Nach der Machtübernahme Mao Zedongs und seiner Kommunistischen Partei brach zwischen den USA und China eine politische Eiszeit an. Ein US-Hippie und ein chinesischer Kommunist, die sich bei der Tischtennis-WM 1971 im japanischen Nagoya anfreundeten, leiteten das Tauwetter zwischen beiden Ländern ein.
Für die chinesischen Tischtennisspieler könnte der Amerikaner Glenn Cowan ebenso gut ein Marsmensch sein: Wie er so dasteht, in ihrem Mannschaftsbus, mit seinen schulterlangen Haaren, seinem Hippie-Schlapphut und dem Kürzel „USA" auf dem Rücken seiner Trainingsjacke. Keiner der Chinesen sagt ein Wort und Cowan fragt in die starrende Stille hinein: „Spricht irgendjemand Englisch hier?" Im hinteren Teil des Buses kramt einer der Chinesen in seiner Tasche. Es ist kein Geringerer als der dreimalige Tischtennisweltmeister im Einzel, Zhuang Zedong. Nach einigem Zögern kommt er nach vorn und streckt Cowan die rechte Hand entgegen, der sie mit einem Lächeln annimmt. „Weißt du, wer ich bin?", lässt Zedong durch den Übersetzer im Stab fragen. Cowan nickt. Zedong gibt Cowan ein auf Brokatseide gesticktes Bild, das die senkrecht abfallenden Berghänge Huang Shans zeigt, und sagt: „Auch wenn unsere Regierungen nicht befreundet sind, übergebe ich dir dieses Geschenk als Zeichen der Freundschaft zwischen dem chinesischen und dem amerikanischen Volk."
Diese Begegnung der beiden Sportler am 4. April 1971 bei der Tischtennis-Weltmeisterschaft im japanischen Nagoya schlug in den nächsten Tagen politische Wellen, die weit über den Rand einer Tischtennisplatte hinausgingen. Der Handschlag zwischen den beiden war die Geburtsstunde dessen, was später als „Ping-Pong-Diplomatie" in die Geschichte eingehen wird. Ob der Amerikaner Glenn Cowan damals auf dem Weg zum Wettkampfstadion schlicht aus Schusseligkeit in den falschen Bus einstieg oder ob er auf den des chinesischen Teams wartete, um aus persönlichem politischem Interesse Kontakt aufzunehmen, ist bis heute unklar. Klar ist: Cowan flog am selben Tag aus dem Herren-Einzel-Wettbewerb und nutzte den Rest des Tages, um ein Geschenk für Zhuang zu kaufen. Er fand ein rot-blau-weißes T-Shirt, das Peace-Zeichen und US-Flagge mit der Aufschrift „Let it be" kombinierte und kaufte zwei davon. Eines für sich und eines für Zhuang Zedong.
Als der 19-jährige Amerikaner am nächsten Tag in der Präfektur-Sporthalle Aichi seinem chinesischen Tischtennisfreund das T-Shirt vor versammelter Presse überreichte, löste das eine weltweite Medienlawine aus, deren Schlagzeilen von „chinesisch-amerikanischer Annäherung" sprachen. Sportlich ist zu erwähnen, dass der wohl wichtigste WM-Titel, das Herren-Einzel, am Ende von einem 18-jährigen Europäer gewonnen wurde. Dieser Sieg war der Startschuss zur legendären Tischtenniskarriere des Schweden Stellan Bengtsson.
Erst Freundschaft, dann Wettbewerb
Dass kein Chinese das Herren-Einzel gewann, war für Chinas „Großen Vorsitzenden" Mao Zedong zweitrangig. Er sah seine Tischtennis-Delegation in einer Botschafter-Rolle. Maos Motto für die Mannschaft: „Freundschaft zuerst, dann Wettbewerb". 22 Jahre war China diplomatisch isoliert gewesen. Im Koreakrieg (1950 – 1953) unterstützte China die Nordkoreaner, und chinesische „Freiwilligenverbände" kämpften gegen amerikanische Soldaten. Der Vietnamkrieg war 1971 noch in vollem Gange. China unterstützte dort den Vietcong und das kommunistische Nordvietnam, das westlich orientierte Südvietnam wurde von den USA unterstützt. Die Kriege in Korea und Vietnam waren als Stellvertreterkriege Teil des Kalten Krieges zwischen den beiden unterschiedlichen politischen Systemen des Westens und des Ostens.
Vor diesem Hintergrund barg jeglicher direkter diplomatischer Annäherungsversuch Chinas an die USA das Risiko eines Gesichtsverlustes. US-Präsident Richard Nixon machte die Öffnung zu China zur Top-Priorität seiner Administration. Nixon sah in China den Schlüssel zu einer Lösung im Vietnamkonflikt. Doch diplomatisch direkt auf China zuzugehen war im antikommunistischen Klima in den USA schwierig und wäre ihm von seinen politischen Gegnern wohl als Beschwichtigungspolitik gegenüber den „Roten" ausgelegt worden. Damals wie heute konnte und kann Sport Politik mit anderen Mitteln sein. Mao sah im Tischtennis eine diplomatische Trumpfkarte, die er auch in Nagoya einsetzen wollte und nannte das Spiel einst Chinas „spirituelle Nuklearwaffe". Er schickte eine 60-köpfige chinesische Delegation in gleich zwei Flugzeugen zur Tischtennis-WM nach Japan.
Dass Tischtennis lange vor dieser WM 1971 in Japan der beliebteste Volkssport im Reich der Mitte war, war stets politisch auch gewollt. Tischtennis war leicht landesweit zu etablieren, benötigte wenig Ausrüstung und konnte auch in den ärmsten und hintersten Teilen des Riesenreiches praktiziert werden. Alles, was man brauchte, war eine Platte aus Holz, zwei Holzschläger, die man notfalls selbst sägen und zusammenkleben konnte und einen kleinen Ball, der früher aus Zelluloid bestand und noch nicht aus Plastik.
Erste Öffnung nach Kulturrevolution
Bereits bei der Tischtennis-WM in China 1961 wurde der Sport politisch instrumentalisiert. Nach drei Jahren Hungersnot, die chinaweit wohl bis zu 55 Millionen Opfer gefordert hatte, fungierte die WM als strahlendes sportliches Kontrastprogramm zur politisch-wirtschaftlichen Katastrophe und sollte nach innen und nach außen signalisieren, dass die Welt im Reich der Mitte in Ordnung sei. Der große sportliche Erfolg der einheimischen Spieler bei diesem Event machte den Sport im gesamten Riesenreich populär. Einer der Volkshelden damals war der Sieger des prestigeträchtigen Herren-Einzels, Zhuang Zedong – der dann zehn Jahre nach seinem ersten WM-Titel dem US-Boy Glenn Cowan im Mannschaftsbus der Chinesen die Hand reichte.
1966 kam die Kulturrevolution nach China, die alles auf den Kopf stellte. Die berüchtigten Roten Garden witterten überall Klassenfeinde und bekämpften, verprügelten oder töteten sie. Sie beschlagnahmten Privateigentum, Privilegien waren verdächtig. Sogar sportliche Begabung wurde bestraft. Zhuang Zedong, zu dieser Zeit dreifacher Weltmeister im Einzel, erhielt daraufhin Trainingsverbot. Seit der WM 1965 in Ljubljana hatte China an keiner Tischtennis-WM mehr teilgenommen. Sportlich und politisch verunsichert, flog die Mannschaft, angeführt von Zedong, nach Japan. Seine Freundschaftsgeste gegenüber dem US-Spieler Cowan war in der Zeit des Kalten Krieges ein gefundenes Fressen für die internationalen Pressevertreter und gipfelte in einer Sensation. Am 7. April 1971, um genau 14.40 Uhr, am letzten Tag der Weltmeisterschaft in Nagoya, tickerte die japanische Nachrichtenagentur Kyodo einen Bericht um den Globus, der verkündete, dass China die US-Tischtennis-Delegation zu einem offiziellen Besuch eingeladen hatte. Wer genau die Einladung auf den Weg brachte, wird bis heute kontrovers diskutiert. Die Chinesen sagen, dass Roy Evans, der langjährige Präsident des internationalen Tischtennisverbandes, ihnen vorschlug – da sie ohnehin planten, andere Teilnehmerländer auf dem Rückweg vom Turnier nach China einzuladen – auch die US-Spieler willkommen zu heißen. Es war eben dieser Internationale Tischtennisverband (ITTF), der 1951 als erster Sportverband weltweit überhaupt die kommunistische Volksrepublik China als Mitglied aufgenommen hatte.
China wieder als Partner willkommen
Mao lehnte die Idee, die amerikanischen Spieler nach China einzuladen, zuerst als zu früh ab. Doch letztlich erkannte er die Chance zum diplomatischen Schmetterball, der ihm hier präsentiert wurde. Am 10. April 1971 setzte die 15-köpfige US-Delegation, darunter neun Spieler und Spielerinnen, Fuß auf chinesischen Boden. Offiziell empfangen wurden sie in der Großen Halle des Volkes in Peking. Der chinesische Premier Zhou Enlai sprach in seiner Begrüßungsrede von „einem neuen Kapitel in den Beziehungen zwischen dem amerikanischen und dem chinesischen Volk. Ping-Ping-Diplomatie ist zu einem diplomatischen Werkzeug geworden und ein kleiner weißer Ball hat die Welt in Bewegung gebracht."
Dem Besuch der US-Tischtennissportler in China folgte im Juli 1971 die heimliche Reise des damaligen Nationalen Sicherheitsberaters Henry Kissinger nach Peking, die den historischen Besuch von US-Präsident Nixon in China vorbereiten sollte. Nach Nixons China-Reise im Februar 1972, trat China noch im selben Jahr den Vereinten Nationen bei, und die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Peking und Washington normalisierten sich schrittweise. So wurde die Begegnung zwischen zwei Tischtennisspielern zum Auslöser des politischen Tauwetters zwischen den USA und China, das schließlich Chinas politische Isolation beendete. Waren es vor der Tischtennis-WM in Nagoya 1971 gerade mal 32 Länder, die mit China diplomatische Beziehungen pflegten, waren es schon im Folgejahr des Turniers mehr als 100.