In den Wäldern Sloweniens und im angrenzenden Kroatien leben so viele Braunbären wie auf fast keinem anderen Fleck der Erde. Wer das scheue Raubtier vor die Linse bekommen will, braucht viel Geduld.
Erst am dritten Nachmittag kommt der Bär. Witternd prüft das Raubtier mit dem braunen Zottelfell, ob die Luft rein ist. Dann beginnt es seelenruhig, den ausgestreuten Mais und die Äpfel zu fressen. Der Bär und sein herbeigekommener Artgenosse lassen sich auch vom „Dauerfeuer" der klickenden Spiegelreflexkameras nicht stören.
Nur ab und zu halten sie inne, um die Umgebung mit ihren feinen Nasen und ihren geräuschempfindlichen Ohren zu sondieren. So geht es rund eine Stunde lang, bevor die nächsten Bären kommen und dann wieder die nächsten.
Wir – das sind eine vierköpfige Familie aus Schwaben, ein Pärchen aus Köln und ich – sitzen verteilt auf drei Fotohütten und können die Bären aus sichererem Abstand von circa 30 Metern beobachten. Die regensicheren Bretterhütten sind ausgestattet mit Stühlen und Halterungen für Stativköpfe. Rote Drainagerohre führen aus den Hütten hoch in die Baumwipfel, um den „Menschengestank" abzuleiten. Denn Bären sehen zwar schlecht, riechen und hören aber umso besser.
Die Geduld hat sich gelohnt. Zwei Tage lang saß ich mucksmäuschenstill jeweils vier Stunden in einer Hütte, ohne dass ein Bär auftauchte. Mein Blick schweifte immer wieder auf die Wald-bühne mit ihren vielen Lichtwechseln und der meist nur vom Gesang und dem Flattern der Vögel durchbrochenen Stille, bisweilen wurde mir die Zeit lang, zunehmend genoss ich aber auch die Ruhe.
„Der Bär macht halt, was er will"
Anja und Matthias, das Paar aus Köln, landeten gleich beim ersten Mal einen Treffer und bekamen die faszinierenden Raubtiere zu Gesicht. Eigentlich hatten sie eine Reise durch Afrika gebucht, aber waren dann wegen der Reiseeinschränkungen wegen Corona auf Slowenien ausgewichen und hatten sich dort auch für einen Nachmittag auf Bärenbeobachtung begeben.
„Der Bär macht halt, was er will", sagt der Bärenfreund und Geschäftsführer von „Slovenianbears", Miha Mlakar, der mir angesichts meines „Pechs" angeboten hat, noch mal mit auf Fotojagd zu gehen. Zwar kann er keine Garantie dafür geben, dass Meister Petz auch auftaucht. Aber die Chance ist relativ hoch.
„Wir haben heute eine Bärenmutter gesehen, die auf einmal aus einem mir schleierhaften Grund ihre Jungen hoch in die Bäume geschickt hat", erzählt Marc Graf mit leuchtenden Augen. Der österreichische Fotograf hat zwar schon Tausende Bärenfotos geschossen, ist aber „jedes Mal wieder begeistert", wenn er eines der Tiere sieht. Diesmal war er mit seiner Gruppe an einem Platz, an dem ich am Vortag vergeblich gewartet hatte.
Der Braunbär ist neben dem Wolf und dem Luchs das einzige freilebende Raubtier in unseren Gefilden. In Bayern gilt er seit 1835 als ausgerottet, in Österreich seit 1842 und in der Schweiz seit 1904. Ein Projekt, den Bären auch in den Alpen Österreichs dauerhaft anzusiedeln, schlug vor einigen Jahren fehl, nur aus Italien gibt es einen bescheidenen Erfolg zu vermelden.
In den Wäldern Sloweniens und Kroatiens ist die Bärenpopulation dagegen eine der dichtesten weltweit. Vor allem im Süden des kleinen EU-Landes leben nach Schätzungen derzeit fast 1.000 Braunbären auf einer Fläche etwa doppelt so groß wie die des Saarlandes dicht an den Siedlungen.
Selbst dort sind die diffusen Ängste vor dem mächtigen Raubtier oft groß, aber meist unbegründet. Zwar gibt es immer wieder Konflikte mit dem Menschen. Aber die Statistik spricht da eine andere Sprache. Waren tödliche Attacken in den vergangenen Jahrzehnten sehr selten, sterben jedes Jahr weltweit fast 25.000 Menschen an Hundebissen, von den Toten auf unseren Straßen gar nicht zu reden.
Indes ist der Konflikt zwischen Mensch und Bär angesichts des begrenzten Lebensraums in Europa nicht ausgeschlossen. Um das zu vermeiden, hat das Land einen Bear-Management-Plan aufgestellt, und das Verhältnis der beiden Spezies wird in den vergangenen Jahren in Slowenien immer besser. „Wir versuchen, den Menschen zu vermitteln, dass mit den Bären auch Geld zu verdienen ist – etwa im Tourismus", sagt Mlakar.
Jedes Jahr kommen betuchte Jäger aus benachbarten Ländern wie Österreich, Italien oder anderen Balkanstaaten, um eines der Raubtiere zu erlegen. Laut Mlakar schwankt die Quote der pro Jahr zum Abschuss freigegebenen Jungtiere zwischen 140 und 240.
Ein Abschuss eines Tieres bringt laut Mlakar dem Jagdverband rund 1.000 Euro ein. Noch mal etwa 1.000 Euro kostet es, wenn der Jäger das Bärenfell als Trophäe mit nach Hause nehmen will. Bärenfreund Mlakar ist nicht generell gegen den Abschuss. Denn es gebe nur begrenzten Platz für Bären, wenn auch die Interessen der Menschen gewahrt bleiben sollen. „1.000 Bären bedeuten rund 300 Junge im Jahr." Das könne ein kleines Land wie Slowenien mit zwei Millionen Einwohnern nicht verkraften.
Der 35-Jährige zeigt aber, dass man auch unblutig mit den Bären Geld verdienen kann. Vor rund zehn Jahren übernahm er das Restaurant seiner Eltern in Stari Trg Pri Lôzu, baute es zum Hotel aus und bietet für kleine Gruppen nur ein paar Autostunden von Deutschland entfernt Foto- und Beobachtungstouren in die umliegenden Wälder an. Dabei beschränkt er die Gruppen auf allerhöchstens acht Personen, sozusagen als Kompromiss zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen, und machte seine Leidenschaft zum Beruf.
Die Bärenbeobachtung ist mit 160 Euro für einen Nachmittag in der Fotohütte und einem Vier-Tage-Programm mit Vollpension für 660 Euro nicht gerade billig. Aber der Preis erscheint mir angesichts des Aufwandes doch angemessen. Denn das Anlocken der Raubtiere ist nicht nur ein mühsames, sondern auch ein kostspieliges Geschäft.
Rund 20 Beobachtungshütten mit idealen Sicht- und Lichtbedingungen hat Mlakar an verschiedenen von ihm ausgewählten Plätzen im Wald zusammen mit seinem Partner Lenart Provec gebaut und eine Lizenz des Forstamtes, die Bären mit Fallobst und Mais zu füttern. Ob die Bären die Futterplätze auch akzeptieren, zeigt sich meist erst nach ein, zwei Jahren: „Das ist wie mit den Hochständen der Jäger, da funktioniert auch nicht jeder Standort."
Mit dem Jagdverband hat Mlakar einen Vertrag. Danach zahlt er jenem Geld vor allem dafür, dass er den Wald nutzen darf und keiner „seiner Bären" gejagt wird. Mehr als 30.000 Euro habe er etwa im vergangenen Jahr dafür berappen müssen, erzählt Mlakar.
Die zunehmende Akzeptanz des „medved", des „Honigfressers", wie der Bär auf Slowenisch heißt, hat aber auch ihre problematische Seite. Vor ein paar Tagen hätten Bauern ihr Fallobst am Ortsrand ausgestreut, und prompt sei ein Bär zum Dorf gekommen, berichtet Mlakar. Denn eigentlich sind Braunbären wie alle Raubtiere sehr scheu. Zum „Problem- oder Schadbär" werden sie meist erst dann, wenn sie die Scheu vor dem Menschen verlieren, angelockt durch leckere Essensgerüche in die Siedlungen kommen und dort in Ställen wildern oder Bienenkörbe plündern.
Die Bären meiden die Menschen lieber
So etwa im Falle von „Problembär Bruno", der 2006 aus Italien über Österreich nach Bayern wanderte, Bienenstöcke und Schafställe heimsuchte und nach mehrwöchigen vergeblichen Fangversuchen unter lauten Protesten von Umweltschützern abgeschossen wurde. Seine Eltern stammten übrigens aus Slowenien und waren im Zuge eines Ansiedlungsprogramms in den Naturpark Adamello-Brenta gebracht worden.
Vor allem ältere männliche Bären wandern oft über Tausende Kilometer durch die Alpen. Die Halbstarken und Bärinnen mit Nachwuchs bleiben da lieber an einem Ort, an dem sie genug Futter gefunden haben. Mit einer Bärenattacke müssen Wanderer nur rechnen, wenn sie eine Mutter mit ihren Jungen überraschen, und die Tiere sich angegriffen und in die Enge getrieben fühlen. Da hilft nur ruhig bleiben. Nicht weglaufen oder gar auf einen Baum klettern, denn auf den kann ein Bär mühelos folgen.
Wenn möglich, meiden die Bären lieber den Menschen, der eigentlich ihr einziger natürlicher Feind ist, was ich bei meinen ersten Beobachtungsversuchen erleben konnte. Oft höre ich die Frage: „Ist das nicht auch gefährlich?" Aber in der Fotohütte bleibe ich ja auf Abstand, und auch da ist es Glückssache, Meister Petz überhaupt in Ruhe beobachten zu können.
Am letzten Tag meiner Reise bringt uns Mlakars Partner Pevec tief in den Wald. 14 Kilometer von der letzten Ortschaft entfernt wurde erst im vergangenen Jahr ein neuer Futterplatz eingerichtet, und wir sind die erste Gruppe zum Fotografieren. Die Wildkamera hat schon gezeigt, dass Bären ihn angenommen haben.
Aber wird auch ein Bär vorbeischauen, wenn Menschen da sind? Und tatsächlich, schon bald erscheint ein Meister Petz und lässt sich auch von dem Geräusch einer Motorsäge, das von weither herüberdringt, nicht stören.
Die Bärensaison endet im Oktober. Dann halten die Tiere Winterschlaf, bevor sie im nächsten Frühjahr wieder aufwachen und auch die Mütter aus ihren Höhlen und Verstecken herauskommen, um ihrem meist um den Januar geborenen Nachwuchs alles Überlebenswichtige beizubringen.