Der FC Viktoria 89 beschert Berlin nach langen Jahren wieder einen Drittligisten – die „Himmelblauen" wollen aber mehr als nur der Außenseiter sein. Doch zunächst einmal galt es, die Stadionfrage zu klären.
Auch wenn coronabedingt nur elf von 38 Spieltagen in der Regionalliga Nordost 2020/21 absolviert werden konnten, gab es an der sportlichen Qualifikation für die 3. Liga keinen Zweifel. Der FC Viktoria 1889 dominierte die Saison bis zu ihrem Abbruch derart, dass das von der VSG Altglienicke angeführte Verfolgerfeld zu diesem Zeitpunkt bereits acht Punkte und mehr hinter den Himmelblauen lag. Alle elf Saisonspiele hatte das Team von Trainer Benedetto Muzzicato bis dahin gewonnen – so fand praktisch auch kein öffentlicher Widerspruch statt, als der Nordostdeutsche Fußball-Verband Mitte April bekannt gab, dass sich trotz der verkürzten Saison ein Verein aus der Nordost-Staffel für die 3. Liga qualifizieren würde. Der NOFV hatte bei der Beschlussfassung jedoch wohlweislich nur von einem (diesmal turnusmäßig direkten) Aufsteiger gesprochen – und nicht konkret vom FC Viktoria 89. Das hing damit zusammen, dass der Club aus dem Berliner Südwesten zu diesem Zeitpunkt noch keine drittligataugliche Spielstätte vorweisen konnte. Die eigene sportliche Heimat, das Stadion Lichterfelde, erfüllt die DFB-Auflagen für die 3. Liga nicht – obendrein steht die Anlage am Ostpreußendamm unter Denkmalschutz, wodurch ein Umbau in erforderlichem Maß ausgeschlossen war. Doch die Suche gestaltete sich schwierig: Der 1. FC Union winkte auf Anfrage nach einer Mitnutzung der Alten Försterei schnell ab, das Olympiastadion mit seinen hohen Mietkosten war durchgängig finanziell nicht machbar. Dazu stand der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark im Prenzlauer Berg wegen Umbaus nicht zur Verfügung und das Charlottenburger Mommsenstadion, wo unter anderem Regionalligist Tennis Borussia seine Heimspiele austrägt, hätte auch erst drittligatauglich gemacht werden müssen.
Die Lizenz war kurzfristig in Gefahr
Als keine Bewegung in die Angelegenheit kommen wollte, zogen Viktorias Verantwortliche sogar Spielstätten außerhalb der Stadtgrenzen in Erwägung. Das Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam-Babelsberg rückte dabei ebenso ins Blickfeld wie eine Verlegung der Heimspiele ins etwa 150 Kilometer entfernte Magdeburg. Die anscheinend verfahrene Situation war im Grunde nur noch durch eine unkonventionelle Lösung zu retten – und die konnte letztlich dann auch präsentiert werden. Nach Absprache mit dem Senat wird der Umbau des Jahn-Sportparks nun für zwei Jahre gestoppt, dafür soll Viktoria gemeinsam mit dem Mitnutzer der Spielstätte, dem American-Football-Team der Berlin Thunder (startet in der wieder gegründeten European Football League), die Anlage „temporär ertüchtigen". Das bezieht sich vor allem auf das Flutlicht – Teile des Stadions bleiben dazu gesperrt und das Fassungsvermögen wird auf maximal 10.000 Besucher festgelegt. Bei Spielen mit größerer Zugkraft oder erhöhtem Risiko steht dann für den Fall das Olympiastadion zur Verfügung. Dafür kann Viktoria den Jahn-Sportpark mietkostenfrei nutzen – angesichts der schwierigen Ausgangslage für den Verein sicher eine gute Lösung. Zumal die Spielstätte im Herzen der Hauptstadt aufgrund des attraktiven Teilnehmerfelds der 3. Liga den einen oder anderen Zuschauer mehr ins Stadion locken könnte, wenn die Beschränkungen es zulassen oder gar gänzlich aufgehoben werden sollten.
Neuer Investor plant strategisch
Dabei hatte man beim zweimaligen Deutschen Meister (1908, 1911) aus den Anfangstagen des deutschen Fußballs erst im Dezember 2018 einen Insolvenzantrag stellen müssen, nachdem eine in Hongkong ansässige Investment-Gruppe nach nur wenigen Monaten wieder abgesprungen war. Schon Ende Januar 2019 konnte der Vorstand jedoch mithilfe des Verwalters und eines neuen Geldgebers eine Zwischenfinanzierung zur Fortführung des Spielbetriebs präsentieren. Dennoch entsprach die Lage vor der folgenden Spielzeit einer Zäsur: Fast eine komplett neue Mannschaft sowie ein ebensolches Trainerteam wurde gesucht – jedoch auch am ambitionierten Ziel festgehalten. Sportdirektor Rocco Teichmann fand in Benedetto Muzzicato einen Kandidaten außerhalb des Berliner Fußballbetriebs, der spätestens im zweiten Jahr an der Tabellenspitze mitspielen sowie darüber hinaus dem Team seine Spielidee vermitteln wollte. Als ehemaliger „Zehner", so ließ Muzzicato forsch wissen, tue er sich schwer mit destruktivem Fußball. Wie von ihm vermutet, lief die erste Saison bei Viktoria dann noch nicht rund. Doch der neue Investor erwies sich als zuverlässig – und geduldig. Es handelt sich dabei um die SEH Sports & Entertainment Holding, die von den Brüdern Tomislav und Zeljko Karajica geführt wird und schon mit dem Basketball-Team der Hamburg Towers sowie mittlerweile auch dem österreichischen Fußballverein Austria Klagenfurt den Aufstieg in die jeweilige Bundesliga geschafft hat. Die in der Hansestadt ansässige Investmentgesellschaft erfüllt dabei in Berlin nicht nur die Verpflichtungen, sondern fördert das Projekt auch strategisch. So erwarb die SEH etwa ein eigenes Trainingsgelände in Mariendorf, das den professionelleren Anforderungen entsprechen soll – perspektivisch soll dort auch ein Nachwuchsleistungszentrum entstehen. Mit Peer Jaekel wurde dazu inzwischen ein Mann zum Geschäftsführer der GmbH installiert, der schon seit 2018 als Berater für Viktoria tätig ist und zuvor im Trainerstab von Werder Bremen sowie als Chefscout bei 1860 München Erfahrung sammeln konnte.
Bis zum Ligastart wird der Kader dabei sicher noch sein Gesicht verändern – bekanntere Namen wie der vor einem Jahr an den Ostpreußendamm gewechselte Bernd Nehrig (34, knapp 300 Zweitligaspiele) oder die lange Zeit beim 1. FC Union aktiven Christoph Menz (seit 2019 bei Viktoria) und Björn Jopek (kam im Februar 2021) sind bereits im Team. Dazu einige Eigengewächse und der eine oder andere, den Trainer Muzzicato noch aus seiner Zeit in der Regionalliga Nord kennt – sie dürften weiter den Stamm bilden. Man will sich aber treu und ein familiärer Verein bleiben – dennoch bleibt der sportliche Anspruch auch in der 3. Liga: „Wir sehen es nicht als Abenteuer, sondern möchten uns etablieren", erklärt Sportdirektor Teichmann die Zielsetzung und fügt hinzu: „Es soll ein Zwischenschritt und nicht die Endstation sein." Der letzte Berliner Verein in der 3. Liga war übrigens der heutige Bundesligist 1. FC Union.