Unter der Ägide des vor fünf Jahren verstorbenen Guido Westerwelle erlebte die FDP den größten Triumph ihrer Geschichte. Am Ende seiner 30 Jahre währenden Polit-Karriere musste er aber auch den tiefsten Absturz seiner Partei miterleben.
Diesen für Außenstehende mehr als überraschenden Persönlichkeitswandel hatte ihm wohl niemand zugetraut. Wie kaum ein anderer Politiker der jüngsten Vergangenheit stand Guido Westerwelle für ständige Provokation im Lautsprecher-Format. Doch nach dem Ausscheiden aus dem Berliner Rampenlicht im Herbst 2013 nach der für die FDP desaströsen Bundestagswahl und vor allem nach der Diagnose einer schweren Blutkrebserkrankung im Juni 2014 lernte die deutsche Öffentlichkeit plötzlich einen leisen, nachdenklichen und weichen Guido Westerwelle kennen, dem politischer Streit nicht mehr wichtig war. Vielmehr hatte sich der neue Westerwelle gedanklich plötzlich für ihn wesentlich elementaren Dingen des Lebens zugewandt. An die Seite seiner glühenden Leidenschaft für zeitgenössische Kunst gesellten sich Themen, die sich allesamt um seine gefährdete Gesundheit rankten, verbunden mit der von ihm bis zuletzt gehegten Hoffnung auf baldige Genesung.
Und natürlich der Hoffnung auf die Fortsetzung des glücklichen Zusammenseins mit seinem Partner Michael Mronz, einem Sport- und Eventmanager, den er 2010 geheiratet hatte. Alles ungewöhnlich offenherzig niedergeschrieben und nachzulesen in seinem im November 2015 veröffentlichten Buch „Zwischen zwei Leben", für dessen Promotion er in körperlich sichtlich angeschlagenem Zustand nach mehreren Chemo-Therapien und einer Stammzellentransplantation sogar wieder in Talkshows an der Seite von Moderatoren wie Günther Jauch oder Markus Lanz aufgetaucht war. Das brachte dem Schwerkranken ungewöhnlich viele Sympathiebekundungen ein, doch wenig später verschlechterte sich sein Gesundheitszustand so dramatisch, dass er sich erneut zur stationären Behandlung in die Kölner Uniklinik begeben musste. Am 18. März 2016 verstarb er dort an den Folgen seiner Leukämie-Erkrankung im Alter von gerade einmal 54 Jahren.
Westerwelle war am 27. Dezember 1961 als Sohn eines Rechtsanwalt-Ehepaars in Bad Honnef bei Bonn geboren worden. Nach seinem Abitur 1980, seinem zweiten juristischen Staatsexamen 1991 und seiner Promotion zum Doktor der Rechtswissenschaften 1994 legte er eine politische Senkrechtstarter-Karriere hin. Dabei zählte Westerwelle auf seinen jeweiligen, immer weiter nach oben führenden Positionen stets zu den Jüngsten. Schon 1980, mit gerade einmal 18 Jahren, war er in die FDP eingetreten und zählte zwei Jahre später zu den Mitbegründern der Jungen Liberalen, die er als Gegenpol zu den aus seiner Sicht zu linkslastigen Jungdemokraten ins Leben gerufen hatte. Den Vorsitz bei den Jungen Liberalen, den er von 1983 bis 1988 bekleidet hatte, nutzte er als Sprungbrett in die Bonner Polit-Szene, in die er ab 1988 als Mitglied des FDP-Bundesvorstandes, ab 1994 mit gerade mal 32 Jahren als FDP-Generalsekretär und ab 1996 als Bundestagsabgeordneter eingestiegen war. Die Arbeit in der Bonner Anwaltskanzlei seines Vaters, die er bis 1994 wohl nur als berufliches Sicherheits-Back-up fortgeführt hatte, war fortan Geschichte.
2009 mit 14,9 Prozent bestes Wahlergebnis
Westerwelle, der den Ober-Liberalen Hans-Friedrich Genscher zu seinem Ziehvater auserkoren hatte, drängte sich fast überall in die erste Reihe, wollte stets angriffslustig auffallen um jeden Preis. Das gelang ihm allein schon durch seine Lautstärke und sein großes rhetorisches Talent, das ihn bald zu einem der besten Redner des Bundestages machen sollte. Er teilte in unterkühlt-arrogant, oft sogar besserwisserisch wirkender Manier kräftig aus. Vor allem in Richtung dessen, was von ihm als linkes Gedankengut abgestempelt wurde. Und er lenkte seine Partei durch die Formulierung der sogenannten Wiesbadener Grundsätze 1997 auf den strikten Kurs des Neoliberalismus, in dem die Interessen der Wirtschaft vor den klassischen Themen der Liberalen wie Freiheit des Individuums oder Bewahrung der Bürgerrechte in den Vordergrund gerückt wurden. Damit war klar, dass die FDP bei der ersehnten Rückkehr in die Regierungsverantwortung nach der rot-grünen Wende des Jahres 1998 mit der CDU/CSU eigentlich nur einen einzigen potenziellen Partner finden konnte.
An die Oppositionsrolle konnte sich die Dauer-Regierungspartei FDP, die bis heute in der Bundesrepublik mit 45 Jahren Machtbeteiligung einzigartig dasteht, nur schwer gewöhnen. Der Niedergang unter dem Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt Ende der 90er-Jahre nahm immer dramatischere Züge an – bis die FDP Anfang 2001 nur noch in fünf Landesparlamenten vertreten war, wofür vor allem auch ihre Selbstpositionierung als „Partei der Besserverdienenden" verantwortlich war. Nun sah Westerwelle seine Stunde gekommen. Mit seinen 39 Jahren wollte er ganz nach oben und hatte keinerlei Skrupel, mit dem Abservieren Gerhardts eine Art Königssturz zu inszenieren. Um den FDP-Vorsitz zu erreichen, sicherte er sich die Unterstützung von Jürgen Möllemann, dem starken Mann der Partei aus Nordrhein-Westfalen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 ließ er sich von diesem zum ebenso spektakulären wie viel belächelten „Projekt 18" überreden. Die Vorgabe lautete: Von gerade mal 6,2 Prozent 1998 sollte der Stimmenanteil der FDP beim Urnengang 2002 auf 18 Prozent erhöht werden.
Westerwelle wollte die Klientelpartei auf einen Schlag in eine Partei fürs ganze Volk verwandeln und sich damit vom Stigma der Besserverdiener-Vertretung befreien. Dafür trat Westerwelle beim Wahlkampf mit seinem gelben Guidomobil sogar in die Fußstapfen des Gute-Laune-Liberalen Walter Scheel und dessen „Hoch auf dem gelben Wagen"-Klamauk. Der Karrieremensch Westerwelle scheute sogar vor populistischen Anbiederungen wie dem Besuch der RTL-Trash-Show „Big Brother" nicht zurück. Bei TV-Auftritten präsentierte er sich in Schuhen, in deren Sohlen die Zahl 18 eingraviert war. Damit war der „Spaßpolitiker" Westerwelle geboren, ein gewisser Ruch des Unseriösen, den er später niemals wieder gänzlich loswerden konnte. Zumal er auch noch als erster Liberaler eine offizielle Kanzlerkandidatur angemeldet hatte.
Immerhin zählte die FDP 2002 mit 7,4 Prozent letztlich tatsächlich zu den Wahlgewinnern, wobei sie die Affäre um die mit anonymen Spenden finanzierte und inhaltlich latent antisemitische Möllemann-Flugblatt-Aktion in letzter Minute einige Stimmen gekostet haben dürfte. Von den angestrebten 18 Prozent wäre sie aber auch damit wohl meilenweit entfernt geblieben.
In den folgenden Jahren versuchte Westerwelle das Luftikus-Kostüm abzustreifen und baute die FDP im Stile einer One-Man-Show zu einer oppositionellen Kampfmaschine aus, die bei der Bundestagswahl 2005 immerhin bereits 9,8 Prozent erringen konnte. Ein Jahr zuvor hatte er sich erstmals öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt, als er Michael Mronz als seinen Begleiter auf der Feier zum 50. Geburtstag von Bundeskanzlerin Angela Merkel präsentierte, mit der zusammen er gerade die Wahl des CDU-Kandidaten Horst Köhler zum Bundespräsidenten gemanagt hatte.
2011 von Philipp Rösler entmachtet und beerbt
Im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 hatte Westerwelle seine Partei als idealen Partner besonders für den Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion positioniert. Unter dem Motto „Niedrig, einfach und gerecht" warb die FDP um Wählerstimmen als konkurrenzlose Steuersenkungspartei. Am Abend des 27. September 2009 konnte die FDP mit sagenhaften 14,9 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte einfahren. Logisch wäre gewesen, dass Westerwelle in den folgenden Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU neben der automatischen Vize-Kanzlerschaft das Finanzministerium für sich beansprucht hätte, um die FDP-Steuersenkungspläne durchsetzen zu können. Doch stattdessen entschied er sich, ohne jegliche Erfahrungen auf diplomatischem Parkett, für das Amt des Außenministers. Dieses wurde in den Reihen der FDP gewissermaßen als Erbhof angesehen und zudem konnte es seinem Inhaber erfahrungsgemäß einen gehörigen Popularitätsschub verschaffen.
Da die Erfüllung des FDP-Wahlversprechens schnell am Veto der CDU/CSU wegen Unfinanzierbarkeit gescheitert war und Westerwelle in seiner Rolle als Außenminister in allerlei Fettnäpfchen trat und dadurch zum meist kritisierten diplomatischen Amtschef der deutschen Geschichte wurde, begann sein Stern in der eigenen Partei schnell zu sinken. Kontrovers diskutiert wurde vor allem die von ihm veranlasste Enthaltung der Bundesrepublik beim Waffengang in Libyen. Auch wurde ihm vorgeworfen, seinem ihn bei Auslandbesuchen häufig begleitenden Partner Mronz geschäftliche Aufträge vermittelt zu haben. Legendär auch sein Ausspruch von „spätrömischer Dekadenz" im Zusammenhang mit der Novellierung der Hartz-IV-Reform.
2011 wurde Guido Westerwelle parteiintern entmachtet, durfte nur noch die Position des Außenministers behalten und musste 2013 unter dem jungen Parteichef Philipp Rösler die größte Niederlage der FDP mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag miterleben. Ende Dezember 2013 verabschiedete sich Westerwelle aus der Politik und wollte sich nur noch Privatem und seiner „Westerwelle Foundation", einer Stiftung zur weltweiten Demokratie-Förderung, widmen.