Wieder wurde bei Hertha BSC der Kader kräftig umgebaut – und erneut muss Trainer Dardai im laufenden Spielbetrieb die Aufgabe angehen, ein Team zu bilden.
Damals auf dem Schulhof war der junge Fredi vermutlich schon ein gefürchteter Tauschpartner von Sammelbildern – und mit dieser Art „Handel" verglich der Geschäftsführer Sport von Hertha BSC ja die aktuelle Transferperiode kurz vor deren Ablauf. „In den 80ern hätte ich gesagt: Wir tauschen jetzt Panini-Bilder", beschrieb Fredi Bobic die Situation – und wollte damit auch zweierlei deutlich machen. Erstens: Es wird die von vielen im Umfeld erhoffte Transferoffensive mit namhaften Verpflichtungen bei Hertha BSC nicht geben. Und zweitens: Es werden nur Spieler abgegeben, für deren Position es frischen Ersatz gibt. Egal, ob Bobic selbst den jeweiligen Hertha-Profi auf seiner persönlichen „Streichliste" stehen hat oder nicht. Und dazu zählten einige – vor allem aufgrund ihrer Mentalität. Allen voran die Topscorer der letzten Spielzeit, Matheus Cunha und Dodi Lukebakio, die Bobic auf der anderen Seite keinesfalls unter Marktwert abgeben wollte. Das sollte ihm gelingen: Der Brasilianer verließ Berlin für 30 Millionen Euro endgültig zu Atletico Madrid, während Lukebakio leihweise für eine Saison nach Wolfsburg wechselt – das spart zumindest vorerst das üppige Gehalt des belgischen Nationalspielers. Zweifel am geforderten Willen führten letztlich auch zur Trennung von den Eigengewächsen Arne Maier (nach Augsburg, Leihgeschäft mit Kaufoption) und Luca Netz (Mönchengladbach) sowie den Ausleihen von Omar Alderete (Valencia), Javairo Dilrosun (Bordeaux), Eduard Löwen (Bochum) und Daishawn Redan (Zwolle / NL). Nur Angreifer Jessic Ngankam, der sich bei seiner Zwischenstation in Fürth gleich einen Kreuzbandriss zugezogen hat, darf sich in diesem Kreis größere Hoffnungen auf eine spätere Wiedereingliederung in den Kader der Blau-Weißen machen. Nicht „geplant" war dagegen der Abgang von Jhon Cordoba (Krasnodar / RUS), bei dem Geschäftsmann Bobic aber nüchtern den Wunsch des Spielers sowie die stattliche Ablöse von 20 Millionen Euro als schlagkräftige Argumente für eine Einwilligung erachtete.
Hinterlassene Lücken werden nach und nach gefüllt
Und so versuchte der frühere Nationalspieler, die Lücken in seinem „Album" nach und nach zu schließen: Kevin-Prince Boateng (ablösefrei aus Monza / ITA) etwa für Sami Khedira, der die Schuhe endgültig an den Nagel hing, Suat Serdar (Schalke, 8 Mio) für Maier sowie Stevan Jovetic (ablösefrei aus Monaco) beziehungsweise Marco Richter (Augsburg, 7 Mio) als Alternative für die dünn besetzte Offensive. Erst in den letzten Tagen des Transfermarkts kam tatsächlich, wie Bobic vermutet hatte, noch mal kräftig Bewegung in die Verhandlungen. Mit Ishak Belfodil (Hoffenheim, 500.000 Euro) gab es ein „Schnäppchen" für den Sturm und Oliver Christensen (Odense / DK) ein 22-jähriges Torwarttalent, das Alexander Schwolow als Nr. 1 Druck machen soll. Der Abgang von Cunha wurde durch Jurgen Ekkelenkamp (Amsterdam, 3 Mio) ausgeglichen und auf die Ausleihe Lukebakios mit dem Transfer von Myziane Maolida (Nizza, 4 Mio) reagiert. Nur für die späten Verabschiedungen von Dilrosun und Redan hatte Bobic keinen passenden „Konter" mehr parat – die Versuche, zumindest noch den Spanier Samu Castillejo von AC Mailand loszueisen, kamen laut des Berliner Boulevards jedenfalls zu spät.
So bleibt unter dem Strich festzustellen: In der Transferperiode des Sommers hat Hertha BSC in seinem Kader nicht nur etwas an Quantität, sondern auch an (individueller) Qualität verloren. Denn gerade die erwähnten Cordoba, Cunha und Lukebakio wurden zwar positionsgetreu ersetzt – aber eben mit Spielern, die wohl eher perspektivisch weiterhelfen können. Cordoba-Ersatz Belfodil brachte es etwa in den letzten beiden Saisons in Hoffenheim verletzungsbedingt überhaupt nur zu 19 Einsätzen, spielte dabei durchschnittlich etwa 45 Minuten und blieb dabei ohne Treffer. „Er weiß, wo das Tor steht", ist sich Bobic als ehemaliger Stürmer in seiner Wahl jedoch sicher und denkt dabei bestimmt an die Saison 2018/19, als der Algerier 16-mal für die TSG erfolgreich war. Cunha-Nachfolger Ekkelenkamp soll dazu Ajax verlassen haben, weil er dort angesichts der großen Konkurrenz zu wenig Einsatzzeit befürchtete. „Jurgen hat eine sehr gute Technik und kann viele Tore vorbereiten", zeigt sich Pal Dardai vom niederländischen U21-Nationalspieler jedoch überzeugt. Und Myziane Maoulida brachte es bei 65 Einsätzen in der Ligue 1 auf fünf Tore und sieben Vorlagen – aber: „Mit seiner Schnelligkeit und seinen Qualitäten am Ball wird er unser Spiel nach vorne definitiv bereichern", strich Bobic bei der Vorstellung des Franzosen heraus. Ob der bewiesenen Qualitäten des neuen Geschäftsführers bei seinen Stationen in Stuttgart und Frankfurt sind tiefer gehende Zweifel an den Zugängen zwar erst mal überflüssig – es ist jedoch zumindest nicht damit zu rechnen, dass gerade die Neuen auf den offensiven Positionen dem aktuellen Tabellenletzten schnell helfen können.
Positionsgetreu umgebaut, aber oft wenig Spielerfahrung
Was jedoch viel mehr ins Gewicht fallen dürfte, ist die erneute Fluktuation bei Hertha BSC: Über den Daumen ein Dutzend Ab- und Zugänge, das bedeutet erneut einen gewaltigen Personalwechsel bei der „Alten Dame".
Die Rochaden im Kader waren dabei in den letzten beiden Saisons bereits ein Teil der Ursache, die zu ihren jeweils haarsträubenden Verläufen führten. Im Frühjahr hatte der als „Retter" zurückgekehrte Pal Dardai schon trotz des unausgeglichen vorgefundenen Kaders geäußert: „Du kannst nicht noch einen Umbruch machen – es geht nicht, dass jetzt wieder acht neue Spieler kommen." Nun ist der Fall doch eingetreten, und Herthas Trainer ist derjenige, der damit die größte Arbeit zu erwarten hat. Wieder ein neues Team zusammenschweißen und das nach dem Fehlstart in der Bundesliga: Sollten nicht bald Punkte auf das Konto von Hertha BSC wandern, wird es jedenfalls kein Wunder sein, dass die Diskussionen um den Trainer weiter an Fahrt aufnehmen. Der Ungar hatte sich nach der Bayern-Pleite bereits sehr ambivalent präsentiert: Einerseits schockiert und in der Folge beinahe resigniert, andererseits versprach er: „Bis Weihnachten werden wir eine stabile Saison spielen." Da hatte Dardai aber auch noch im Brustton der Überzeugung zu den blau-weißen Transferaktivitäten gesagt: „Die Qualität, die wir abgegeben haben, ist noch nicht da – aber die wird noch kommen."