Ordnung und Kompaktheit machen das Spiel von Union Berlin aus, doch davon war bei der Pleite in Frankfurt phasenweise nichts zu sehen. Trainer Urs Fischer hofft auf einen Lerneffekt.
Schon im Kinderfußball lernen die Knirpse folgende Regel: Spiele den Rückpass zum Torwart immer neben das Tor! Warum das so wichtig ist, wurde dem Bundesligaprofi Robert Andrich jetzt wieder schlagartig bewusst. Der Mittelfeldspieler von Union Berlin passte den Ball blind aus großer Entfernung zurück aufs eigene Tor, das Keeper Andreas Luthe aber verlassen hatte, um sich seitlich anzubieten. Der Ball trudelte über die Linie – und Union erlebte einen in dieser Saison noch nicht erlebten Einbruch. Das kuriose Eigentor im Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt war der Auftakt eines chaotischen Sechs-Minuten-Auftritts der Unioner, der mit drei Gegentreffern bestraft wurde. Am Ende stand eine 2:5-Auswärtsniederlage, die höchste in dieser Saison für den Tabellensiebten. „Das war eklatant in der ersten Halbzeit, ganz klar", kritisierte Torjäger Max Kruse, der für das zwischenzeitliche 1:1 gesorgt hatte. „Wir haben uns auf das Frankfurter Spiel eingelassen, haben uns breit ziehen lassen. So war das ein offener Schlagabtausch, den wir uns gegen eine so starke Frankfurter Mannschaft nicht leisten dürfen." Und Fehler wie den von Andrich auch nicht. Doch Vorwürfe gab es von den Teamkollegen keine. „Das passiert", sagte Torwart Luthe, der bei der Aktion auch noch weggerutscht war und deshalb das Eigentor nicht verhindern konnte. Etwas ironisch beschrieb Luthe die Szene so: „Ich habe mich an der Seite angeboten, aber er hat den Ball einfach zu gut getroffen." Andrich selbst war zwar nicht nach Lachen zumute, aber zu lange wollte er über seinen Fauxpas auch nicht grübeln. „Ich habe versucht, es schnell abzuhaken", sagte der 26-Jährige. „Es waren ja noch 70 Minuten zu spielen, da kann ich mich nicht eingraben." Der kampf- und willensstarke Mittelfeldrenner erwartete „eine schlaflose Nacht", ehe er die bittere Pleite in Frankfurt endgültig hinter sich lassen wollte.
Drei Ggegentore in sechs Minuten
Zum Glück ist durch die Länderspielpause etwas Zeit bis zum nächsten Ligaspiel, denn dort müssen Andrich und Co. auch mental voll auf der Höhe sein: Am Ostersonntag (4. April, 18 Uhr) kommt es im Stadion an der Alten Försterei zum Stadtderby gegen Hertha BSC. Nach der 3:1-Niederlage im Hinspiel haben die Köpenicker noch eine Rechnung offen, außerdem könnte Union den abstiegsbedrohten Rivalen mit einem Sieg noch dichter an den Abgrund zur Zweiten Liga schießen.
Dass die Eisernen das Zeug dazu haben, war in Ansätzen sogar bei der Pleite bei der Eintracht zu erkennen. Die Bilanz von 9:23 an Torschüssen ist für eine Gastmannschaft in Frankfurt bemerkenswert. „So viele Chancen habe ich in der Bundesliga noch nicht gesehen", sagte Luthe und schüttelte ungläubig den Kopf. Die Partie hätte auch gut und gern 5:2 für Union ausgehen können – doch dafür fehlte den Gästen an diesem Tag die Kaltschnäuzigkeit. „Wir haben aus unseren Riesenchancen am Ende leider kein Tor gemacht", haderte Andrich. In der zweiten Halbzeit habe man „fast auf ein Tor" gespielt, „das muss uns Auftrieb geben". Auch Trainer Urs Fischer war mit der zweiten Halbzeit zufrieden, „da hat die Mannschaft eine tolle Reaktion gezeigt". Doch der Schweizer wollte die ersten 45 Minuten deswegen keinesfalls vergessen. Im Gegenteil: Fischer sah wegen der wilden Minuten noch reichlich Gesprächsbedarf mit seinen Profis. „Wenn du so Fußball spielst, wie wir in der ersten Halbzeit, ohne Organisation, ohne Kompaktheit, dann kriegst du auch mal drei Stück in sechs Minuten", sagte Fischer, „dann läufst du nur hinterher." Der Coach sprach hinterher von einem „Lernprozess, wie man sich in der Ersten Liga verhalten muss".
Die Botschaft war eindeutig: Ohne Kompaktheit und Ordnung kann Union in der Bundesliga nicht bestehen. Bei den Spielern kam die Message an. „Wir müssen in erster Linie unser Tor verteidigen", forderte Kruse, obwohl er mit reichlich Stürmer-Blut gesegnet ist. Die defensive Stabilität ist eigentlich das, was Union seit dem Bundesliga-Aufstieg 2019 so stark gemacht hat. Was bei den Gegnern für reichlich Kopfzerbrechen gesorgt hat. Was das Team in dieser Saison zu einem Europacup-Anwärter gemacht hat. Fischer achtet selbst in jedem Trainingsspiel penibel auf die Einhaltung der Ordnung, selbst Instinktfußballer Kruse darf nicht über die Maßen aus der Reihe tanzen. „Organisation ist wichtig, und mir ist sie besonders wichtig", sagte der Schweizer kürzlich. „Sonst besteht die Gefahr, dass es wild wird." So wie in Frankfurt. Eine solche Unordnung wie in der ersten Halbzeit ist für Fischer deutlich schmerzhafter als die verlorenen drei Punkte. Und als ein Eigentor, das wohl in jedem sportlichen Jahresrückblick einen Platz finden wird. „Da war auch ein bisschen Pech dabei, der Ball ist halt zu fest Richtung Tor gespielt", sagte Fischer. „Solche Tore können mal passieren. Was aber nicht sein kann, ist das, wie wir uns in der ersten Hälfte präsentiert haben." Fischer sprach diese Dinge in Videositzungen deutlich an und legte bei den Übungen noch mehr Wert auf Organisation als ohnehin. Sein klarer Auftrag ans Team für das kommende Stadtderby: „Wir müssen immer kompakt und eklig sein." Und zwar auch dann, wenn die Emotionen überkochen sollten.
Mit Optimismus ins Derby
Die zweite Reihe sollte diese Forderung schon im für Donnerstag angesetzten Testspiel gegen den Zweitligisten Eintracht Braunschweig umsetzen. Profis wie Christian Gentner, Leon Dajaku oder Keita Endo, die zuletzt gar nicht oder nur wenig zum Einsatz gekommen waren, konnten sich im Test empfehlen. „Das tut den Jungs gut", meinte Fischer, der auch deswegen mit Optimismus ins Duell gegen die Hertha geht: „Ich gehe davon aus, dass es keinen Bruch in der Leistungsfähigkeit gibt." Dass Union im Derby beweisen kann, dass es zu Recht die aktuelle Nummer eins in Berlin ist, spiele laut Fischer keine Rolle. Genauso wenig wie die nach wie vor vorhandenen Chancen auf die Europacup-Teilnahme in der kommenden Saison. Man gehe aus einem inneren Antrieb „auf das Feld, um zu gewinnen", sagte Fischer. Von Bonus-Motivationen hält der Coach wenig. Das deutliche Ergebnis in Frankfurt sollte für jeden Spieler Ansporn genug sein, es gegen die Hertha besser zu machen.
Erschwert wird die Vorbereitung jedoch durch die Länderspielabstellungen, die in der dritten Corona-Welle für die Clubs noch ärgerlicher sind und noch größere Planungsunsicherheiten mit sich brachten. Bei Union waren Kapitän Christopher Trimmel (Österreich), Marcus Ingvartsen (Dänemark), Julian Ryerson (Norwegen) und Joel Pohjanpalo (Finnland) europaweit verstreut. Vorerst musste Fischer im Training auch auf die für die U21-EM nominierten Nico Schlotterbeck (Deutschland) und Peter Musa (Kroatien) verzichten.