Zu Heike van Hoegaerden kommen Menschen, die Fragen und Nöte haben, sich in Krisen befinden oder einfach ihr Leben verstehen wollen. Die 52-jährige Astrologin findet Antworten in den Sternen.
Wer Heike van Hoegaerden besuchen will, um sich von ihr sein ganz persönliches Horoskop erstellen und deuten zu lassen, muss sich in den Nordosten von Berlin begeben. Der Bezirk Weißensee liegt irgendwie so da, Niemandsland, irgendwie dazwischen, nicht Zentrum, nicht Stadtrand, nicht hübsch, nicht hässlich, aber immerhin viel Grün. Am Klingelschild eines wuchtigen Wohnblocks steht nicht mehr als ihr flämischer Name, mitgenommen aus früherer Ehe, ansonsten nichts. Keine Sternzeichen, kein esoterischer Schnörkel. Auch in dem Eingangsflur der überschaubaren, freundlich eingerichteten Wohnung deutet zunächst nichts auf ihre Profession, im Gegenteil. Der kleine Raum, in dem sie ihre Ratsuchenden empfängt, gleicht eher einem nüchtern eingerichteten Homeoffice. Weißer runder Tisch, Laptop, Bürolampe in Anthrazit, schmale Holzbank, weißes Bücherregal. Statt glimmender Räucherstäbchen und flackerndem Kerzenlicht dringt Sommersonne durch die geöffnete Balkontür. Nur an der Wand hängen lose, ordentlich angebrachte Blätter voller Textspalten, Botschaften und Berechnungen zu den Tierkreiszeichen. Da muss man schon näher herantreten, um das zu entziffern. Und auch dann versteht man das nicht.
Heike van Hoegaerden ist eine sehr schlanke, sehr große Frau und das Horoskop einer im Sternzeichen Waage Geborenen, zufällig gegoogelt, beschreibt diese Menschen unter anderem als aufgeschlossen, kreativ, harmoniebedürftig und immer gut gepflegt. Das trifft auf sie wohl zu, aber es sagt nicht viel. Wer also ist diese Frau, und was hat sie dazu gebracht, anderen Leuten ihre Zukunft vorherzusagen? Es fällt angenehm leicht mit Heike van Hoegaerden ins Gespräch zu kommen. Die 52-Jährige sagt, was sie denkt. Keine Show und keine wattigen, lauwarm temperierten Befindlichkeitsphrasen. Man wird nicht umärmelt oder verbal angetatscht. Das mag daran liegen, dass es in ihrer Kindheit kein Platz gab für Gefühlsgedöns. „Meine Kindheit in Köln war unglücklich. Ich war mit allem allein", sagt sie. Ihre Eltern, die Mutter Bürokauffrau, der Vater Schlosser, erinnert sie als hart und kalt. Vor denen hatte sie mehr Angst als Zutrauen. Eigentlich redete sie gern, sieht sich anfangs als fröhliches Kind, aber es war niemand da, der zuhörte, mit dem sie sprechen konnte. Auch nicht über die Geister, die da waren, direkt gegenüber auf dem Friedhof, neben dem sie wohnten. Schauspielerin wäre sie gern nach dem Abitur geworden, aber die Mutter wollte schon während der Schulzeit erzwingen, was angeblich gut sei für die Tochter: Bankkauffrau, Hotelkauffrau, immer solide, immer anständig. Heike laviert, versucht es auf der Fachhochschule als Dolmetscherin und Übersetzerin, aber irgendwann will sie keine faulen Kompromisse mehr, nicht ihrer Mutter gegenüber, nicht mit sich selbst.
Heike schmeißt alles hin und zieht aus. „Jetzt erst ging das Drama richtig los", sagt sie und lacht ohne Spur von Selbstmitleid. Sie arbeitet in einer Klitsche, lötet Platinen, braucht Geld. Sie wäre gern Schneiderin geworden, aber schließt eine Ausbildung als Buchhändlerin ab. Soll sie das bis an ihr Lebensende machen? Neuer Versuch, Germanistikstudium, erstes Staatsexamen, mit dem sie Deutsch als Fremdsprache unterrichten kann. Viel Auf und Ab und noch mehr Unsicherheit prägen diese Jahre. „Ich habe immer Leute beneidet, die wissen, wo ihre Talente liegen und die wissen, was sie eigentlich wollen. Ich habe damals nur mal hier, mal dort geguckt." Bedauern schimmert durch.
Um endlich mal Geld zu verdienen und vielleicht berühmt zu werden, schreibt sie einen Roman. Schafft sie es? Sie lässt sich ihr Horoskop erstellen, das soll diese Frage beantworten und Sicherheit geben. Die Prognose ist zweideutig, aber so hat es angefangen mit der Sternenguckerei. Heike will wissen, was das Schicksal für sie vorgesehen hat. Aber vielleicht hat sie nicht die richtigen Fragen an ihr Horoskop gestellt. Denn das Schicksal trifft sie vollkommen unvorbereitet. Sie lernt ihren Mann kennen, bekommt zwei Kinder, sie ziehen aus beruflichen Gründen des Mannes in die USA, sie trennen sich. Heike erkrankt an Brustkrebs und kehrt mit den Kindern 2016 nach Berlin zurück. „Es blieb kein Stein auf dem anderen, mein Leben war Chaos und Trümmerfeld", resümiert sie. Weil sie als alleinerziehende Mutter die Miete nicht mehr bezahlen kann, zieht sie in eine kleinere Wohnung, jobbt, unterrichtet wieder, aber sie findet nun, es sei an der Zeit, endlich das zu tun, was sie immer stärker beschäftigt – die Astrologie und das Schreiben.
Beschäftigung mit Sternbilder gibt ihr ein sicheres Gefühl
1817 wurde der letzte Lehrstuhl für Astrologie an einer deutschen Universität abgeschafft. In Wales kann man seit 2011 dieses Fach wieder belegen und auch hierzulande ist eine Ausbildung als Astrologe möglich, sogar per Fernstudium. „Begreifen durch Selbsterkenntnis". Manche rümpfen über diese hochtrabend klingenden Unterrichtseinheiten die Nase. Aber Heike will endlich ihr Ding machen und lässt sich von dem Wechselbalg Zeitgeist nicht irritieren. Sie belegt Kurse bei namhaften Astrologen. Ihre Lehrer schätzt sie noch heute, aber für sich kommt sie nicht weiter. „Zuviel stilistisch ausgefeiltes Blabla", sagt sie und lacht über ihre ersten Deutungen. Was sie wirklich fasziniert: Im Geburtsbild des Horoskopes könne man die gesamte persönliche Entwicklung absehen, bestehende Probleme, Potenziale, Hindernisse und Herausforderungen. Sie glaubt, dass der Schicksalsweg des Menschen durch das Universum weitestgehend festgelegt ist, ein solcher Plan und solch spirituell wirkende Kräfte stehen für sie außer Zweifel. Auf dieser Grundlage sei Lebensberatung möglich und die Astrologie durch ihre Eindeutigkeit vielleicht der Psychotherapie klar überlegen. Denn die Deutung des Horoskops sei verlässlicher als der Blindflug durchs Seelenleben. Es wird hier schwierig mit Beweis und Gegenbeweis. Lässt es sich etwa eindeutig nachweisen, dass es spirituelle Mächte oder Kontakte mit verstorbenen Ahnen oder Engeln überhaupt nicht gibt? Viele machen es sich zu einfach. Manchmal bitten sie Freunde oder Bekannte darum, einfach „nur mal zu gucken" was ihnen die Zukunft so bringt. Da macht sie nicht mit. Man muss sich auf das ganze Unterfangen schon ernsthaft einlassen.
Die meisten, die ihren Rat suchen, tun das. Sie glauben an die Macht der Sternbilder. Weil sie Fragen und Nöte haben, weil sie hoffen, weil sie Sicherheit brauchen. Wann kommt das große Glück? Wie komme ich aus meiner Krise? Wie finde ich meinen Traumpartner? Wie komme ich durch meine Minenfelder? Bleibe ich gesund? Frauen in ihrem Alter mit Hang zum Übersinnlichen, vielleicht mit einer Heilpraktikerausbildung; eher Jute statt Plastik, ganz sicher aber die meisten, weil sie mit Lebenserfahrung und hinlänglichem Menschenverstand nicht weiter gekommen und auf Unverständnis für ihre Fragen gestoßen sind. Nichts daran ist lächerlich. Für wen der genaue Zeitpunkt der Geburt entscheidend ist, für den haben die Gene der Eltern und die spätere soziale Prägung ohnehin keine oder nur geringe Bedeutung. Unerschütterlichem Glauben ist nicht beizukommen.
Heike van Hoegaerden hat einen Roman geschrieben, in dem sie sehr persönliche Erfahrungen schildert. Nicht ihr Horoskop hat die Frage nach Erfolg und Ruhm beantwortet, sondern die Verkaufszahlen. Der Durchbruch als Schriftstellerin lässt noch immer auf sich warten. Dieses Schicksal teilt sie mit vielen. Aber sie schreibt an einem weiteren Buch, in dem es um die Einsamkeit des modernen Menschen und der Suche nach erfüllter Liebe gehen soll. Keine wirklich neue Romanidee. Aber es zeigt, was sie seit ihrer Kindheit beschäftigt: Bei sich ankommen. Nein, das Horoskop kann nicht alle Fragen eindeutig beantworten, das gibt Heike unumwunden zu. Sie gehört nicht zu den müffelnden Verbiesterten. Sie ist nicht besserwisserisch. Sie braucht das nicht. Denn die Beschäftigung mit den Sternzeichen gibt ihr und allen, die sie berät, ein starkes, sicheres Gefühl: Irgendwie eingebunden zu sein in ein großes Ganzes, das nicht wirklich zu verstehen ist, in dem aber alle einen Platz haben. Schaut sie in ihr Horoskop, dann weiß sie – so soll es sein, so ist es gut.