Der XT4 ist das derzeit einzige Modell, das Cadillac in Europa vermarktet. Er zählt ausgerechnet zum Allerwelts-Segment der Kompakt-SUV. Wie passt das zum Exotenstatus, den die Marke hierzulande hat? Ein Fahrbericht.
Cadillac. Das klingt im Ohr. Noch wach sind – wenn vielleicht auch eher bei Menschen mit einer gewissen Lebenserfahrung – die Erinnerungen an die ausufernden Schlitten mit Gebirgen von Heckflossen, die das schillernde Image der amerikanischen Marke V8-blubbernd ab den 50ern lange Zeit prägten. In der Popkultur lebte es fort, mit Hits von Aretha Franklin oder Natalie Cole. Nun baut Cadillac sein erstes Kompakt-SUV. Ein Fahrzeug für ein Massensegment, in dem es schwer werden dürfte, noch herauszustechen. Allemal mit Vierzylindermotoren.
Glaubt man Conark Shah, Geschäftsführer von Cadillac Europe, dann ist die Mission geglückt. Nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) fiel 2020 nahezu jede dritte Neuzulassung in das Segment der SUV und Geländewagen. Im nun schon etliche Jahre andauernden SUV-Boom ist das Angebot in Deutschland mittlerweile auf mehr als 100 Modellreihen angewachsen. Doch Shah sagt, das Cadillac-Modell spreche Kunden an, „die ein außergewöhnliches Automobil suchen, das alles bietet, was einen Cadillac von den Mitbewerbern unterscheidet."
Beginnen wir die Suche nach diesen Genen. Das neue Auto heißt wenig schillernd XT4, steht damit aber wenigstens in der Tradition der kryptischen Nomenklatur von Modellen wie SRX, STR oder XLR und dem größeren SUV XT5, die Cadillac in der jüngeren Geschichte in Europa als vorläufig letzte Vertreter der US-Marke in Europa anbot. Von außen betrachtet fällt der XT4 buchstäblich nicht aus dem Rahmen, den Konkurrenten von Volvo, BMW oder Audi vorgeben. Mit 4,59 Meter Länge scheint der XT4 maßgeschneidert fürs Segment.
Üppige Ausstattung serienmäßig
In gestalterischen Details liegt ein Schuss Exzentrik. Die L-förmigen Frontleuchten sowie die ähnlich geformten und bis an die Dachkante hochgezogenen Heckleuchten knüpfen an die Ästhetik manches Vorgänger-Cadillacs an. Diesen Hauch von Extravaganz wagt im Grunde nur der französische DS7 Crossback, der vielleicht direkteste Konkurrent. Oder ein Volvo XC40. Die Leuchten, allesamt mit LED-Technik bestückt, markieren zugleich aber schon die Grenzen der Abweichung vom Massengeschmack – wer will schon die Verkaufschancen schmälern? Zumal der Absatz nie sehr hoch war. Mit seinem vor allem im Vergleich zur deutschen Premium-Konkurrenz günstigen Einstiegspreis dürfte der XT4 für Cadillac-Verhältnisse jedoch gute Absatzzahlen erzielen.
So spielt auch das US-Auto, entwickelt auf einer neuen Basisarchitektur für kompakte Crossover, mit dem Status quo – was in vielerlei Hinsicht nicht schlecht ist. SUV verkaufen sich ja auch deshalb so gut, weil sie viele Bedürfnisse stillen: Sie bieten viel Platz und eine hohe Sitzposition fürs Ego und faktische Übersicht im Verkehr – der XT4 besitzt 637 Liter Stauvolumen, bei umgelegten Sitzen sogar 1.385 Liter. Sie fungieren allein aufgrund ihrer Wuchtigkeit als Statussymbol – was in Verbindung mit dem Cadillac-Logo je nach Eitelkeit des Kunden besonders gut funktioniert. Und sie suggerieren nicht nur, sondern bieten auch viel Sicherheit – zumindest sind Serienausstattung und Optionsliste an Fahrerassistenzsystemen üppig und teils auch besonders findig, wie die sich selbstreinigende Linse der Rückspiegelkamera zeigt, die zur Umfeldüberwachung beiträgt.
Serienmäßig an Bord sind etwa eine verlässlich funktionierende Querverkehrswarnung hinten und ein Spurhalteassistent, der allerdings etwas spät reagiert. Ohne Aufpreis geliefert werden ebenfalls Komfortmerkmale wie Massagesitze mit Memory-Funktion und Klimatisierung, beheizbares Lenkrad oder eine elektrische Heckklappe mit Fuß-Kick-Steuerung. Die Verarbeitung ist tadellos, und praktisch für die Stromversorgung von Gadgets und Handys sind die vier USB- und USB-C-Schnittstellen. Kabelloses Laden kostet aber ebenso Aufgeld wie eine 360-Grad-Kamera, ein Parkassistent oder adaptiver Tempomat mit Stop-and-go-Funktion oder das prima ablesbare Head-up-Farbdisplay.
Intuitiv bedienen lässt sich das Infotainment-System im Testwagen entweder über das optionale Acht-Zoll-Touch-Farbdisplay oder den bei Cadillac neuen Dreh-Drück-Schalter in der Mittelkonsole, toll klingt das Bose-Surround-Sound-System mit 13 im Auto verteilten Lautsprechern. Während das Angebot sich im Grunde mit dem der Konkurrenz deckt, ist einzig die Sitzvibration eine Cadillac-Spezialität: Fährt man zu dicht auf, spürt man dies gleich im Gesäß; setzt man zum Überholen an, und jemand ist im toten Winkel, warnt vibrierend die linke Sitzflanke. Das ist gewöhnungsbedürftig und einer der wenigen feinen Unterschiede.
Verbrauch deutlich über den Angaben
Gegenüber dem gigantischen Escalade, Paradebeispiel für die Überdosierung und Inkompatibilität im engen Stadtverkehr der Gattung SUV in vielerlei Hinsicht, ist unser Testwagen motortechnisch kastriert, zumindest halbwegs. Der Turbodiesel 350D, neben dem Allrad-Benziner 350T die einzige Motorisierung, bezieht seine Kraft aus vier statt acht Zylindern. Das ist unter Einhaltung der Abgasnorm 6d wohl zwar ein Schritt in die richtige Richtung, wenn man aus der alten V8-Welt kommt. Doch es schreit angesichts zum Beispiel des CO2-Ausstoßes von 180 Gramm je Kilometer kaum nach einem Öko-Rekord.
Gleiches gilt für den Verbrauch des selbst im warm gefahrenen Zustand deutlich vernehmbaren Selbstzünders, von dem Cadillac behauptet, er biete „geringes Geräusch- und Vibrationsniveau": 6,7 Liter im Mix sollte er laut Hersteller schlucken, nach unseren Fahrten standen 7,8 Liter im 2WD-Betrieb beziehungsweise 8,2 Liter bei zugeschaltetem Allrad im Display, das interessanterweise keine Digital-Instrumente besitzt – was dem Premium-Anspruch zuwiderläuft. Gegen Aufpreis agiert der Allradantrieb adaptiv und besitzt dann zwei Kupplungen am Differential, die die Hinterräder je nach Fahrsituation entkoppeln oder radweise Drehmoment beisteuern. Nur der Benziner wird auch mit reinem Frontantrieb angeboten. Solche Ausgefuchstheiten beim Antrieb gibt es, doch eine Elektrifizierung des Stranges hat Cadillac beim XT4 nicht realisiert. Wer ein E-SUV von Cadillac will, muss auf den Lyriq warten, der wohl aber erst ab 2022 produziert wird, Medienberichten zufolge aber nach Deutschland kommen soll.
Deutlich eher Cruiser als Sportler
Unser Testwagen ist mit einem aktiven Sportfahrwerk (Aufpreis: 950 Euro) ausgestattet, das über Sensoren die Fahrbahn in Echtzeit abscannt und die Dämpfungsraten anpasst, so ist zu lesen. Nicht mehr schwammig wie früher bei Cadillac, sondern ziemlich straff fühlt sich das vor allem an, wenn es über Unebenheiten und in scharfe Kurven geht, und sorgt so gesehen für eine höhere Fahrdynamik. Doch dem Sportsgeist macht die zwar geschmeidig, aber auch etwas behäbig schaltende Neun-Gang-Wandler-Automatik einen Strich durch die Rechnung. Auch weil der Zweiliter-Diesel nicht sonderlich spritzig ist, belassen wir es beim Cruisen, in dem der XT4 ebenfalls Qualitäten besitzt – das passt dann auch schön zum alten Klischee der Straßenkreuzer, falls das Cadillac-Emblem im beheizbaren Lenkrad einen nostalgisch stimmen sollte.
Bei Cadillac kann man ohnehin nostalgisch werden. Beim XT4 konkret, weil er sich kaum mehr abhebt im Meer der Kompakt-SUV. Und auch etwas grundlegender. Denn in Europa ist der XT4 das einzige verbliebene Neuwagenmodell von Cadillac und laut Geschäftsführer Shah „maßgeschneidert" für hiesige Kunden; nur hier wird es vermarktet. Authentisches US-Flair versprüht das nicht – wenngleich das Auto im GM-Werk in Kansas City vom Band läuft.