Eine Pandemie diesen Ausmaßes erschüttert alles, vor allem die Routine in den Krankenhäusern. Die Mitarbeiter im Klinikum Saarbrücken auf dem Winterberg kämpfen wie viele andere im Saarland gegen das Virus und um Leben. Das prägt – auch Dr. Christian Braun, den Ärztlichen Direktor des Krankenhauses.
Herr Dr. Braun, seit über einem Jahr hat Covid-19 uns voll im Griff. Wie haben Sie den Beginn der Gesundheitskrise am Winterberg erlebt?
Ich erinnere mich noch genau an den 4. März 2020, als der erste Covid-19-Fall im Saarland publik wurde. Dann ging es Schlag auf Schlag. Urplötzlich waren wir alle in eine Situation katapultiert, die so unfassbar surreal war und doch mit voller Wucht unser aller Leben fundamental verändert hat.
Am 13. März forderte der Bundesgesundheitsminister sämtliche deutsche Krankenhäuser auf, alle planbaren Operationen auszusetzen oder zu verschieben – ein bisher einmaliger Fall in Deutschland. Bei der Frage, welchen Herausforderungen wir uns im Krankenhaus zu Beginn der Pandemie stellen mussten, denkt jeder zunächst an medizinische Dinge. Das bildet aber nicht ansatzweise die Vielfalt dessen ab, was es zu organisieren galt. Nie zuvor gab es solche Versorgungsengpässe bei medizinischen Gütern, nie zuvor gab es einen Lockdown mit Schul- und Kitaschließungen, Ausgangsbeschränkungen und Grenzschließungen, von denen mehr als 160 unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen waren. Was gestern galt, konnte heute schon wieder anders sein. Jeder Tag brachte neue Herausforderungen, an die man tags zuvor überhaupt nicht gedacht hat. So haben wir nach Lösungen gesucht, eine Kinderbetreuung für unser dringend benötigtes Personal auf die Beine gestellt, haben anfangs nahezu täglich neue Versionen von Bescheinigungen für Grenzgänger ausgestellt, mit Jugendherbergen und Hotels im Kontakt gestanden, um im Falle weiterer Einschränkungen Unterkünfte für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbieten zu können, Homeoffice-Arbeitsplätze und Videokonferenzen eingerichtet und vieles andere mehr.
Das sind alles Fragen der Organisation, die Sie gemeistert haben. Wie sah das denn auf medizinischer Seite aus?
Ab Jahresbeginn 2020 haben wir die medizinischen Berichte über diese „neue Erkrankung" aufmerksam verfolgt. Was anfangs noch weit entfernt und sehr abstrakt erschien, kam rasch näher und wurde damit immer realer und konkreter. Die Bilder aus New York und Bergamo haben natürlich auch uns große Sorgen bereitet. Wir haben unsere Strukturen und Prozesse sehr dynamisch immer wieder an das Lagebild angepasst. Eine der ersten Maßnahmen auf dem Winterberg war es, eine eigene Corona-Notaufnahme als Dreh- und Angelpunkt der Notfallversorgung und damit als erste Anlaufstelle für Covid-Patienten aufzubauen, getrennt von den anderen Bereichen. Wenige Tage später haben wir das Corona-Beatmungszentrum (Cobaz) mit bis zu 16 Intensivplätzen in Betrieb genommen.
Insgesamt haben wir in den darauffolgenden Wochen Beatmungskapazitäten für mehr als 90 schwerstkranke Covid-Patienten vorbereitet; eine Dimension, die wir bisher glücklicherweise nie ausschöpfen mussten. Die ganze Welt hat in dieser Zeit händeringend nach Schutzausrüstung und Intensivgerätschaften gesucht. Ich bin mächtig stolz auf mein gesamtes Team, das diese nie dagewesenen Herausforderungen mit großem Engagement und Kreativität gemeinsam gemeistert hat.
Auf das Personal kommt es in der Krise an. Wie motivieren und vor allem wie schützen Sie die Mitarbeiter vor psychischen Belastungen?
Gerade zu Beginn der Pandemie habe ich mit meinem Krisenstab fast jeden Tag eine Mail an unser Team Winterberg mit den wichtigsten Informationen rund um Corona geschrieben. Nicht minder wichtig war es, Ängste aufzufangen und Fragen aus dem Team schnell und qualifiziert zu beantworten. Kommunikation war und ist aus meiner Sicht einer der erfolgskritischen Faktoren. Wir haben sehr früh psychologische Unterstützungs- und Beratungsangebote aufgebaut, zum Beispiel über die Seelsorge oder eine spezielle 24/7-Telefonhotline. Und wenn jemand mit einer Situation überhaupt nicht zurechtkam, haben wir natürlich eingegriffen und alternative Einsatzmöglichkeiten gesucht. Das waren und sind wir dem engagierten Team einfach schuldig.
Wie würden Sie die Unterschiede zwischen den Corona-Wellen beschreiben?
Im Vergleich zur zweiten Welle waren die Corona-Patientenzahlen in den Krankenhäusern im Frühjahr 2020 eher moderat. Nichtsdestotrotz waren viele Todesfälle zu beklagen, gerade unter den Hochbetagten. Besonders für das Personal auf den Intensivstationen war diese Zeit sehr belastend. Das Wissen um Covid und damit die Behandlungsmöglichkeiten steckten noch in den Kinderschuhen, eine kausale Behandlung gab und gibt es bis heute nicht. Corona war und ist anstrengend, psychisch, aber auch körperlich. Mehrere Stunden in voller Schutzausrüstung zu arbeiten zehrt an den Kräften. Hinzu kam anfangs die Sorge, sich möglicherweise selbst zu infizieren. Mit Beginn der Impfkampagne für das Personal in den Infektionsbereichen um die Jahreswende ist zumindest diese Sorge deutlich geringer geworden.
Bemerkenswert waren die enorme Solidarität und Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung. Während Süßigkeiten, Kuchen und Blumen eher der Moral und der Wertschätzung dienten, waren die spontane Zurverfügungstellung von Beatmungsgeräten aus Arztpraxen sowie großzügige Spenden von Atemschutzmasken und Desinfektionsmitteln eine riesige Unterstützung. Es mag paradox klingen, die Zeit war sehr intensiv, aber auch in einigen Bereichen im positiven Sinne: Es war eine Zeit des „Machens", mit viel weniger „Wenns" und „Abers". In vielen Momenten hat Bürokratie – zumindest bei uns – nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Das Team Winterberg ist an und mit Corona gewachsen und hat uns noch enger zusammenrücken lassen. So schnell er kam, so schnell hat der Applaus für die Kliniken auch wieder geendet. Während Corona gegen Jahresende nochmals richtig Fahrt aufgenommen hat, schien die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein.
Und wo stehen wir jetzt?
Was Schutzausrüstungen und medizinische Geräte angeht, sind wir gut ausgestattet. Wir haben gut vorgesorgt und umsichtig gewirtschaftet. Die kritische Größe ist das Personal, insbesondere Pflegekräfte für die Intensivstationen. Ohne diese Spezialisten nützen uns die besten Beatmungsgeräte nichts. Das Thema Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist nicht neu, aber Corona hat es wie ein Brennglas in den Fokus gerückt. Es wird eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre sein –
weit über Corona hinweg –, Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern und zu qualifizieren. Der Winterberg geht hier bereits neue Wege. Neben einer breiten Ausbildungsoffensive mit mehr als 200 Ausbildungsplätzen in unserer eigenen Krankenpflegeschule haben wir 2019 gemeinsam mit der Universitätsklinik in Homburg ein Projekt zur Fachkräftegewinnung in Mexiko ins Leben gerufen. Corona ist gerade im Steigflug einer dritten Welle, bei der die ansteckendere britische Virus-Variante den Steuerknüppel übernommen hat.
Die Prognosen sind nicht gut, rasch ansteigende Infektionszahlen werden sich auch wieder in den Kliniken niederschlagen. Die Impfungen sind leider noch nicht in dem Maße fortgeschritten, als dass weite Teile der Bevölkerung geschützt wären. Gerade die Altersgruppe der 50- bis 80-Jährigen ist jetzt besonders gefährdet und wird die Intensivstationen mit längeren Liegedauern stark fordern.
Das hört sich nicht gut an. Wie kann man diese Situation verhindern?
Die Impfkampagne muss schneller vorankommen, und wir müssen flächendeckend und engmaschig testen. Damit allein lässt sich aber die gegenwärtige Dynamik der Virusausbreitung nicht eindämmen. Wir müssen Corona sozusagen den Weg abschneiden und das funktioniert nur, wenn wir uns an die Abstands- und Hygieneregeln halten. Wir sind alle pandemiemüde, auch und insbesondere die Beschäftigten im Gesundheitswesen, aber das interessiert Corona nicht. Den Dampfer auf Kurs zu halten, entschlossen das gemeinsame Ziel zu verfolgen, das wird politisch und gesellschaftlich die größte Herausforderung der kommenden Wochen werden. Dafür brauchen wir die Bereitschaft und Unterstützung aller, auch wenn es für jeden Einzelnen von uns jeden Tag eine enorme Kraftanstrengung ist.
Unser Motto ist: Alle für alle – daran führt kein Weg vorbei.