Sie hatte die wohl gewaltigste Stimme ihrer Generation: Amy Winehouse. Ihre Karriere war kurz und chaotisch, Drogen und Alkohol waren ihre ständigen Begleiter. Am 23. Juli 2011 starb die „Jahrhundertsängerin" in London. Von ihrem ehemaligen Bandleader Dale Davis erfuhr Olaf Neumann, wie Winehouse wirklich war.
Amy Winehouse’ Großmutter väterlicherseits, Cynthia, war zeitweise mit dem britischen Jazz-Saxofonisten Ronnie Scott liiert. Über ihn sagte der afroamerikanische Bassist Charles Mingus, dass Scott als Weißer sehr nahe an das schwarze Blues-Feeling herankäme. In diesem Sinne war auch Cynthias Enkelin Amy eine Ausnahmeerscheinung: eine Weiße mit schwarzer Soulstimme.
Geboren am 14. September 1983 in London als Tochter des Taxifahrers Mitch und der Apothekerin Janis Winehouse, kam Amy Jade schon früh mit Musik in Berührung. Die Brüder ihrer Mutter waren zum Teil professionelle Jazzmusiker, und ihr Vater sang schon als Kind mit seiner Familie. Als Zehnjährige stand sie auf amerikanische R&B- und Hip-Hop-Acts wie TLC und Salt-N-Pepa und gründete die Rap-Crew Sweet ’n Sour.
Mit zwölf Jahren wurde sie in die renommierte Sylvia Young Theatre School aufgenommen und bekam ihre erste Gitarre. Doch mit 16 flog der schwierige Teenager von der Schule. Da hatte ihr Vertrauter Tyler James bereits ihr Demoband an das Majorlabel Universal weitergegeben, das eine Jazzsängerin suchte. So kam Amy zu ihrem Plattenvertrag.
„Amy war definitiv ein besonderer Mensch und ein Naturtalent"
Als sie eine Band zusammenstellen wollte, wurde Dale Davis zum Vorspielen eingeladen. Der renommierte Bassist (Tina Turner, Jamie Cullum, Mark Ronson) erinnert sich, dass er von ihr auf mannigfaltige Weise fasziniert war – von ihrer Art zu singen, ihrem Songwriting und ihrer Bühnenpräsenz. „Schon mit 18 Jahren hatte Amy dieses strahlende Licht in den Augen. Amy war definitiv ein besonderer Mensch."
Der Auftakt-Gig mit Davis als Bandleader fand in einem kleinen Club in Westlondon statt. „Ich habe sofort gesehen, wie talentiert sie war", erinnert er sich im Interview mit dem Autor dieser Zeilen. „Zwei Wochen später – bei unserer dritten Show – wurde mir bewusst, ich hatte es mit einer Ausnahmekünstlerin zu tun. In dem Moment, in dem sie die Bühne betrat, hingen die Leute an ihren Lippen. Ich sagte zu Amy, dass sie eigentlich gar keine Band bräuchte. Sie hätte die Shows auch allein mit ihrer Gitarre absolvieren können."
Ihre gewaltige Soulstimme war geprägt von jazziger Verspieltheit und Phrasierung. Auf Demos, die sie als Teenager aufgenommen hat, war ihr Organ längst ausgereift. „Sie war ein Naturtalent", sagt Davis. „Wir hatten nicht in jeder Hinsicht denselben Musikgeschmack, aber schon viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel unsere Liebe für Hip-Hop, Soul und Jazz".
Noch bevor sie weltweiten Ruhm erlangte und ihren legendären Look einführte, erschien ihr Debüt „Frank" (2003). Das Album wurde von der Kritik gefeiert und für den Mercury Music Prize sowie für zwei BRIT Awards nominiert. Die Single „Stronger Than Me" brachte der Newcomerin einen Ivor Novello Award und Doppel-Platin-Status ein.
Ihre letzte Live-Show 2011 in Belgrad wurde zu einem Desaster
Am Anfang sei Winehouse nicht im Geringsten chaotisch gewesen, setzt Dale Davis anderslautenden Gerüchten entgegen. Die Zusammenarbeit mit ihr war für den Bassisten nicht anders als zum Beispiel seine Tätigkeit für Tina Turner. „Amy hatte die Fähigkeit, ihre Gedanken in Worte zu fassen, die die Menschen berühren. Sie war überhaupt nicht kompliziert und eine unheimlich musikalische Person."
Trotz wenig Promotion geriet ihr zweites Album „Back To Black" 2007 zu einem weltweiten Erfolg. Bei den Brit Awards wurde sie zur besten weiblichen Solokünstlerin des Jahres gekürt. Dort sah man den typischen Winehouse-Look in voller Wirkung, von der voluminösen Bienenkorb-Hochsteckfrisur der Sängerin über ihren dicken Eyeliner bis hin zum schwarzen BH, der aus ihrem gewagten Minikleid herausschaute.
In ihrem Hit „Rehab" sang sie, sie wolle keine Entziehungskur machen. Dort gebe es nichts zu lernen, was Ray Charles oder Donny Hathaway ihr nicht beibringen würden. Dass ihr Leben mit der Zeit chaotischer wurde, bestätigt Dale Davis, aber das sei doch bei jedem Major-Künstler der Fall. Viele haben versucht, ihr zu helfen, und so konnte sie gegen Ende ihrer Karriere, als sie so oft neben sich stand, immer noch singen und auftreten.
Während ihres Aufstiegs zum Superstar unter ständiger Beobachtung durch die Londoner Paparazzi begann Winehouse einen Ruf als labiles Partygirl zu entwickeln. Sie erschien oft zu betrunken zu Auftritten, um ein ganzes Programm zu singen und begann eine turbulente Beziehung mit dem Musikvideo-Assistenten Blake Fielder-Civil, der zugab, Winehouse in die Welt der harten Drogen eingeführt zu haben. 2007 heirateten die beiden am Strand von Miami. In der Öffentlichkeit arteten die Auseinandersetzungen des Celebrity-Paares oft in Faustkämpfe und andere dramatische Szenen aus.
Ihr Antrieb war aber immer die Musik. In den ersten vier Jahren ihrer musikalischen Zusammenarbeit sei sie konstant brillant gewesen, flötet Davis. „Alles, was sie tat, wirkte so mühelos, als könnte sie jede Nacht auftreten. Aber natürlich wurde sie auch mal müde. Das ließ sie sich jedoch nicht anmerken, weil sie ein hohes Arbeitsethos hatte. Ihre Willenskraft war stärker als bei jedem anderen, den ich kenne. Eine solche Sängerin gibt es nur einmal in einer Generation."
2008 gewann Winehouse rekordverdächtige fünf Grammys und gab eine unvergessliche Performance via Satellit. „Sie wollte sich durch ihre Songs ausdrücken", erklärt Dale Davis. „Sie hatte einen hohen Anspruch an sich selbst und wollte immer alles richtig machen. Wenn man sich einmal ihre beiden Studioalben nacheinander anhört, spürt man, wie schnell sie dazugelernt hat. Sie wusste, was sie tat und hatte genaue Vorstellungen von ihren Songs, ihrem Stil und ihrem Image."
Obwohl es wie eine unerwartete Paarung erschien, arbeitete Winehouse mit dem Modelabel Fred Perry an einer Kollektion, die von ihrem eklektischen Stil inspiriert war. Sie trug immer ikonische Motive – von ihren Gürteln bis zu ihren Haaren, von ihrem Eyeliner bis zu ihren Schuhen, von ihren Tattoos bis zu ihren kleinen schwarzen Kleidern.
Winehouse hatte bei ihrem Tod 4,16 Promille Alkohol im Blut
Ihre letzte Live-Show vom 18. Juni 2011 in Belgrad wurde zu einem Desaster. Winehouse wirkte völlig neben der Spur. Anstatt zu singen, umarmte sie ihre Bandmitglieder. Für Davis das schwierigste Konzert seiner gesamten Karriere. Er kann bis heute nicht glauben, dass sie an dem Abend fast anderthalb Stunden auf der Bühne standen. An das meiste erinnert er sich auch gar nicht mehr. „Uns allen war bewusst, dass dieses Konzert das Ende der Band markiert. Als ich zwei Tage später wieder in London war, teilte das Management mir mit, dass wir eine Pause einlegen werden. Wir wussten, dass es Probleme mit Amy gab."
Am 23. Juli 2011 war Davis gerade mitten in den Proben mit einem anderen Künstler, als jemand eintrat und rief „Amy ist tot!" Sie war an einer Alkoholvergiftung mit 4,16 Promille im Blut gestorben. „Meine Knie wurden plötzlich ganz weich, und ich fiel rücklings auf einen Stuhl. Wir waren doch für den Abend verabredet!"
Amy Winehouse wurde Zeit ihres Erwachsenenlebens von der Boulevardpresse gejagt. Man hat ihr Mobiltelefon gehackt. Sie war ein Weltstar, der gewaltig unter Druck stand. „Manchmal ist es ihr sehr schwergefallen, einfach den Schalter umzulegen und wieder ganz normal zu sein. Sie war kein Mensch, der über seine Probleme sprach. Ich glaube, was sie am Ende umgebracht hat, war ihre Essstörung. Wer nichts isst, der wird über kurz oder lang sterben. So einfach ist das."
Auch ihr Jugendfreund und Mitbewohner Tyler James durchlebte all die Höhen und Tiefen mit Amy Winehouse –
und hat darüber ein Buch geschrieben. In „Meine Amy – ein Abschied in Worten" beschreibt er, wie der Ruhm an ihr zehrte, wie sie ausgenutzt wurde, am schmerzlichsten von ihrem Vater Mitch. Tyler musste mit ansehen, wie Winehouse in einer toxischen Beziehung zerriss. Bulimie, Drogenkonsum, Entzüge und Rückfälle – Amys Erfahrungen hatte er auch selbst durchgemacht.