Immer mehr kleine Start-up-Kosmetiklabel bereichern den Markt und stellen die Weichen für Innovationen. Deshalb kommt der Branche eine wachsende Bedeutung zu – mit dem Anspruch, hochwertige Produkte trotz eingeschränkter Möglichkeiten an die Kunden zu bringen.
Im Jahr 2019 war die Indie Beauty Expo zum ersten Mal zu Gast in Deutschland. Mit großem Erfolg. Zuvor gab es sie bereits vier Jahre in Folge in den USA. Zwar findet die Messe 2021 coronabedingt nicht statt, trotzdem mangelt es nicht an neuen, unabhängigen Beautylabeln auf dem Markt. Und die halten ganz besondere Produkte für ihre Kunden bereit. Wir wagen einen Blick in einen relativ neuen, aber ungemein wichtigen Bereich: den Vorstoß kleiner Startupper, die sich anstrengen, an den Monopolen der Beautyriesen zu rütteln. Konkurrenz belebt schließlich das Geschäft, und eine Bewegung am Markt ist immer gut, um nicht stehen zu bleiben und um ständig Neues auszuprobieren. Die Bezeichnung „Indie" stammt übrigens vom englischen Begriff „independent" ab, was auf Deutsch „unabhängig" bedeutet. Darunter fassen die Organisatoren der Expo alle Aussteller zusammen, an denen Gründer und Leiter mindestens 50 Prozent der Anteile selbst besitzen. Das kann sowohl für kleine als auch für große Unternehmen in familiengeführter Hand gelten. Der Vorteil der kleinen Nischenbrands ist es, dass sie sich durch die Indie Beauty-Bewegung neue Absatzmärkte erschließen. Händler sehen sich mehr und mehr in der Verpflichtung, den Kunden ständig Neues zu bieten und sie nicht mit Altbekanntem zu langweilen. Influencer sind außerdem gerne bereit, auch unbekannte Marken zu bewerben, solange sie von der Qualität überzeugt sind. Das Interesse aufmerksamer Beautynutzer ist es, das Indie-Brands voranbringt und die Produktpalette ständig zu ihren Gunsten erweitert. Da die Auswahl spannender Start-up-Entwicklungen inzwischen riesig ist, hier zumindest eine kleine Übersicht der interessantesten Neuerscheinungen:
True Botanicals ist ein typisches Beispiel für den Anspruch an höchste Bio-Qualität für eine schöne Haut und optimale Pflege. Hier arbeitet man nach dem Motto „Liberate your glow". Dabei hilft die natürliche Formel von Cleanser und Cremes. Neben Aloe Vera und Samen von Grünem Tee ist auch Weißer Tee ein großer Bestandteil der veganen Produkte. Diese reinigen und pflegen dem Hersteller zufolge alle Hauttypen und sind selbst bei sensibler Haut kein Problem.
Noto Botanics hat sich ebenfalls auf die Entwicklung veganer Pflegeprodukte spezialisiert, die für Mann und Frau gleichermaßen für die tägliche Anwendung geeignet sind. Der Anspruch des Labels ist es, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Die Entwickler verlassen sich deshalb nicht allein auf hochwertige Inhaltsstoffe wie Jojoba-Öl, Sheabutter oder Olivenöl als Basis ihrer Pflegeprodukte. Sie wollen noch mehr und unterstützen deshalb mit dem Verkauf unterschiedliche soziale Projekte wie „Planned Parenthood". Ein interessanter Ansatz für Mensch und Umwelt.
Die Umwelt haben auch viele andere Indie-Make-up-Brands wie The Lip Bar und The Balm Cosmetics im Blick. Bei The Balm dreht sich alles um Retro-Kosmetik, deshalb kommen die Produkte in schicken Pin-up-Verpackungen aus San Francisco in die ganze Welt. Sämtliche Inhaltsstoffe von Make-up über Brushes bis hin zu Fake-Lashes sind frei von Parabenen, frei von Talkum und mit Rücksicht auf die Umwelt hergestellt. Die Verpackung macht Spaß, die Verträglichkeit ist prima, und bei jedem Kauf schwingt das gute Gewissen mit, hier etwas Sinnvolles zu unterstützen. Ein ähnliches Gefühl schenkt einem auch The Lip Bar. Melissa Butler gründete ihr Beauty-Brand bereits 2012 in der eigenen Küche, indem sie anfing, natürliche Zutaten zu ersten Lippenstiften zu mischen. Bis zum endgültigen Release ihrer Make-up-Marke sollte es dann aber noch einige Jahre dauern. Der Anspruch der Gründerin liegt dabei klar auf der Hand: Die zahlreichen Lippenstifte, Glosses, Bronzer und Augenbrauenprodukte sollen nicht nur schön machen, sie sollen den Körper gesund halten. Deshalb kommen ausschließlich natürliche Inhaltsstoffe hinein.
Im Fokus neuer Brands stehen auch Produkte für Women of Color
Gutes tun und schön machen, das wollen auch zwei besondere Start-up-Label. Aus diesem Grund widmen sie sich einer speziellen Gruppe von Kundinnen, die ihrer Meinung nach von den großen Firmen einfach zu wenig Beachtung finden: Frauen mit dunkler Hautfarbe. Mented Cosmetics und Juvia’s Place wurden beide gegründet, weil sich Frauen sämtlicher Hautfarben in der Welt der Kosmetik wiederfinden sollen. Deshalb vertreiben die Label gezielt Make-up, Lippenstifte, Highlighter und Augenbrauenstifte, die zu dunkleren Hautschattierungen passen. Dazu gibt es über die Webseiten nicht nur viele Produktempfehlungen, sondern auch gezielte Schminkanleitungen, damit Einsteiger wissen, wie der neue Blush am schönsten auf den Wangen wirkt und welcher Lippenstift jetzt einfach unverzichtbar ist.
Women of Color sind aber nicht die einzige Gruppe, die bei vielen neuen Brands Beachtung findet. Eine zweite große Empathie-Welle ist die LGBTQIA-Bewegung. Diese setzt sich für die Gleichstellung aller ein, ganz gleich ob homosexuell, transgender, pansexuell, asexuell, queer oder sonstige Ausprägungen der eigenen Sexualität. Kimchi Chic Beauty, gegründet vom gleichnamigen koreanisch-amerikanischen Drag Star Kim Chi, vertreibt deshalb nicht nur hilfreiche Beauty-Produkte für jedermann von der Hausfrau bis zur Drag Queen, sondern unterstützt mit dem Verkauf auch noch die LGBTQIA-Gemeinschaft. Ähnlich handhabt es Trixie Cosmetics. Das Label von Drag Queen Trixie Mattel lebt den Barbie-Lifestyle. Alles ist kunterbunt, an Glitter und Rosa kaum zu überbieten und erinnert den Betrachter sofort an einen Ausflug in Barbies heimliches Kosmetikstudio. Dass der ganze Glitterspaß dazu mit einem Herz für die Bedürfnisse der Tiere produziert wird und außerdem aktiv gegen das Sterben der Bienen vorgeht, macht den Einkauf im Trixie-Universum noch spaßiger.
Eine lustige Optik, das favorisieren auch andere Startupper, wie die Beauty-Bakerie. Hier ist der Name tatsächlich Programm, denn alle Produkte kommen in außergewöhnlichen Dessert-Verpackungen in den Verkauf. So sehen Beauty-Schwämmchen plötzlich Eiern zum Verwechseln ähnlich und stecken deshalb natürlich auch in einem Eierkarton statt in langweiligen Plastikumverpackungen. Puder verbirgt sich in Milch-Tetrapacks, Primer Sticks erinnern eher an Butterpäckchen und alles zusammen könnte auf den ersten Blick auch dazu dienen, einen leckeren Kuchen zu backen. Genau darum geht es Cashmere Nicole, der Gründerin. Sämtliche Produkte sollen ästhetisch und überraschend für den Betrachter verpackt sein, beste Inhaltsstoffe enthalten und etwas Gutes bewirken. Deshalb unterstützt die ehemalige Krebspatientin immer wieder soziale Projekte wie aktuell „Sugar Homes", deren Mitglieder sich um Waisenkinder kümmern.
Überhaupt scheint der Unterstützeraspekt der kleinen Brands sehr viel stärker ausgeprägt zu sein als der ihrer großen Konkurrenten. Kaum eine Innovation, die nicht mit dem Schutz von Tier, Mensch und Umwelt einhergeht. Schon allein deshalb lohnt es sich doppelt, in nachhaltige Produkte zu investieren, die man auf dem riesigen Beauty-Markt sonst leicht übersehen könnte. Fast alle Start-up-Brands vertreiben ihre Innovationen selbstständig über den eigenen Shop. Wenige dürfen sich außerdem über die kurzzeitige Präsentation in großen Kaufhäusern oder Drogeriemärkten freuen. Wer die Wahl hat, hat hier tatsächlich die Qual, denn für jeden Geschmack, Hauttyp und jede Grundeinstellung zum Leben gibt es mittlerweile die passenden Angebote. Sogar solche, von denen wir bislang gar nicht wussten, dass wir ohne sie nicht mehr leben wollen. Wer über den Tellerrand hinaus guckt, um die vielen kleinen Besonderheiten zu finden, der kommt aus dem Staunen nicht heraus. Beauty mit Stil, Einfallsreichtum und individuell abgestimmter Textur, ein Anspruch, dem immer mehr Indie-Labels aus Überzeugung gerecht werden.