Am 6. August startet die NOFV-Oberliga Nord. Wenige Tage vor dem Auftakt gibt es aber noch immer keinen absoluten Topfavoriten.
Marco Gebhardt scheint eine besondere Art von Humor zu pflegen: „Das wird eine lustige Saison", sagt der Trainer der SpVg Blau-Weiß 90 jedenfalls über die Situation vor dem Start der NOFV-Oberliga Nord vom 6. bis 8. August. Beim früheren Bundesligisten steht die zweite Spielzeit nach einem personellen Umbruch an, und das Team soll weiter zusammenfinden – allerdings glaubt Gebhardt: „Die Oberliga wird dieses Jahr so ausgeglichen wie noch nie." Für die Mariendorfer heißt das übersetzt, dass sie sich keine allzu große Anlaufzeit nehmen können, um den Platz im gesicherten Mittelfeld – das erklärte Ziel – zu erreichen. Denn selbst unter den drei Neulingen kann der ehemalige Fußballprofi (unter anderem Eintracht Frankfurt, 1. FC Union) keinen ausgemachten Abstiegskandidaten erkennen – im Gegenteil: Vor allem dem Berliner Aufsteiger Eintracht Mahlsdorf traut Gebhardt eine gute Rolle zu. Die Mahlsdorfer haben schließlich nach etlichen Anläufen mit einem ambitionierten Kader diesmal den Sprung in den überregionalen Fußball geschafft und durch Zugänge mit höherklassiger Erfahrung wie Nico Beyer, Max Mulack (beide früher Hertha BSC II) oder Rifat Gelici (von Tennis Borussia) noch mal an Qualität gewonnen. Selbst den überraschenden Abgang von Aufstiegstrainer Daniel Volbert konnte man in Mahlsdorf rasch kompensieren: Simon Rösner (früher unter anderem VSG Altglienicke) wird seinen Platz an der Seitenlinie einnehmen.
„So ausgeglichen wie noch nie"
Nach sechs Platzierungen unter den Top 4 gehört der FC Hertha 03 auch vor dieser Spielzeit wieder zu den Favoriten. Allerdings hat die Mannschaft aus Berlin-Zehlendorf ein wenig den Ruf, in entscheidenden Phasen der Saison nicht voll auf der Höhe zu sein. In der kurzen, nach neun Spieltagen abgebrochenen Saison 2020/21 war dies gleich zum Start der Fall: Als man dem späteren Aufsteiger SV Tasmania im achten Spiel die erste Niederlage zufügen konnte, sollte es dann schon zu spät gewesen sein. Zuvor hatte man sich bereits von Simon Rösner getrennt und dessen Assistenten Fabian Gerdts – gemeinsam mit dem langjährigen Mannschaftskapitän Robert Schröder – zum Trainerduo gekürt. Vor allem offensiv musste die „kleine Hertha" nun den einen oder anderen Abgang verkraften, hat mit Deniz Citlak (FC Strausberg), Tim Grabow (Blau-Weiß 90), Romario Hartwig (VSG Altglienicke) und Mushakir Razeek (Colombo FC/Sri Lanka, zuvor Türkiyemspor) jedoch für qualitativ hochwertigen Ersatz gesorgt.
Eine gute Rolle ist diese Saison auch dem CFC Hertha 06 zuzutrauen – der ohnehin mit guten Individualisten bestückte Kader wurde defensiv noch mal mit Rückkehrer Enes Biyiklioglu (Tennis Borussia) und Emre Turan (Optik Rathenow) stabilisiert. Dazu kann Bilal Cubukcu (Hertha BSC II) – wenn er verletzungsfrei bleibt – im Mittelfeld für Belebung sorgen und damit den Ex-Bundesligaprofi Solomon Okoronkwo nach dessen Wechsel zum Ligakonkurrenten Brandenburger SC Süd ersetzen. Der Coach der Charlottenburger, Dietmar Demuth, hat sogar als Spieler und Trainer des FC St. Pauli schon im Oberhaus auf sich aufmerksam machen können.
Und auch einem weiteren Berliner Oberligisten, dem SC Staaken, ist eine starke Saison zuzutrauen. In der Vergangenheit hat der Verein aus dem äußersten Westen der Hauptstadt vor allem erfolgreich auf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs gesetzt. Seit die Verantwortlichen vor der abgelaufenen Saison bei den Neuzugängen auch auf erfahrenere Spieler anderer Vereine setzen, haben die Spandauer noch mal einen Qualitätssprung gemacht. Mit Denis Barcic (Blau-Weiß 90) und Kevin Adewumi (Optik Rathenow) wurde nun das Mittelfeld noch mal aufgewertet. SC-Trainer Jeffrey Seitz geht bereits in seine sechste Saison in Staaken.
Der SFC Stern 1900 – der sechste Berliner Vertreter in der Oberliga – hat als Neuling vergangene Spielzeit einen guten Eindruck hinterlassen. Auch bei den Steglitzern wird viel auf junge Spieler aus der eigenen Jugend oder von anderen Vereinen gesetzt. So ist binnen einiger Jahre unter der Leitung von Trainer Andreas Thurau ein stark eingespieltes Team gewachsen, das nach dem Gewinn der Berliner Meisterschaft 2020 auch eine Klasse höher zu bestehen wusste. Der siebte Platz war letztlich der Lohn für die gute Arbeit.
Viel Bewegung auf dem Transfermarkt
Als ganz heißer Aufstiegskandidat galt letzte Saison auch der Greifswalder FC – doch die Hansestädter leisteten sich im Rennen mit Tasmania zu viele kleine Patzer. Vor dieser Saison kam es dann zu einer Umbesetzung: Der bisherige Trainer Roland Kroos wurde zum sportlichen Leiter „befördert", neuer Mann auf der GFC-Bank ist nun der von der eigenen U19 gekommene Martin Schröder. Außer Ex-Profi Ronny Garbuschewski (BFC Dynamo) mit seinen 35 Jahren sind die Zugänge dann auch vorwiegend junge Spieler, zum Teil auch aus dem eigenen Nachwuchs. Die Korsettstangen des Teams sind aber geblieben – allen voran Velimir Jovanovic. Der Stürmer mit Zweitliga-Erfahrung brachte es in der vergangenen Spielzeit immerhin auf acht Tore in ebenso vielen Einsätzen.
Dem letztjährigen Neuling Rostocker FC wird in der anstehenden Spielzeit dazu mehr als nur Platz 11 zugetraut. Gleich fünf Zugänge kommen von der Reserve beziehungsweise U19 des FC Hansa und sorgen für eine Verstärkung sämtlicher Mannschaftsteile. Torwart Damian Schobert (BFC Dynamo), Johann Berger (Holstein Kiel II) oder Jakob Gesien (FSV Luckenwalde) wechseln dazu aus der Regionalliga zum RFC. Trainer der Ostseestädter ist Volodymyr Lyutyi – als Spieler unter anderem bei Schalke 04, MSV Duisburg und VfL Bochum aktiv –
der in der vergangenen Saison das Amt von Jens Dowe übernahm. Unter der Leitung des Deutsch-Ukrainers gelangen den Rostockern dann vor Saisonabbruch unter anderem Siege gegen die Topteams Greifswalder FC und SV Tasmania.
Zum Saisonstart der NOFV-Oberliga Nord findet gleich am Freitagabend unter anderem das erste Hauptstadtderby zwischen dem SC Staaken und Blau-Weiß 90 statt. Die Spieltage zwei bis vier werden dann obendrein als englische Woche ausgetragen – trotz der Auswahl der Paarungen nach regionalen Kriterien am Mittwoch für viele berufstätige Aktive in dieser Spielklasse ein kleiner Kraftakt. Aber: Dass die Saison lustig wird, war ja von Marco Gebhardt auch nicht so ernst gemeint.