Gegen seinen Ex-Club Hertha BSC ist Robert Andrich immer besonders heiß. Das war diesmal nicht anders, zumal der Mittelfeld-Antreiber noch mit einer zusätzlichen Motivation ins Derby ging.
Robert Andrich schnappte sich flink den Ball aus dem Netz, er drängte dabei sogar ein paar seiner Teamkollegen weg. Dann steckte sich der Torschütze den Ball unter sein Trikot – und lüftete damit im giftigen Stadtderby sein süßes Baby-Geheimnis. „Ich habe gehofft, dass ich ein Tor schieße. Dann brauche ich nicht jedem einzelnen Freund zu schreiben", sagte der Mittelfeldspieler von Union Berlin. „Wer das Spiel geguckt hat, dem ist es relativ klar. Wir freuen uns sehr darüber."
Mit Vaterglück und reichlich Motivation war Andrich eine der prägenden Figuren beim 1:1 im Derby am Ostersonntag, das hart umkämpft war, aber wenig spielerische Highlights zu bieten hatte. Eins war in jedem Fall Andrichs 1:0-Führungstreffer mit einem satten Linksschuss. „Ich sehe es gerade: super Tor von mir, das mache ich echt gut", sagte Andrich im Sky-Interview schmunzelnd. Der 26-Jährige, der mit seiner Roten Karte im Hinspiel die 3:1-Niederlage mit zu verantworten hatte, gab zu, sich über den Treffer „mega gefreut" zu haben. Auch, weil Andreas „Zecke" Neuendorf im Vorfeld gestichelt hatte. Herthas Co-Trainer hatte öffentlich behauptet, Andrich, der im Nachwuchs von Hertha BSC ausgebildet wurde, sei noch immer ein „heimlicher Hertha-Fan". So giftig und aggressiv wie Andrich im Derby auftrat, konnte man das kaum glauben. Und das müsse man auch nicht, erklärte Andrich hinterher: „Man kennt ja Zecke: immer für einen dummen Spruch gut."
Dabei dürften die Sprüche eigentlich nur von Union kommen, der auf dem Papier klaren Nummer eins in der Hauptstadt. „Wir stehen in der Tabelle gut da und weiter 14 Punkte vor Hertha", betonte Sportchef Oliver Ruhnert. Auch Verteidiger Marvin Friedrich meinte: „Die Tabelle spricht schon eine klare Sprache." Christian Gentner drückt dennoch ab sofort den Blau-Weißen die Daumen: „Ich würde mir wünschen, dass es auch nächstes Jahr Derbys gibt, deswegen soll Hertha in der Liga bleiben."
Sich großartig über den verpassten Sieg gegen die Rivalen zu ärgern, dafür blieb den Unionern kaum Zeit. Schon am Samstag (10. April um 15.30 Uhr) wartet im Auswärtsspiel bei Bayern München das nächste Highlight. Bei der „Mission Impossible" gegen den designierten Meister, der unter der Woche im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Paris Saint-Germain antritt, will der Außenseiter die typischen Union-Tugenden zeigen. „Wir müssen wesentlich mehr laufen als Bayern, die Räume eng machen", forderte Andrich, „aber wir müssen uns auch trauen, nach vorne zu verteidigen. Denn nur nach hinten fallen – das wird nicht funktionieren."
Für Andrich selbst ist aber das Stadtderby noch etwas spezieller als ein Duell gegen die Bayern. Zwölf Jahre wurde der gebürtige Potsdamer bei den Blau-Weißen in der Jugendabteilung ausgebildet, den Sprung zu den Profis haben sie ihm bei der Alten Dame aber nicht zugetraut. Heute blickt er nicht mehr im Groll zurück, „da sollte man auch irgendwann einen Schlussstrich ziehen, da liegen viele Jahre dazwischen". Wichtig sei lediglich, „dass ich über die Jahre drangeblieben bin und es am Ende gepackt habe". Die Zeit bei Hertha, auch die Ablehnung zum Ende hin, hätte ihn „auch ein bisschen zu dem gemacht, der ich bin". Ein Kämpfer, der niemals aufgibt und an seine Ziele glaubt. Und gerade deswegen ist er für Union so wichtig.
„Ich bin noch reifer in meinem Spiel geworden"
Trainer Urs Fischer ließ seinen Mittelfeldantreiber nicht fallen, nachdem der bei der 2:5-Pleite bei Eintracht Frankfurt ein kurioses Eigentor fabriziert hatte. Das Boulevardblatt „B.Z." hatte daraufhin sogar „5 Fragen zum Eigentor des Jahres" beantwortet. „Missgeschicke gehören nun einmal dazu, Fußball ist halt ein Fehlerspiel. Wir mussten ihn nicht extra trösten", sagte Fischer. Der Schweizer zeigte sich beeindruckt, dass sich Andrich hinterher in TV-Interviews stellte: „Mit dem muss man umgehen können. Auch das gehört zu einer Karriere dazu, sich dann hinzustellen und sich dann zu erklären."
Fehler hauen Andrich nicht mehr um, dafür hat er schon zu viel erlebt. Nur wenige hatten darauf gesetzt, dass er überhaupt einmal in der Bundesliga auflaufen wird. Selbst die Tauglichkeit für die Zweite Liga hatten sie ihm damals bei den Drittligisten Dynamo Dresden und beim SV Wehen-Wiesbaden abgesprochen. „Es kann sein, dass ich damals noch nicht reif genug für die Zweite Liga war", sagt Andrich heute. „Es ist ein Anreiz, es freut einen, wenn man es Leuten, die nicht an einen geglaubt haben, gezeigt hat." Es soll zwar „kein extra Antrieb sein" – ist es aber offenbar doch. Auch den Hertha-Verantwortlichen will er es heute noch beweisen, „vielleicht ein bisschen", gibt er zu. Mitleid mit seinem Ex-Club, den er etwas dichter an den Abgrund zur Zweiten Liga geschossen hat, hat er nicht. „Natürlich ist man überrascht, dass die da unten drinstehen, vor allem mit der Qualität im Kader. Aber das ist halt nicht alles", sagt Andrich.
Der Mittelfeldspieler weiß, wovon er spricht. Bei Union hat sich der unermüdliche Kämpfer spielerisch enorm verbessert. „Ich bin vielleicht noch reifer in meinem Spiel geworden", sagt er selbst. Durch ein besseres Stellungsspiel und eine geschicktere Zweikampfführung kommt Andrich gar nicht mehr so oft in die Verlegenheit, seine berüchtigte Grätsche auspacken zu müssen. „Cleverness, Gelbe Karten, das war ein wichtiges Thema, womit wir uns beschäftigt haben", sagt er. Und Scharfschütze Andrich strahlt neuerdings große Torgefahr aus, vor allem außerhalb des Sechzehners: Vier Tore aus der Distanz sind Ligabestwert. Geholfen hat ihm bei der Weiterentwicklung auch die Ankunft von Max Kruse im vergangenen Sommer. Vom Ex-Nationalspieler, der größtenteils von seinem Instinkt profitiert, schaut sich Andrich in jedem Training und Spiel viel ab. Kruses Spiel sei „ein bisschen reifer, ein bisschen cleverer", sagt Andrich, „ein bisschen mehr von allem".
Andrich fühlt sich bei den Eisernen wohl, doch ein Karriereende bei Union muss das nicht zwangsläufig bedeuten. Sein Vertrag läuft noch bis 2022, demnächst muss er also eine Entscheidung fällen: Verlängern, gegen eine Summe X jetzt wechseln oder in einem Jahr ablösefrei den Club verlassen. Es sei „legitim, dass man sich sportlich noch mal verbessern will", sagte Andrich kürzlich, „und wenn es so weit ist, ist es nur legitim, wenn man darüber spricht und offen auf den Verein zugeht." Bislang hätten ihn zwar „noch nicht so viele Berater über Instagram oder so angeschrieben", scherzte Andrich. Aber sein eigener Agent wird mit Sicherheit den Markt sondieren – und auf Interesse stoßen. Ein deutscher Profi im besten Fußballalter und mit der Einstellung und Qualität ist gefragt. Am mangelnden Ehrgeiz würde ein Wechsel zu einem größeren Club nicht scheitern. Große Ziele hatte Andrich schon als Knirps: „Als ich acht Jahre war, habe ich gesagt, ich will Weltfußballer werden." Diesen Traum wird er sich zwar nicht mehr erfüllen, und doch hat er jetzt schon mehr erreicht als viele Skeptiker von ihm erwartet haben.