köpfen überdauern mag.