Verlorene Eheringe, Schlüssel, Halsketten – dafür ist Steven Kutzbach der richtige Mann. Als „Ringjäger" spüren er und seine Kollegen fast alles wieder auf.
Steven Kutzbach weiß ziemlich genau, was er hier tut. Vielleicht ist es auch die Art und Weise, wie der 38-jährige Berliner seinen Metalldetektor über den sandigen Boden führt. Hochkonzentriert lässt er den flachen Teller am Ende des Gestänges über den Boden gleiten, in gleichmäßigen, ruhigen Bewegungen, damit das Magnetfeld der Suchspule möglichst weit reicht. Mit wachem Blick tastet er Quadratmeter für Quadratmeter ab und wartet auf das akustische Signal, das ihm einen möglichen Fund anzeigt. Der große, sportliche Mann strahlt Ruhe und Selbstbewusstsein aus, denn seine Erfolgsquote ist hoch. Sie liegt bei 95 Prozent. Heute sucht er im feuchten Sand einen Ring, den eine Mutter beim Spielen mit ihren Jüngsten irgendwo verloren hat. Weiß der Teufel, wie das Schmuckstück vom Finger rutschen konnte, aber es muss zwischen der Schaukel und dem Klettergerüst gewesen sein. Vorher war er noch da.
Schon als junge streift er gerne durch die Natur
Steven Kutzbach, Chef der „Ringjäger", ist der richtige Mann für solche Fälle. Seit 15 Jahren macht er das, und durch seine langjährige Erfahrung hat er schon weit schwierigere Suchaktionen erfolgreich beendet. Was als Jugendlicher mit Neugier und Entdeckerlust begann, ist ihm heute Leidenschaft, fast eine Sucht. Seine Kindheit in Berlin-Neukölln war nicht rosig. Früh machte er mit dem Jugendamt Bekanntschaft, weil seine kranke Mutter mit Haushalt, Erziehung und Sorge um den Lebensunterhalt für die kleine Familie vollkommen überfordert war. Der Vater hatte sich schon früh aus dem Staub gemacht. Noch verschweigt Steven der Behörde, wie er unter der Unberechenbarkeit der Mutter leidet, spricht nicht über sein Leid, die Schläge, die schiefen Blicke der Nachbarn. Um seinen kleinen Bruder muss er sich auch noch kümmern. Irgendwann fängt Steven an, die Schule zu schwänzen, nur so hat er Zeit für sich, denn zu Hause muss er sich durchs Chaos kämpfen. Es reicht ihm jetzt. Mit 15 haut er ab, treibt sich auf der Straße herum, übernachtet mit anderen in einer leer stehenden Schule. An eines aber erinnert er sich gern. Er streift durch die freie Natur, spielt nach der Wende oft im ehemaligen Grenzgebiet in der Nähe der verwaisten Wachtürme, er sucht das Abenteuer, das Unerwartete und trifft dort zufällig jemanden, der mit einem Suchgerät durch die Gegend streift. Schatzsuche im Freien, wie viel spannender als mit der Playstation zu spielen oder auf einer Bank zu sitzen, Bier zu trinken oder zu kiffen, denkt Steven, und diese Entdeckerlust lässt ihn nicht mehr los. Jahre später kommt diese Erinnerung zurück, denn im Internet hat er von diesen Schatzsuchern gelesen, und das will er jetzt auch machen. Steven leiht sich übers Wochenende erstmals einen Detektor aus und hat sich vorher schon schlau gemacht. Er muss dort suchen, wo sich viele Menschen aufhalten: Parks, Liegewiesen, Strandbäder, Festplätze. Da fällt dem einen oder anderen schon mal was aus der Hosentasche – und tatsächlich. Beim dritten Versuch schlägt sein Detektor an, und er gräbt tatsächlich eine Fünf-Reichsmark-Münze aus mit Hindenburg drauf und es durchfährt ihn wie ein Blitz: Es funktioniert, wenn man ehrgeizig und zäh ist. Steven wird zum Jäger.
Ab jetzt geht es ihm nicht nur um die Fundstücke. Genauso spannend findet er die Geschichten, die mit ihnen verbunden sind. Hat er erst einmal mit der Recherche begonnen, das Internet durchkämmt, Bibliotheken besucht, dann will er alles wissen: Zu welchem Verein, zu welcher Partei gehört dieses angerostete Abzeichen? Ist es aus Silber oder Messing? Aus welcher Zeit stammt es, wer hat es verliehen, was war los in dieser Zeit? In der Schule, so sagt er, musste er Texte lesen, die er nicht verstand und schnell vergaß. Jetzt saugt er alles auf, was ihm zu Geschichte und Hintergründen seines Fundes Auskunft gibt. Und so lernt er Leute kennen, erfährt immer wieder Neues und weiß, dass er anderen Menschen helfen kann. Und zwar bei der Suche nach Verlorenem.
Damit unterscheidet sich Steven Kutzbach deutlich von einigen wenigen unter den Schatzsuchern, die als kleine Minderheit dennoch in der Öffentlichkeit ihre Leidenschaft in ein schiefes Licht rücken. „Reichsmünzen ohne Ende!", „Silberschatz und keltische Fibel!" Unter solch sensationsheischenden Schlagzeilen geistern schlecht gemachte Filmchen durchs Netz. Da huschen Wölfe durch den dunklen Wald, Männer in Tarnklamotten tapern durch den Tann, dröhnende Hintergrundmusik. Einige brüsten sich gern mit Militariafunden aus dem Zweiten Weltkrieg. Und dann gibt es einige, die gezielt nach verschütteten Kulturdenkmälern sondeln. Die Himmelsscheibe von Nebra wurde jahrelang von Raubgräbern unterschlagen.
Den Verlust nicht als Kleinanzeige aufgeben
Doch die Denkmalschutzgesetze in den meisten Bundesländern verbieten das – ebenso wie Strafgesetze die Suche nach alten Kampfmitteln untersagen. Der Umgang mit den Behörden ist manchmal schwierig.
Steven Kutzbach hat anderes im Sinn. Ihn reizen die Spannung, der eigene Ehrgeiz und die Möglichkeit, anderen zu helfen. Er holt seinen Schulabschluss nach und arbeitet als Nutzfahrzeugmechatroniker, bis ihn ein kaputter Lendenwirbel zum Frührentner macht. Er weiß trotzdem etwas mit sich anzufangen, hat seine Leidenschaft nicht vergessen und perfektioniert seine Fähigkeiten.
Nach 15 Jahren solo möchte er später lieber mit Gleichgesinnten zusammenarbeiten und gründet vor einem viertel Jahr die „Ringjäger", ein Team von mittlerweile acht Kollegen.
Gibt es eigentlichen einen Klassiker des Ringverlusts? Ja! Sommer, Sonne, Sonnenöl und ab ins Wasser. Oder Verlust im Schnee, auch schlimm. Und Dutzende von anderen Gelegenheiten, seinen Ring, die Halskette, die Brosche, unverzichtbare Schlüssel und anderes Wichtiges und Wertvolles aus Metall zu verlieren. Auf dem Spielplatz, auf der Festwiese, am Sandstrand, unter Wasser, im Garten unter einer Decke aus Laub – egal wo, Steven Kutzbach und seine Kollegen nehmen diese Herausforderung an. Schlecht ist es natürlich, wenn Suchende so in Panik geraten, dass sie sich nicht mehr genau an Zeit und Ort des Verlustes erinnern können. Oder die Beschreibung so vage ist, dass das abzusuchende Areal viel zu groß ist. „Irgendwo beim Joggen", das geht nicht. Wenn die „Ringjäger" einen Auftrag annehmen, dann ist die Chance auf einen erfolgreichen Fund umso größer, je genauer die Erinnerung an den Ort, die Umstände und den Zeitpunkt ist. Und noch eine Warnung formuliert Steven Kutzbach: den Verlust nicht als Kleinanzeige oder im Internet angeben. Denn das ruft auch jene auf den Plan, die sich auf die Suche machen, um das verlorene Gut nicht zurückzugeben, sondern um es sich selbst einzustecken. Unverzichtbar für die Suche ist eine gute Ausrüstung, vor allem ein hochwertiger Metalldetektor, der heute zwischen 1.000 und 1.500 Euro zu haben ist. Noch wichtiger aber sind persönliche Eigenschaften: Ehrlichkeit, Ehrgeiz, Zähigkeit und der unbedingte Wille, nicht aufzugeben.
Theoretisch könnte Kutzbach einen gesetzlichen Finderlohn verlangen, wenn die Suche erfolgreich ist. Er und seine Kollegen wollen das aber nicht. Natürlich erwarten sie die Erstattung ihrer Auslagen für Anreise oder gegebenenfalls Unterkunft. Und wenn sie als Dank vielleicht zum Essen oder auf ein Bier eingeladen werden, lehnen sie das nicht ab. Aber des Geldes wegen jagen sie Ringen und Ähnlichem nicht hinterher. Ein Lächeln der Erleichterung, ein Freudestrahlen seiner Auftraggeber, das reicht ihm ebenso wie seinen Ehrgeiz befriedigt und eine außergewöhnliche Herausforderung gemeistert zu haben.