Union Berlin bleibt in der Bundesliga ungeschlagen – dank Andreas Luthe. Der Torhüter ist die unumstrittene Nummer eins im Team und eine interessante Persönlichkeit.
Andreas Luthe ist kein gewöhnlicher Fußballprofi. Es gibt nur wenige Spieler in der Branche, die so stark über den Tellerrand hinausschauen wie der 34-Jährige. Er gründete In safe hands e.V., einen Verein, der Torwarttraining für geflüchtete Kinder organisiert. Er war Mitglied der „Taskforce Zukunft Profifußball", die unter anderem der Entfremdung von den Fans entgegenwirken sollte. Der bekennende Veganer machte auch schon bei einer Werbeaktion für die Tierschutz-Organisation Peta mit. „Für mich bedeutet der Job Fußballprofi nicht nur, 90 Minuten auf dem Platz zu stehen", sagte Luthe einmal: „Ich definiere mich nicht nur darüber, ob ich in der Bundesliga spiele."
Der Mann, über den die „Süddeutsche Zeitung" einmal einen Artikel mit der Überschrift „Der etwas andere Torhüter" schrieb, hat viele Interessen und Talente. Doch beim 0:0 im Heimspiel gegen den FC Augsburg zeigte er vor allem eines: dass er ein starker Torhüter ist. „Weltklasseparaden" bescheinigte Augsburgs Stürmer Florian Niederlechner seinem Ex-Teamkollegen, der Union mit starken Reflexen und einem guten Stellungsspiel zumindest einen Punkt festgehalten hatte. „Ich hatte meine Aktionen, weil es Augsburg beim Umschalten gut gemacht hat und torgefährlich war", sagte Luthe und fügte hinzu: „Ich freue mich, dass ich zu null gespielt habe, aber es ärgert mich, dass wir das Spiel nicht entschieden haben, weil es möglich gewesen wäre."
Zu null trotz hoher Torgefahr
Einen Luthe in Topform benötigen die Köpenicker auch im Auswärtsspiel am Sonntag (19. September/17.30 Uhr) bei Titelaspirant Borussia Dortmund. Die BVB-Offensive um Stürmerstar Erling Haaland hat gerade erst beim 4:3-Spektakel bei Bayer Leverkusen bewiesen, dass sie eine gegnerische Abwehr inklusive Torhüter vor immense Probleme stellen kann.
Ein ähnliches Ergebnis hätte auch das Union-Spiel gegen Augsburg verdient gehabt, doch das verhinderten die Torhüter auf beiden Seiten. Sowohl Rafal Gikiewicz als auch Luthe waren gegen ihre Ex-Clubs hochkonzentriert und nicht zu bezwingen. „Vielleicht war es ausschlaggebend, dass beide Torhüter die gegnerische Mannschaft so gut gekannt haben", sinnierte Augsburgs Trainer Markus Weinzierl. Auch Union-Coach Urs Fischer attestierte den Keepern eine „Top-Leistung".
Luthe und Gikiewicz hatten zur Saison 2020/21 die Vereine getauscht, und nicht wenige Union-Fans hatten damals ein Downgrade vermutet. Der Pole Gikiewicz lieferte konstant gute Leistungen ab und war aufgrund seiner emotionalen Art ein Publikumsliebling in der Alten Försterei. Der zurückhaltende Luthe wird von den Fans mittlerweile zwar nicht geliebt, aber hochgeschätzt. „Luthe, Luthe"-Sprechchöre waren nach dem Augsburg-Spiel im Stadion unüberhörbar.
Innerhalb der Mannschaft gibt es schon länger keinen Zweifel an den Qualitäten der Nummer eins. Er sei „der ruhende Pol", sagte Fischer über seinen Schlussmann, der anders als sein Vorgänger Gikiewicz ohne grimmige Blicke und viel Geschrei auskommt. „Diese Gelassenheit", sagte der Trainer, „die tut uns gut. Sie ist auch seine größte Stärke – mal abgesehen davon, dass er auch weiß, wie man Bälle fängt." Luthe sei zwar „kein Sprachrohr", so Fischer, aber „er coacht die Jungs von hinten auf seine Art".
Und diese Art ist nicht affektiert, sondern reflektiert. Luthe weiß sich und seine Fähigkeiten richtig einzuschätzen. Er wisse, „dass ich nicht Manuel Neuer bin. Das muss ich auch nicht sein", sagte er einmal. Und: „Ich bin Andreas Luthe, der Union Berlin helfen soll, in der Liga zu bleiben. Das ist der einzige Auftrag, den ich habe. Alles andere juckt mich relativ wenig." Er wolle immer nur bei sich bleiben und „das Beste herausholen".
Auch den Konkurrenzkampf nimmt Luthe gelassen. Als vor einem Jahr nicht nur Luthe, sondern auch Loris Karius vom FC Liverpool geholt wurde, erwarteten viele den prominenteren Karius zwischen den Pfosten – nicht zuletzt die Reds-Leihgabe selbst. „Natürlich wurde mir beim Wechsel gesagt, dass ich spiele, sonst wäre ich ja auch nicht gekommen", verriet Karius kürzlich in einem Interview. Einen ernsthaften Zweikampf um das Union-Tor habe es aber „nie gegeben".
Fragt man Fischer danach, ist dessen Antwort einfach: Luthe war einfach der bessere Torhüter. Und so ist es jetzt auch im Duell mit Frederik Rönnow, dessen Verpflichtung sich Union immerhin eine Million Euro kosten ließ. Doch Luthe verteidigt sein Revier, der Herausforderer stellt sein Ego – anders als Karius – hinten an. „Ich habe Geduld", sagte der Däne, der aufgrund der Dreifachbelastung sicher seine Bewährungschancen erhalten wird. Doch um am Status quo zu rütteln, müsste Luthe patzen – und danach sieht es momentan überhaupt nicht aus.
Die Konstanz, die der 1,95 Meter große Keeper abspult, ist beeindruckend. Das liegt auch daran, dass er sich nicht nur auf dem Platz professionell verhält. Luthe versucht alles aus seinem Körper herauszuholen und ist deswegen vor sechs Jahren auf eine vegane Ernährung umgestiegen. Davor sei er „oft verletzt" und besorgt gewesen, „dass meine Karriere kürzer verlaufen könnte als geplant". Zuerst ließ er Milchprodukte weg, dann strich er Fleisch und Wurst vom Speiseplan. „Erst als ich dann alle tierischen Produkte weggelassen habe, wusste ich: Das ist es", berichtete Luthe: „Mein Körper ist mein Kapital, der Umstieg auf die vegane Ernährung war die beste Entscheidung meines Lebens."
Meinungsstark und eloquent
Die Mannschaftsärzte hätten ihn dabei immer unterstützt, und in Berlin hat er ohnehin keine Probleme, zu ausgewogenen und trotzdem leckeren Mahlzeiten zu kommen. „Das Angebot an veganen Restaurants ist riesig, es gibt unglaublich viel auszuprobieren, zu entdecken. Ich vermisse nichts", sagte er. Die Art, wir Luthe über das Thema spricht, ist weder missionarisch noch auffordernd. Und doch ist zu erkennen, dass er eine eigene Meinung vertritt und diese auch eloquent und faktenbasiert rüberbringen kann. Auch das ist nicht unbedingt gewöhnlich für einen Fußballprofi.
Der Umgang mit Kopfverletzungen im Fußball ist auch so eine Sache, bei der Luthe einen klaren Standpunkt vertritt. „Gerade bei einer potenziellen Gehirnerschütterung müssen wir Profis vor uns selbst geschützt werden", meinte er und ergänzte: „Wir haben einfach den Drang, immer weiterzuspielen und es gibt Momente, in denen das gefährlich werden kann." Er selbst wollte nach einem heftigen Zusammenprall im Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach eigentlich weiterspielen, ließ sich dann aber doch auswechseln. „Als ich hochgezogen wurde, bin ich erst mal Karussell gefahren", erinnert sich Luthe zurück.
Mit einem Kopfschutz zu spielen wie einst die tschechische Torhüter-Ikone Petr Cech kommt für Luthe aber nicht infrage. Er will sich lieber mit vorausschauendem Handeln schützen, die „Hau-drauf"-Methode ist ihm fremd. Deswegen schimpfte er gegen Augsburg auch nicht auf seine Vorderleute, die ihn das ein oder andere Mal im Stich gelassen hatten. „Ich mache der Mannschaft keinen Vorwurf, wir sind drangeblieben", sagte er stattdessen: „Wir sind immer noch ungeschlagen und in allen Wettbewerben weiter – das ist für Union Berlin nicht ganz so schlecht." Und Luthe ist ein Garant dafür.