Sinkende Infektionszahlen, steigende Sorge vor Mutationen und die Frage nach dem Wie lange noch halten das Land in Atem. Zwischen Grenzschließungen und Stufenplänen zur Lockerung steht die Verlängerung der „pandemischen Lage" zur Diskussion.
Die Ministerpräsidentenkonferenz mit der Entscheidung zur Verlängerung des Lockdowns bis zum 7. März ist gerade mal 48 Stunden alt. Da setzt Bundeskanzlerin Merkel zur nächsten Operation Corona-Maßnahmen an. In einem ZDF-Interview soll sie zum wiederholten Male die neu eingeführte Richtinzidenz von 35 erklären. In einer Frage geht es dann auch um den Zeitrahmen zur Öffnung von Hotels und damit der Wiederbelebung zumindest des inländischen Tourismus. Die Bundeskanzlerin weicht aus und formuliert: „Eines Tages" könnten dann auch wieder die Hotels öffnen. Das legt die Interpretation nahe, dass damit nicht absehbar, also bis Ostern, zu rechnen wäre.
Weitere 48 Stunden später konkretisiert ihr Parteifreund und sächsischer Ministerpräsident Michael Kretschmer die Zeitachse zur Hotelöffnung, in diesem Jahr könne es keine Reisen in den Osterferien geben. Damit war die Katze aus dem Sack. Man müsse bereit sein, auch mal unangenehme Wahrheiten aussprechen, „und diese gehört leider dazu", begründete Kretschmer seine ungewöhnliche Offenheit bei so einem sensiblen Thema wie der Reisefreiheit und Hotelöffnung.
Überraschend kam die Ansage allerdings nicht. Es ist ein längst eingeübtes Ritual. Die Kanzlerin oder ihr Kanzleramtsminister denken laut in Interviewws oder Talkshows nach, ein befreundeter Ministerpräsident springt bei, dann gehen die Bemühungen los, in der Ministerpräsidentenkonferenz die nötige Mehrheit bis zum nächsten Bund-Länder-Treffen auf Spitzenebene zu organisieren.
Infektionsschutzgesetz vor Verlängerung
Davon hat es nach dem ersten Lockdown am 15. März vergangenen Jahres bislang knapp 20 gegeben.
Die Länderchefs pochen auf ihre jeweiligen Besonderheiten, die Kanzlerin erklärt die Beschlüsse, aber auch, dass ihr ein strikteres Vorgehen lieber wäre. Am Ende debattiert noch der Bundestag, was gerade beschlossen wurde.
Das alles läuft nach den Regelungen des Bundesinfektionsschutzgesetzes, das im vergangenen November präzisiert wurde. Unter anderem findet sich dort auch die jetzt wieder viel diskutierte „35", die Inzidenzrate, die jetzt als Zieldatum für mögliche Öffnungsschritte gilt. Nach der Erholung im Sommer galt die 35 als Richtwert, um Landkreisen, in denen die Zahlen höher stiegen, einschränkende Maßnahmen zur Eindämmung zu erlauben.
Dieses Gesetz, auf dessen Grundlage die massiven Einschränkungen fußen, müsste nun zum 31. März verlängert werden. Ginge es nach dem Kanzleramt, sollte der Zustand einer „epidemischen Lage nationaler Tragweite" für ein weiteres halbes Jahr erklärt werden. Parlamentarier wollen diesen Zustand erst mal höchstens um drei Monate verlängern. Es zeigt sich einmal mehr, wie unterschiedlich die Einschätzungen über die weitere Entwicklung sind.
Dass es überhaupt zu der Sechs-Monate-Regelung gekommen ist, wird fraktionsübergreifend damit erklärt, dass man vor einem Jahr davon ausgegangen ist, innerhalb weniger Monate sei der „Corona-Spuk" vorbei. Die zweite Welle und die Ungewissheiten um die Mutationen sprechen eine andere Sprache. Gleichzeitig gibt es aber auch Impfstoffe, die zunehmend reichlicher produziert und zur Verfügung stehen sollen, und die Zahlen sind inzwischen konstant rückläufig. Dahinter steht aber auch ein Kampf um die politischen Gewichte.
Mit der Erklärung der „epidemischen Lage" bliebe das Heft des Handelns weiter bei der Exekutive, also den Regierungen. Formal sind die Länder zuständig. Die Parlamentarier drängen auf mehr Mitsprache, Experten der Großen Koalition haben einiges in einer neuen Gesetzesvorlage reingeschrieben. Die Drei-Monats-Befristung ist die augenfälligste Änderung. Ein Schritt im Kampf um das Mitspracherecht der Parlamentarier, was auch die Kollegen in den 16 Landesparlamenten ermutigen soll, wieder mehr Selbstbewusstsein zu zeigen.
Das neue parlamentarische Selbstbewusstsein stellte in der letzten Sitzungswoche die CDU-Bundestagesabgeordnete Karin Maag unter Beweis. Die 58-jährige Direktkandidatin aus Stuttgart gilt in ihrer Fraktion nun nicht gerade als aufmüpfig: Die gesundheitspolitische Sprecherin der Union wird als fleißige Arbeiterin beschrieben. Doch bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs zur Verlängerung der epidemischen Lage schlug Maag ungewohnte Töne an: „Das ist unser Gesetzentwurf", und „wir Abgeordnete stellen hier und heute klar, dass alle für den Pandemiefall notwendigen Regelungen ausschließlich an diesen, unseren Beschluss geknüpft werden." Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zog respektvoll die Augenbrauen hoch. Von diesem Selbstverständnis war im „Hohen Hause" schon lange nicht mehr gesprochen worden. Ende Februar soll dieser Gesetz-Entwurf in die letzten Beratungen und auch verabschiedet werden. Da wird es spannend, wie viel vom neuen Selbstbewusstsein im Text drinsteht.
Debatte über Sinn von Grenzschließungen
Wie wichtig eine ausführlichere parlamentarische und damit öffentliche Debatte ist, zeigt die erneute Diskussion um das Grenzregime zu den deutschen EU-Nachbarn. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat verfügt, dass Einreisen aus Tschechien und Tirol beinahe unterbunden wurden. Grund dafür sind die hohen Infektionszahlen auf der anderen Seite mit der Corona-Mutation. In Brüssel ist man stocksauer über den deutschen Alleingang, der mit der Europäischen Union offenbar nicht abgesprochen worden ist. Seehofer konterte gleichmal zurück, in der EU solle man sich um die Impfstoffe kümmern, dann müsste er keine Grenzen schließen.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht sich für rigorose Maßnahmen aus: „Es macht keinen Sinn, bei uns über Monate alles runterzufahren, um dann die Mutationen aus den Hochrisikogebieten von draußen einzuschleppen." Dass zumindest die Pendler reisen dürfen, das haben nicht die Bundestagsabgeordneten hinbekommen, sondern es war vor allem der Druck der Wirtschaft, denn ganzen Produktionsstrecken in Bayern droht der Stillstand, wenn die Mitarbeiter nicht kommen, beziehungsweise die Lkw an der Grenze stehen.
Die Grenzdebatte wird Deutschland noch weiterverfolgen. In Frankreich zeigte man sich bereits höchst alarmiert, zu frisch sind die tiefen Verärgerungen über die Grenzschließungen im ersten Lockdown. Im Saarland, aber auch in Nordrhein-Westfalen, will man alles tun, um erneute Grenzschließungen zu den Nachbarn im Westen zu vermeiden. So wird für die Großregion im Südwesten an einem grenzüberschreitenden Pandemieplan und einer Verbesserung der Zusammenarbeit im Gesundheitssystem gearbeitet. Das Virus – und seine Mutationen – machen bekanntlich nicht an Grenzen halt. Was aber nicht ausschließt, dass es am Ende doch zu drastischen Maßnahmen – mit all den weitreichenden Konsequenzen – kommen könnte.