Die No Angels siegten vor 20 Jahren bei „Popstars", der ersten Castingshow im deutschsprachigen Fernsehen. Nach langjähriger Pause melden sie sich jetzt mit dem Jubiläumsalbum „20" zurück. Die Sängerinnen Sandy Mölling (40) und Nadja Benaissa (39) stehen im Interview Rede und Antwort.
Angeblich hat der Tod von Lucy Diakovskas Mutter die No Angels wieder zusammengeführt. Ist das wahr?
Nadja Benaissa: Es war auf jeden Fall ein Auslöser, dass wir vier wieder miteinander in Kontakt gekommen sind. Allerdings waren wir das teilweise auch schon vorher. Ich denke aber, dass es für Lucy persönlich eine große Rolle für dieses Comeback gespielt hat. Sie ist gerade sehr glücklich, dass an die Stelle des weggebrochenen Stücks Familie ein anderes getreten ist.
Wie war Ihr erstes Treffen nach der Bandpause?
Sandy Mölling: Alle zusammen haben sich fast zehn Jahre nicht gesehen. Beim ersten Treffen waren wir natürlich sehr aufgeregt. Man weiß ja nicht, wie es nach so langer Zeit auf einem Haufen sein wird. Hat man sofort wieder dieses vertraute Gefühl? Und das war Gott sei Dank auch der Fall. Nach fünf Minuten schien alles wieder beim Alten zu sein.
War es ein Online-Meeting?
Benaissa: Online haben wir uns auch schon vor unserem ersten persönlichen Wiedersehen getroffen. Das erste Treffen war tatsächlich im Fernsehen bei Frauke Ludowig. Sehr aufregend!
Ein gängiges Klischee lautet, Freundschaft hält eine Band zusammen. Wie eng waren Sie wirklich hinter den Kulissen?
Mölling: (lacht) Wir waren wirklich sehr eng! Wir sind alle sehr offene Menschen. Das ist eine Gottesgabe. Wir interessieren uns für andere. Das ist dringend notwendig, wenn man in einer Band ist. Wir waren anfangs wie ein Hühnerhaufen und sind heute wie eine Familie. Bei uns gab es auch Meinungsverschiedenheiten, aber das macht eine Band aus. Dadurch, dass wir so viel und so nah zusammen waren, haben wir uns sehr gut kennengelernt. Wir sind definitiv die besten Freundinnen, die man haben kann.
Vanessa Petruo, die sich nicht an der Reunion beteiligt, doziert und forscht heute an einer Universität in Los Angeles. Haben Sie auch mit ihr gesprochen?
Benaissa: Vanessa hat in den letzten Jahren eine Wahnsinnskarriere hingelegt. Sie ist ja schon ziemlich früh aus der Band ausgestiegen und wollte auch schon bei unserer ersten Reunion nicht mehr dabei sein. Wir haben mit ihr mal mehr, mal weniger Kontakt. Wir vermissen sie, ihr Charisma und ihre Klangfarbe manchmal, aber wir respektieren, dass sie sich für einen anderen Weg entschieden hat. Es scheint ihr dabei sehr gut zu gehen.
Zum 20-jährigen Bandjubiläum veröffentlichen die No Angels am 4. Juni ihr Comebackalbum „20" mit neuen Versionen Ihrer Songs.
Mölling: Die Songs sind inzwischen bis zu 20 Jahre alt. Sie klingen aus heutiger Sicht natürlich anders, wir sind ja erwachsener, reifer und lebenserfahrener geworden. Ich fand es spannend, sie noch einmal in einem neuen Gewand kennenzulernen. Sie lösen heute ganz andere Dinge in einem aus. Man kann hören, was da an Erfahrungen und Emotionen drinsteckt. Uns war wichtig, dass wir uns auch an ein paar neuen Songs ausprobieren.
Wie fühlte es sich an, Hits wie „Daylight In Your Eyes" oder „There Must Be An Angel" mit der Erfahrung von heute einzusingen?
Benaissa: Ich habe gerade bei Balladen wie „Faith Can Move A Mountain" eine richtige Achterbahn der Gefühle erlebt. Ich habe in der Gesangskabine das Licht ausgemacht, und es kamen viele Erinnerungen wieder hoch. Es war ein richtiges Glücksgefühl, weil ich realisiert hatte, was für tolle Songs wir eigentlich gemacht haben. Auch bestimmte Bühnenmomente sind mir wieder eingefallen. In diesem nostalgischen Gefühl waren so viele Facetten und Nuancen drin.
„Diese Produktion war für mich die abenteuerlichste meines Lebens!", sagt Ihr Produzent und Manager Christian Geller. Können Sie das
für sich unterschreiben?
Mölling: Ja! Es war halt ein bisschen anders aufgestellt. Eine von uns sitzt heute in Amerika, eine in Bulgarien und zwei in Deutschland. Und das noch in Zeiten der Pandemie, wo es eh nicht möglich gewesen wäre, gemeinsam ins Studio zu gehen. Es war schon eine andere Erfahrung. Aber wir haben uns durch die Songs und gemeinsamen Erinnerungen verbunden gefühlt. Ich habe bei den Balladen auch immer das Licht ausgeschaltet. Dann sind mir die Tränen gekommen, und ich habe gelacht. Total verrückt! Dass es auch für Christian abenteuerlich war, kann ich verstehen, denn er musste schließlich die ganzen Gesangsspuren in kurzer Zeit zusammenbauen.
Welches musikalische Lebensgefühl hat Ihre Musik damals transportiert?
Benaissa: Ich würde uns in den europäischen Pop einordnen. Wir haben unseren Erfolg damals hauptsächlich im deutschsprachigen Raum wahrgenommen, tatsächlich waren die No Angels aber auch in Brasilien sehr bekannt, wo wir auf Platz eins waren. Wir waren einmal in England auf Tournee und haben in Deutschland im Vorprogramm von Westlife gespielt. Aber eigentlich hatten wir gar keine Zeit, in andere Länder zu gehen.
Sandy und Nadja, Sie setzten sich 2000 bei den Castings für die RTL Zwei-Show „Popstars" gegen rund 5.000 andere Teilnehmerinnen durch. Wie haben Sie als blutjunge Amateure die Jury überzeugt?
Benaissa: Naja, mit unserem Talent, unserer Ausstrahlung, unseren Charakteren halt. Die waren in der Show eine wichtige Facette. Wir waren zwar jung, aber keine richtigen Amateure. Jede von uns hatte damals schon Erfahrung mit Musik gesammelt, sei es als Musicaldarstellerin oder Bandmitglied. Wir kannten alle bereits die Bühne. Aber das, was da passiert ist, hatten wir noch nicht erlebt. Solch ein Glück haben nicht viele Menschen.
Heute gelten die No Angels als Trendsetter. Im ersten Jahr Ihres Bestehens wurden Sie jedoch als Retortenband bezeichnet, Ihnen wurde mangelndes Talent vorgeworfen und es wurde Ihnen unterstellt, Ihr Erfolg liegt am medialen Hype und nicht an der Qualität Ihrer Musik und Ihrer musikalischen Begabung. Wie sind Sie damit umgegangen?
Mölling: Am Anfang haben wir immer wieder bewiesen, dass wir doch live singen können. Im ersten Jahr ging es extrem darum, einfach zu zeigen, dass wir das verdient haben und dass da Substanz vorhanden ist. Erst nach und nach wurde es besser. Aber es war ein ziemlich langer Weg.
Benaissa: Für viele Menschen war es skandalös, weil sie durch uns das erste Mal vor Augen geführt bekamen, dass es solche Castings gibt. Aber in Wahrheit sind viele Bands, die man toll und cool findet, auch in dieser Art gecastet worden. Nicht alle Musiker sitzen ja seit ihrer Kindheit zusammen im Proberaum, sondern haben über Ausschreibungen oder Castings zusammengefunden. Bei „Popstars" wurde so was das erste Mal deutlich im deutschen Fernsehen gezeigt. In der Kunst ist es gang und gäbe, dass man sich die Besten ausguckt. Heutzutage wird das als normal wahrgenommen.
Wie wollen Sie jetzt Ihrem Ruf als Vorreiter in Sachen Look, Choreografie und Sound gerecht werden?
Mölling: Das ist nicht der Anreiz unserer Wiedervereinigung! Genau das ist das Schöne an der Rolle, in der wir uns befinden. Die Fans haben das eigentlich ausgelöst, indem sie mit uns über die sozialen Medien in Erinnerungen schwelgten. Das brachte uns erst dazu, unser 20. Jubiläum zu feiern und eben nicht als Trendsetter zurückzukommen, die es den ganzen jungen Dingern zeigen wollen. Ich glaube aber, wir haben nach wie vor ein Gefühl dafür, was gerade in ist. Wir wollten uns nicht neu erfinden, sondern haben einfach ein paar alte und neue Songs aufgenommen. Momentan ist es wichtig, dass die Menschen etwas Schönes haben, woran sie sich festhalten können.
Wie würde Ihre Bühnenshow aussehen, wenn Sie jetzt vor Publikum auftreten dürften?
Benaissa: Wenn es dann mal wirklich erlaubt sein sollte und überhaupt möglich wäre, dann haben wir ein tolles Team, das mit uns eine Show erarbeiten wird. Ideen gibt es viele. Wir wollen niemandem etwas beweisen, aber in uns brennt schon ein Feuer. Wenn wir etwas machen, möchten wir mindestens 100 Prozent geben.
Mölling: Wie es „Dee" (Detlef Soost, der Choreograf) damals gesagt hat: Es wird knallen!
Wie man hört, arbeiten Sie mit Helene Fischers Choreografen zusammen. Und Sie, Sandy, bringen dann einen Schuss amerikanisches Entertainment mit in die Show hinein?
Mölling: Naja, ich bin ja doch ein deutsches Mädchen. Natürlich bin ich hier an der Quelle und mittendrin, aber eigentlich sind wir alle auf dem gleichen Stand. Es ist heute sehr einfach, überall und nirgendwo zu sein. Zu wissen, was Trend ist und gut ankommt. Ich glaube, ich habe durch Los Angeles keinen Vorteil. Einen Nachteil habe ich definitiv, weil ich langsam aber sicher nach deutschen Worten fische.
Wie lange leben Sie bereits in Kalifornien?
Mölling: Sechs Jahre.
Sie haben als Kind eine Bundeswehrmaschine abstürzen sehen. Haben Sie die daraus entstandene Flugangst besiegt oder fürchten Sie sich ein bisschen vor den bevorstehenden Reisen nach Deutschland?
Mölling: Ich habe mit sechs oder sieben Jahren in Remscheid einen Militärflugzeugabsturz gesehen. Wir haben in unmittelbarer Nähe gewohnt.
Ich war draußen, als der Flieger zehn oder 15 Kilometer von unserem Haus entfernt runterging. Ich bin dann nach oben gelaufen, um meiner Mutter davon zu erzählen. Sie wollte es mir zuerst nicht glauben, aber dann hörte man schon die Sirenen. Das hat mich traumatisiert, ohne dass ich etwas davon wusste. Vor ein paar Jahren kam das Thema noch einmal auf, und meine Mutter hat mit mir darüber gesprochen. Sofort hatte ich die Bilder wieder vor Augen. Bis dahin wusste ich überhaupt nicht, weshalb ich diese Angst vorm Fliegen hatte.
Und heute?
Mölling: Heute geht es bei mir mit dem Fliegen. In den ersten Jahren der No Angels war es aber furchtbar. Ich wurde richtig wütend, wenn ich in ein Flugzeug musste. In kleine Maschinen bin ich erst gar nicht eingestiegen, sondern lieber mit unserer Security gefahren. Ich kralle mich heute noch bei den leichtesten Turbulenzen panisch am Sitz fest, während meine Kinder ganz entspannt sind. Für die ist es, als würde es im Auto ein bisschen ruckeln.
Wann fliegen Sie zum nächsten Bandtreffen in Deutschland?
Benaissa: Wir werden vier Wochen miteinander verbringen, in denen wir ziemlich viel vorhaben. Zum Beispiel Fernsehauftritte und ein Streamingkonzert.
Nadja, seit 2020 sind Sie als Künstlerin im Deutschen Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music geführt. Fühlen Sie sich
museumsreif?
Benaissa: Ja, warum nicht? Vor drei, vier Jahren habe ich in Berlin eine Musikausstellung gesehen, in der auch die No Angels einen Teil der deutscher Popkultur repräsentierten. Eine große Ehre für uns.
Ich habe das gleich fotografiert und auf Instagram gepostet. Wir waren junge Hühner, und 20 Jahre später sind wir im Museum.
Wie ist es, in Deutschland trikulturell aufzuwachsen?
Benaissa: Ich denke, dass jede von uns ihre eigene Art hat, die in die Band mit einfließt. Natürlich hat meine Herkunft mich geprägt. Mein Vater ist Marokkaner, meine Mutter serbisch-deutsch. Das Thema Identität ist heute ja ganz groß. Mir war das früher gar nicht so bewusst. Erst als Erwachsene finde ich langsam meine Identität. Als Band waren wir von Anfang an divers, bevor dieses Thema überhaupt im Mittelpunkt stand. Wir haben immer harmoniert.
Leben Sie ein eher bürgerliches Leben?
Mölling: Ich war schon immer relativ bürgerlich und bescheiden. Ich kann nicht sagen, dass ich richtig wilde Jahre hinter mir habe. Aber tolle und spannende waren es auf jeden Fall.