Am Knappschaftsklinikum Saar sorgt gerade eine neue Auszubildende für Aufsehen. Sie ist nett, wohlerzogen – und ganz schön wuschelig: Hundedame Peaches steht kurz vor ihrem Abschluss als Therapiebegleithund. Im Rahmen eines ganzheitlichen Konzeptes hilft das Tier vor allem älteren Patienten, wieder auf die Beine zu kommen.
Zwei Kulleraugen blicken erwartungsvoll zu Helga Klauck empor. „Zum Kennenlernen geben Sie ihr erst mal ein Leckerli“, rät die Ergotherapeutin Nadine Haupert ihrer Patientin. Heute ist Therapiebegleithund Peaches dabei. Peaches knuspert. Leckerli gut angekommen. Danke, du scheinst nett zu sein, sagen die Augen. Helga Klauck sitzt im Gemeinschaftsraum der Geriatrie-Station am Knappschaftsklinikum Saar in Püttlingen. Gegen ihre ständig wiederkehrenden Schmerzen erhält sie hier ein engmaschiges Therapieprogramm. Nun hat sie sich für das neue Angebot der Tiertherapie gemeldet. Berührungsängste hat sie keine. „Ich bin mit Tieren aufgewachsen“, erzählt die Seniorin. „Wir hatten in meinem Elternhaus Landwirtschaft im Nebenerwerb, und auch mein Sohn hat einen Hund.“
Los geht‘s. Zuerst kommt das Schnüffeltuch an die Reihe. Helga Klauck muss kleine Hunde-Leckerlis in den Fransen des Tuchs verstecken. Das laute Knuspern, wenn Peaches ein Leckerli nach dem anderen aufspürt, ist auch für die Patientin ein Erfolgserlebnis. Nun lässt Peaches einen großen Schaumstoffwürfel purzeln. Die Therapeutin bittet Frau Klauck, sich die Zahl bis nach der nächsten Übung zu merken. Und die hat es in sich: Nadine Haupert hat mehrere Pylonen im Raum verteilt. Ihre Patientin soll nun mit dem Hund an der kurzen Leine im Slalom um die Hütchen herumgehen. Gar nicht so einfach. Aber die Dame führt, der Hund folgt, es klappt. Nach einem deutlichen „Sitz!“ aus dem Mund der Patientin pflanzt sich Peaches weisungsgemäß vor eine Querstange, die Leine ist locker, und Frau Klauck steigt über das Hindernis. Tataaa – Bravo!
„Das macht auch dem Hund Spaß“
So spielerisch das alles aussehen mag, dahinter steckt ein ausgeklügeltes Therapiekonzept. „Defizite werden gezielt trainiert, aber spielerisch verpackt“, erklärt Nadine Haupert. „Man merkt während der Übung nicht, was man alles übt – so lernt man schneller und besser.“ Die Therapeutin verknüpft zum Beispiel mit dem Würfel verschiedene Denksportaufgaben. Das Spiel mit dem Schnüffeltuch ist gut für die Feinmotorik der Hände. „Das macht auch dem Hund viel Spaß und stellt gleich am Anfang eine Verbindung zwischen Patient und Tier her.“ Und die Pylonen? „Hier ist der Gleichgewichtssinn gefordert“, erklärt die Therapeutin. „Außerdem muss die Patientin schön aufrecht gehen, damit der Hund folgt.“ Mit der Stange als Hindernis werden zudem Schritthöhe und -weite gesteigert und erneut der Gleichgewichtssinn trainiert.
„Die positive gesundheitliche Wirkung von Hunden auf Menschen ist inzwischen wissenschaftlich durch zahlreiche Studien belegt“, weiß Nadine Haupert. „Unser Therapiebegleithund unterstützt den Heilungsprozess aktiv durch eine auf den Patienten abgestimmte Therapie. Dies gilt für körperliche und seelische Erkrankungen.“ Peaches Mithilfe bringt noch einen weiteren Vorteil: Bei normalen Therapieübungen würden manche Patienten blockieren, erklärt Nadine Haupert. „Der Hund aber öffnet die Tür.“
Dr. Jan Reisdorf, Sektionsleiter der Geriatrie am Knappschaftsklinikum, pflichtet ihr bei: „Die Forschung zur Tier-Mensch-Interaktion konnte seit den 1990er-Jahren positive Effekte auf den Genesungsprozess bei akut und chronisch erkrankten Menschen nachweisen“, sagt der Arzt. „Diese positiven Effekte wollen wir in der Akutgeriatrie und in der neurologischen Frühreha nutzen.“ Zusammen mit dem Chefarzt der Neurologie, Dr. Jürgen Guldner, hat sich Reisdorf für die Einführung der tiergestützten Therapie am Krankenhaus starkgemacht – und bei Geschäftsführerin Andrea Massone (selbst Hundehalterin) offene Türen eingerannt. Und so ist man in Püttlingen jetzt auf den Hund gekommen. Peaches wird auf der Geriatrie und der neurologischen Frühreha eingesetzt. Sie verstärkt dort ein großes Team verschiedener therapeutischer Fachrichtungen. „Bei vielen neurologischen und internistischen Erkrankungen kann Peaches zum Beispiel helfen, die Beweglichkeit und Motorik wiederherzustellen, Schmerzen zu lindern oder Stress abzubauen. Aber auch bei psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen oder Demenzen kann ein Hund dazu beitragen, wieder ein Stück Normalität zurückzugewinnen“, so Reisdorf. In jüngster Zeit ist ein neues Krankheitsbild hinzugekommen: Post-Covid. Patienten mit neurologischen Langzeitschäden nach überstandener Corona-Infektion.
Der Hund nimmt Stimmungen auf
Therapiebegleithund wird man nicht von heute auf morgen. Zuerst hat Peaches einen Wesenstest absolviert. Nach Ausbildung und Prüfung als Begleithund begann Anfang des Jahres die Besuchshundeausbildung. Parallel hat sich Ergotherapeutin Nadine Haupert entsprechend weitergebildet. Zusätzlich nimmt sie mit ihrem Hund an einer „Trick dogging“-Schulung teil. Peaches befindet sich nun in der letzten Ausbildungsphase, wird zunehmend an die Therapiearbeit mit Patienten gewöhnt. Die Therapiebegleitung sei anstrengend für Peaches, erklärt Nadine Haupert. „Es ist eine seelische Arbeit für den Hund, der jegliche Stimmung spürt und aufnimmt.“ Deshalb hat Peaches im Therapieraum auch ihre Ruhezone. Bis zum Sommer soll das Pensum ausgebaut werden. Das Ziel sind Gruppentherapien. Bisher machte Corona einen Strich durch die Rechnung. Doch Nadine Haupert sieht einen Lichtblick: „Mittlerweile sind immer mehr Patienten geimpft.“
Peaches würfelt ein letztes Mal, und Helga Klauck verrechnet die neue mit der erinnerten Zahl. Fertig! Ein gemeinsames Spiel dient als Abschiedsritual für Peaches. Helga Klauck strahlt: „Es war sehr, sehr schön.“ Was ihr besonders gut gefallen hat? „Dass der Hund so schön folgt und sofort anspricht. Man merkt, dass der Hund Menschen mag.“
Mit der freundlichen Hundedame ist sie auf Anhieb klargekommen. „Das Tier kann zwar nicht sprechen, aber trotzdem etwas verstehen.“ Ähnlich wie ihr geht es vielen weiteren Patienten. „Es kommt wahnsinnig gut an. Viele Patienten hätten am liebsten jeden Tag Therapie mit dem Hund“, sagt Nadine Haupert.
„Ja, bislang waren unsere Erfahrungen bei Patienten, die an dem Programm teilgenommen haben, sehr positiv“, freut sich auch Jan Reisdorf. Dabei tue der Hund nicht nur den Patienten gut: „Sogar beim Personal sind spürbar positive Veränderungen zu erkennen.“Es ist frappierend: Peaches Anwesenheit senkt den Stresslevel und hebt die Stimmung auf der Station. Spätestens, wenn sie einem tief in die Augen blickt.