Sie improvisierte wie der Teufel und sang sich mit ihrer facettenreichen Stimme in den Himmel des Jazz: Ella Fitzgerald. Mit 40 Millionen verkaufter Alben und 14 Grammys war sie eine der erfolgreichsten und beliebtesten Sängerinnen der Musikgeschichte. Am 15. Juni 1996 starb die „First Lady of Song".
Für einen wahren Gänsehaut-Moment sorgte „Lady Ella" – wie ihre internationale Fangemeinde sie ehrfürchtig nannte – im Februar 1960 in der Berliner Deutschlandhalle. Als sie sich anschickte, den „Dreigroschenoper"-Klassiker „Mack The Knife" („Die Moritat von Mackie Messer") zu intonieren, fiel ihr plötzlich der Text nicht mehr ein. Was folgte, ist Legende: Das Konzert und ihre brillanten Improvisationen, mit denen sie sich aus der Bredouille rettete, erscheinen unter dem Titel „Ella in Berlin" auf Vinyl und werden 1961 mit einem Grammy bedacht. Mehr noch: 1999 wird das Album in die Grammy Hall of Fame aufgenommen. Dort werden nur mindestens 25 Jahre zurückliegende, „qualitativ oder historisch bedeutende" Aufnahmen gewürdigt.
Geistesgegenwart, Talent, Intelligenz, Herzenswärme und Virtuosität – Eigenschaften, mit denen Ella Fitzgerald Fans, Kollegen und Kritiker gleichermaßen über ein halbes Jahrhundert lang begeisterte und den Jazz für ein Millionenpublikum zugänglich machte. Als sie am 15. Juni 1996 in Beverly Hills starb, war sie als „First Lady of Song" längst in die Jazzgeschichte eingegangen. Vor allem ihre herausragenden Songbook-Alben, die sie zwischen 1956 und 1964 beim Label Verve aufnahm, machen sie unsterblich. Mit ihrer wandlungsfähigen Stimme beherrschte sie mühelos fast drei Oktaven.
Doch der Erfolg war Ella Jane Fitzgerald nicht in die Wiege gelegt. Die Eltern trennen sich schon kurz nach ihrer Geburt am 25. April 1917 in Newport News im US-Bundesstaat Virginia. Der Unfalltod ihrer Mutter Temperance in Yonkers im Bundesstaat New York wirft die ehrgeizige 15-Jährige damals aus der Bahn. Es ist die Zeit der Großen Depression in New York, Ella ist schwarz, obdachlos und ohne jede Perspektive. Ein paar Dollar verdient sie sich als Türsteherin eines Bordells, wo sie die Betreiber vor der anrückenden Polizei warnen muss, sowie als Kurier eines illegalen Wettbüros der Mafia. Schließlich landet sie in einer Besserungsanstalt für Mädchen, aus der sie aber wenig später flieht.
Erste Versuche bei Talentwettbewerb
Trotz all der Misere hat Ella einen Traum: Sie will Tänzerin werden. Am 21. November 1934 fasst sie sich ein Herz und meldet sich bei einem Talentwettbewerb für Amateure im legendären Apollo Theatre in Harlem an. Doch Ella tanzt nicht; sie fürchtet die übermächtige Konkurrenz. Stattdessen singt sie spontan den Hoagy-Carmichal-Song „Judy" im Stil der von ihr verehrten Connee Bosswell von den Bosswell Sisters. Das Publikum bricht in Begeisterungsstürme aus, verlangt eine Zugabe. Doch vor allem fällt sie dem Saxofonisten Benny Carter auf, der sie dem Bandleader Chick Webb empfiehlt. Der will sie zunächst nicht für seine Band engagieren und findet die zurückhaltende 17-Jährige unbeholfen und ungepflegt. Doch auf der Bühne glänzt Ella wie ein „ungeschliffener Diamant", so Webbs Trompeter Mario Bauzá.
Fitzgerald rückblickend: „Als ich da oben stand, spürte ich die Akzeptanz und die Liebe meiner Zuhörer. Ich spürte, dass ich für den Rest meines Lebens vor Leuten singen wollte." Webb gibt ihr eine Chance und nimmt Ella in seine Band auf. 1935 erscheint bei Decca die Single „Love And Kisses"; 1938 wird „A-Tisket, A-Tasket" ihr erster großer Erfolg – und zur Hymne der Swing-Ära.
Als Chick Webb 1939 stirbt, übernimmt Ella Fitzgerald die Leitung des Orchesters. Sie heiratet den Hafenarbeiter Benny Kornegay, einer ihrer hartnäckigsten Fans und Verehrer, erfährt aber kurz nach der Heirat, dass ihr Ehemann in krumme Geschäfte involviert ist und lässt die Ehe nach zwei Jahren annullieren. 1941 löst Ella das Orchester auf und wagt den Schritt in die Selbstständigkeit. Ausgestattet mit einem langfristigen Vertrag bei Decca, startet sie ihre Solokarriere. Zahlreiche Hits mit musikalischen Partnern wie den Ink Spots folgen.
Eine neue Stufe ihrer Karriere erreicht Ella Fitzgerald 1946 durch die Zusammenarbeit mit dem Jazz-Impressario und Produzenten Norman Granz, der sie zunächst zehn Jahre lang als Agent begleitet. Anfang der 1950er-Jahre kann sie von ihren Plattenverkäufen und Konzerten in Clubs recht anständig leben, aber sie hat den unbedingten Willen, ganz oben mitzuspielen. So hat sie sich in den Kopf gesetzt, unbedingt in Charles Morrisons Nightclub Mocambo in LA zu singen. Ein glamouröser Hot-Spot, an dessen samtenen Wänden sich Käfige mit lebendigen Möwen, Papageien und Kakadus befinden. Damals die erste Adresse für Jazz auf dem Sunset Boulevard in West Hollywood.
Im Mocambo reichen sich Humphrey Bogart und Lauren Bacall, Charlie Chaplin, Grace Kelly und John Wayne die Klinke. Farbige Sängerinnen wie Eartha Kitt und Joyce Bryant hatten es bereits auf die Bühne des Glamourtempels geschafft, warum also nicht auch sie. Doch der chauvinistische Morrison will Fitzgerald partout nicht engagieren, weil er sie angeblich zu dick findet. Allerdings hat die Sängerin einen schönen, reichen und vor allem weißen Fan und Fürsprecher: Marilyn Monroe. Die Damen hatten sich 1954 während eines Auftritts im berühmten Tiffany Jazzclub in East Hollywood angefreundet, wo regelmäßig afroamerikanische Stars wie Charlie Parker und Louis Armstrong spielen.
Marilyn Monroe, die gerade eine Phase der Selbstfindung durchläuft, hat es satt, in Filmen neben männlichen Stars als hilfloses Sexsymbol aufzutreten. Sie lebt vorübergehend in New York, wo sie in die Jazz-Szene eintaucht. Besonders hat es ihr Ella Fitzgerald angetan. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als so kreativ zu sein wie diese große Sängerin.
Die Monroe überzeugt Mocambo-Betreiber Morrison schließlich mit einem schlagenden Argument: Zu einem Auftritt der Fitzgerald, wo sie in der ersten Reihe säße, kämen massenhaft Stars – die dann eine ganze Armada von Paparazzi und Klatschkolumnisten im Gefolge hätten. Bereits am ersten Abend, dem 15. März 1955, sind Frank Sinatra und Judy Garland unter den Gästen. Fitzgeralds Gastspiel im Mocambo ist so legendär, dass es 40 Jahre später in dem Musical „Marilyn and Ella" verarbeitet wird.
Nach einer weiteren gescheiterten Ehe mit dem Dizzy-Gillespie-Bassisten Ray Brown unterschreibt Ella 1955 bei Norman Granz’ Label Verve – ein Glücksgriff, wie sich bald zeigen sollte. Die acht Songbook-Aufnahmen, die sie zwischen 1956 und 1964 bei Verve realisiert und auf denen sie Songs von Komponisten und Textern wie Cole Porter, Irving Berlin und George und Ira Gershwin neu intoniert und interpretiert, sind bis heute sensationell erfolgreich.
„Ich wusste nicht, wie gut unsere Songs waren, bis Ella sie gesungen hat", schwärmte Ira Gershwin damals. Publikum wie Kritik sind vor allem vom sogenannten Scat-Gesang der Künstlerin angetan, in dem sie mit ihrer Stimme Blasinstrumente virtuos nachzuahmen versteht.
In diese äußerst kreative Phase der Künstlerin fallen auch das berühmte „Porgy & Bess"-Album (1959) mit Louis Armstrong und die preisgekrönte Live-LP „Ella In Berlin" (1960).
Weniger erfolgreich ist Ella Fitzgerald in ihren Versuchen, sich in den 1960er-Jahren der Country- und Popmusik zu widmen. Erst 1973 kann sie wieder an ihre Erfolge anknüpfen, als sie erneut zu Norman Granz und seinem neu gegründeten Label Pablo wechselt. In den 1970er- und 1980er-Jahren nimmt sie bei ihm noch ein paar hochgelobte Alben auf – etwa mit Count Basie und Oscar Peterson – und steht mit Frank Sinatra und Count Basie auf der Bühne. Zu unzähligen Ehrungen und Preisen erhält sie in den 1990er-Jahren auch die Ehrendoktorwürde in Yale und Dartmouth. Ihr Kommentar: „Nicht schlecht für jemanden, der nur Musik gelernt hat, um irgendwie an diesen High-School-Abschluss zu kommen."
1994 zieht sich Ella Fitzgerald ganz aus der Öffentlichkeit zurück; sie leidet seit Jahren an Diabetes, hat beide Beine verloren und ist fast blind. Am 15. Juni 1996 stirbt die wohl berühmteste und einflussreichste Stimme des Jazz mit 79 Jahren in Los Angeles.