Krisen schärfen das Bild von einem Land, denn sie lassen die Widersprüche stärker hervortreten. Die Studie „Außenblick" beleuchtet das Deutschlandbild im Ausland.
Die Studie, ein Gemeinschaftswerk des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Goethe-Instituts, zählt viele mahnende Stimmen auf, aber auch eine Reihe von Gründen, weshalb man uns achtet. Es sind spannende Einsichten in vermeintliche Selbstverständlichkeiten.
Insgesamt, so ein wichtiger Kritikpunkt, nähmen populistische und extremistische Tendenzen in Deutschland zu. Einer der Befragten bekennt: „Ich habe mich nie diskriminiert gefühlt in Deutschland. In den letzten Jahren aber schon, und das macht mich total traurig". Kein anderer Risikobereich werde im Ausland in so vielfältiger Weise thematisiert, so die Studie. Gerade vor dem Hintergrund der weltweiten Anerkennung für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte irritieren und verunsichern die extremistischen Tendenzen Gesprächspartner im Ausland: „Ich dachte, dass Deutschland aufgrund seiner Geschichte von rechtsradikalem Gedankengut frei wäre. Es tut weh zu sehen, dass es dennoch passiert …" Das Gefühl der Sicherheit stelle sich mittlerweile auch dann nicht mehr ein, wenn die Polizei in der Nähe sei: „Mir ist aufgefallen, dass die Polizei die Ausweise von Dunkelhäutigen kontrolliert. Das macht mich unsicher, selbst wenn ich nie kontrolliert werde, weil ich ausschaue wie eine Helga." In ihrem Land gebe es das auch, sagt die befragte Expertin, aber von Deutschland habe sie anderes erwartet.
Die Ergebnisse basieren nicht auf flüchtigen Online- oder Telefon-Interviews. Es sind Aussagen von mehr als 620 internationalen Experten aus 40 Ländern, die in der internationalen Zusammenarbeit tätig sind. Dazu kommen noch einmal 50 Tiefeninterviews. Die Befragten kennen Deutschland gut, sie konnten anhand ihrer Beobachtungen Erwartungen, Wünsche und Befürchtungen gegenüber Deutschland formulieren. Die Befragungen fanden im ersten Vierteljahr 2021 statt.
Viel Verwunderung, was trotz deutscher Effizienz alles nicht klappt
Ungebrochen ist das Image der Deutschen als fleißig, effizient und zuverlässig. Das politische System Deutschlands wird als eine stabile Demokratie angesehen, die rechtsstaatlichen Prinzipien folge. Anders als in Deutschland selbst wird die Zugänglichkeit zu Schulen und Universitäten als große Stärke des deutschen Bildungssystems wahrgenommen. Auch die Universitäten und Forschungseinrichtungen findet man wegen ihrer Interdisziplinarität und Anwendungsorientierung attraktiv. Die kulturelle Vielfalt mit Angeboten für die ganze Breite der Bevölkerung wird gelobt. Das Gesundheitssystem mit der flächendeckenden Krankenversicherung und der hochqualitativen Versorgung löst fast schon Neid aus.
So wird die effiziente Bewältigung der ersten Covid-19-Welle im Frühjahr 2020 weithin als effizient und vorbildlich wahrgenommen. Es sei rasch klar geworden, dass Deutschland die Pandemie in der ersten Phase sehr gut unter Kontrolle hatte. Einerseits aufgrund eines effizienten Systems und andererseits wegen der disziplinierten Haltung der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Maßnahmen. In der Handhabung der Corona-Krise habe sich die „deutsche Effizienz" gezeigt: „Die Menschen interessierten sich für die Regeln und befolgen sie. Man respektiert, was die Regierung sagt. Das hat sich als sehr positiv bei der Bewältigung der Krise erwiesen." Vorbildlich sei auch der Umgang mit den Beschäftigten und Unternehmen gewesen.
Anders die zweite Welle: Die deutsche Bevölkerung habe sich zu sicher gefühlt, die Disziplin abgenommen. Instrumente wie die Corona-App wären aufgrund zu großer Datenschutz-Vorbehalte auch in der zweiten Welle und trotz der Ernsthaftigkeit der Lage nie wirklich akzeptiert worden. Auch die langwierige Abstimmung zwischen Bund und Ländern wird kritisiert.
Sehr verwundert war das Ausland über die wahrgenommenen Schwierigkeiten Deutschlands bei seiner Impfstrategie: „Was mich verwirrt, ja, was ich unfassbar finde in einem Land wie Deutschland, ist das langsame Impfen und der Mangel an Impfstoff. […] Warum hat Deutschland das nicht auf die Reihe gekriegt?"
Mehr Verantwortung, deutlichere Positionen
Das ist nicht der einzige Anlass, über die Deutschen den Kopf zu schütteln. Sie seien häufig übervorsichtig und überkritisch. „Sie übertreiben es beispielsweise mit dem absurden Festhalten an der Pünktlichkeit. Es ist ein Drama, wenn der Zug zu spät kommt! Aber was kann schon passieren?", sagt ein Teilnehmer der Studie. Sie hätten die höchsten Standards, an die sie sich mitunter starr festklammerten, wie zum Beispiel die vielen akademischen Hürden oder die ausgeprägten Hierarchien. Um innovativer zu werden, müsse Deutschland risikobereiter sein und experimentieren. Dass es daran mangele, sei mit ein Grund, weswegen Deutschland mit der Digitalisierung nicht vorankomme. Eine persönliche Erfahrung: „Bei virtuellen Sitzungen mit Leuten aus Deutschland sowie einer Veranstaltung mit hochkarätigen deutschen Politikern ist uns recht deutlich aufgefallen, wie schlecht die Internet-Infrastruktur Deutschlands ist. Das finde ich sehr beschämend und enttäuschend für so ein respektiertes Land." Auch beim Umweltschutz folgt man nicht den vielen Sonntagsreden. Ein Teilnehmer: „Auf dem Papier schaut Umweltschutz in Deutschland zwar gut aus, aber gleichzeitig gab es den VW-Skandal, und es wird so viel Geld in Straßenbau gesteckt. Das verwirrt mich."
Als eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre gilt in den Reihen der Befragten, die sich abzeichnenden geopolitischen Machtverschiebungen zwischen China, Russland und den USA friedlich aufzulösen. Deutschland spiele hier schon aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke eine wichtige Rolle, besitze eine hohe Glaubwürdigkeit, und die Gesprächspartner trauen Deutschland zu, international Verantwortung zu tragen. Dafür sei es notwendig, dass Deutschland deutlicher Position beziehe, und zwar im Rahmen der EU. „Man kann Deutschland nur verstehen, wenn man Europa versteht – und man kann Europa nur verstehen, wenn man Deutschlands Rolle in Europa versteht."
Global solle das Land mehr Verantwortung übernehmen. So das einhellige Credo der sehr unterschiedlichen Gesprächspartner. Deutschland könne eine Rolle als Mediator zwischen den Großmächten, als glaubwürdiger und vertrauensvoller Berater sowie als Sprachrohr Europas für eine gemeinsame langfristige Entwicklung spielen. „Deutschland ist lange Zeit international eigenständig aufgetreten, dann ist es zunehmend abhängig von den USA geworden. Ich würde mir wieder mehr Souveränität in der deutschen Politik wünschen." Außenpolitisch werde es künftig von großer Bedeutung sein, wie Deutschland sich in die Machtkämpfe zwischen China und den USA und dem nach vorne drängenden Russland entsprechend einbringen wird. „Deutschland sollte eine stärkere Rolle bei außenpolitischen Sicherheitsfragen spielen, vor allem auch deswegen, weil es ein sehr reiches Land ist", lautet denn auch das Urteil vieler der befragten Beobachter.
Die Studie enthält auf 120 Seiten noch viel mehr Aussagen über Deutschland und die Deutschen, etwa zur Flüchtlingskrise, zur Aufarbeitung der Vergangenheit, zum Verhältnis zur Kolonialgeschichte. Zu allen Themenkomplexen gibt es auch statistisches Material. Ein Punkt aber sorgt für gespannte Aufmerksamkeit bei den Befragten: die bevorstehende Verabschiedung der Bundeskanzlerin. Schon lange sei Deutschland nicht mehr in einer Situation gewesen, wo sich Politik grundlegend neu ausrichte, und ein wenig bang wird gefragt: „Mit welchem Deutschland werden wir nach den Bundestagswahlen verhandeln?"