Joshua Kimmichs Aussage, wegen fehlender Langzeitstudien bei der Corona-Impfung zu zögern, hat eine Lawine losgetreten. Kimmich sitzt dabei seiner Unwissenheit auf, spiegelt damit aber einen Grabenkampf in der Gesellschaft wider. Wie sieht es eigentlich bei anderen Bundesligisten aus?
Innerhalb Deutschlands gibt es wohl kaum einen Mediziner, Experten, Politiker oder Sportler, der nicht zu den Aussagen von Joshua Kimmich befragt wurde. Selbst die Bundeskanzlerin ließ sich zu einem kurzen Statement hinreißen. Das zeigt: Seine Aussagen schlagen Wellen – hohe Wellen. Doch was war passiert? Dadurch, dass Bayern- Trainer Julian Nagelsmann einen Impfdurchbruch erlebte, kam im Zuge dessen zum Vorschein, was viele Bundesligisten derzeit umtreibt: ungeimpfte Spieler und mögliche Quarantäne. Die „Bild"-Zeitung berichtete, dass zu jenen Fußballern des deutschen Meisters, die noch nicht geimpft sind, auch der Nationalspieler Kimmich gehört. Ausgerechnet Kimmich, so lautete die naheliegende Interpretation: Im vergangenen Jahr hatte er gemeinsam mit seinem Teamkollegen Leon Goretzka die Spenden-Initiative „We Kick Corona" gegründet. „Ja, das stimmt", bestätigte der dann zunächst: Er sei noch nicht geimpft. „Weil ich einfach für mich persönlich noch ein paar Bedenken habe, gerade was fehlende Langzeitstudien betrifft", so begründete er seine Haltung. Trotzdem sei er sich seiner Verantwortung bewusst, halte sich an die Hygienemaßnahmen und werde ja auch regelmäßig getestet. Den Widerspruch in Bezug auf seine Initiative konterte er damit, dass es bei „We Kick Corona" darum gehe, Personen zu unterstützen, „die durch Corona in Not geraten sind". Die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, solle jeder haben. Er selbst, sagte Kimmich, sei weder ein „Corona-Leugner" noch ein „Impfgegner". Er lehne die Impfung auch nicht „kategorisch" ab. Dass er sich in Zukunft impfen lasse, sei „sehr gut möglich". Doch er baute auch immer ein paar „Aber" in seine Antworten ein: Es gebe ja auch Impfdurchbrüche, betonte er zum Beispiel. Genau diese Aussagen sind es, die derzeit überall diskutiert werden.
Kimmich sieht sich nicht als Impfgegner
Die Virologin Jana Schroeder hat es im ZDF-Talk von Markus Lanz treffend gesagt: Einerseits saß Kimmich einem „wissenschaftlichem Irrglauben" auf, andererseits kann seine Unwissenheit sogar Vorteile haben. Der Impfwirbel brachte eine Debatte neu in Gang, und Kimmichs Standpunkt ist „sicherlich repräsentativ für einige, die noch nicht genug aufgeklärt sind", sagte Schroeder. Sprich: Viele dachten beziehungsweise denken möglicherweise wie Kimmich. Immunologe Carsten Watzl erläuterte, dass diese Nebenwirkungen einer Impfung nur „innerhalb weniger Wochen nach dieser auftreten". Wissenschaftlich erklärt: „Danach ist die Immunreaktion abgeschlossen und der Impfstoff aus dem Körper verschwunden. Was offensichtlich viele Menschen unter Langzeitfolgen verstehen, nämlich, dass ich heute geimpft werde und nächstes Jahr eine Nebenwirkung auftritt, das gibt es nicht, hat es noch nie gegeben und wird auch bei der Covid-19 Impfung nicht auftreten." Das ist der entscheidende Punkt. Virologin Schroeder führte aus: „In der Geschichte der Impfung kam es noch nicht zu einer Langzeitfolge, die später als zwei Monate nach einer Impfung aufgetreten wäre. Dass man sich heute impft und eine Folge davon in einem Jahr bekommt, ist nicht zu erwarten." Wissenschaftlich konnten Kimmichs Aussagen also schnell widerlegt und geklärt werden. Johannes B. Kerner brachte es mit einem kleinen Seitenhieb auf den Punkt: „Vielleicht kann man das ein bisschen relativieren, es ist ja in der Sendung schon relativiert worden. Der 5:0-Pieks gegen Gladbach gestern ist auf jeden Fall schmerzhafter und nebenwirkungsreicher als jede Impfung, die Joshua Kimmich über sich ergehen lässt oder eben nicht über sich ergehen lässt."
In dieser gesamten Debatte schwingt aber noch einiges mehr mit. Denn mittlerweile äußern sich Politiker, ehemalige Spieler und aktuelle Experten fast im Minutentakt über Kimmichs Aussagen und treffen dabei meist den richtigen Punkt. Ein etwas vergiftetes Lob für Kimmich kam von der neuen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Die SPD-Politikerin sagte, sie sei Kimmich „sogar dankbar, dass er die Debatte über Langzeitfolgen der Impfungen vor dem Winter noch einmal angestoßen hat". So könnten Politiker und Wissenschaftler noch stärker als bisher Gerüchte über Langzeitschäden ausräumen, so Bas im Interview mit der Rheinischen Post. „Vielleicht lassen sich dann noch mehr Menschen von einer Impfung überzeugen, bevor sie von der vierten Welle erwischt werden, die jetzt rollt. Insofern kommt die Äußerung von Joshua Kimmich aus meiner Sicht zum richtigen Zeitpunkt", so Bas, die bislang in der SPD-Bundestagsfraktion für die Gesundheitspolitik mitverantwortlich war. Eine Reaktion kam sogar von der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Vielleicht macht sich Joshua Kimmich darüber ja auch noch Gedanken. Er ist ja als sehr reflektierter Fußballer bekannt", sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Auch Kimmich habe als Profi-Fußballer das Recht, von einer Corona-Impfung Abstand zu nehmen, fügte Merkel an. Nicht überzeugt sei sie aber von der Begründung Kimmichs, der auf seiner Meinung nach fehlende Langzeitstudien verwiesen hatte. „Es gibt auf seine Fragen und Zweifel sehr gute Sachargumente, die allgemein verfügbar sind", so Merkel.
Selbst die Kanzlerin schaltete sich ein
Eine Breitseite bekam Kimmich auch von Paul Breitner: „Ich brauche mit niemandem darüber zu diskutieren, ob er sich impfen lassen soll oder nicht. Für mich gibt es nur die Richtung, sich impfen zu lassen. Und da geht es nicht um eine Vorbildfunkti- on, sondern es geht um den Einzelnen. Wenn er sich dagegen entscheidet, dann habe ich null Verständnis dafür." Die frischeste Kritik an Kimmichs Aussagen kam von Mario Gomez am Rande des Champions-League-Spiels vergangenen Dienstag. „Die Stadien sind wieder voll, und wir können uns auch deswegen freuen, weil sich 60, 70, 80 Prozent der Menschen geimpft haben. Und davon profitiert er auch. Wenn natürlich jeder so reagieren würde wie er jetzt, dann würden wir wahrscheinlich noch ein Jahr lang ohne Zuschauer spielen. Das ist schon etwas, das man bedenken muss", sagte der 36-Jährige in seiner Rolle als Experte bei Amazon Prime. Zwar sei es letztlich „komplett seine Entscheidung", allerdings schränkte Gomez ein: „Wir, die es gemacht haben, sind letztendlich auch dafür verantwortlich, dass das Leben wieder normal weitergeht. Schließlich haben wir uns alle danach gesehnt." Hiervon profitiere auch der Bayern-Star, sodass Gomez zum Urteil kommt: „Ob man sich dann so verhalten sollte wie er…" Eben auch, weil er für Solidarität plädierte.
Kimmich steht aufgrund seiner sportlichen Bekanntheit sicher mehr im Fokus als andere. Doch wie sieht es eigentlich allgemein in der Bundesliga aus? Besonders prekär: Viele Fans lehnen die 2G-Regelung im Stadion ab mit der Begründung, dass nur Geimpfte oder Genesene ins Stadion dürfen, um dann ungeimpften Kickern zuzuschauen. Die Sportschau hat alle Bundesligisten bezüglich ihrer Impfquote abgefragt und „stößt dabei auf eine Mauer des Schweigens". Zwar sind laut der DFL 94 Prozent der Spieler, Trainer und Betreuer geimpft, genaue Daten werden aber nicht veröffentlicht. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die wenigen Ungeimpften sind Spieler, diejenigen sollen keinem Kreuzverhör ausgesetzt sein. Der einzige Bundesligist, bei dem alle Spieler geimpft sind, ist der FC Augsburg. Das teilt der Verein auch voller Stolz mit, ebenso Mainz 05 (98 Prozent Impfquote) und Eintracht Frankfurt, wo eine recht offene Diskussion geführt wird. Viele Bundesligisten beteiligten sich an der Umfrage mit vorgefertigten Antworten wie beispielsweise RB Leipzig: Leipzig teilt mit, man habe bei „unseren Profis und im Betreuerteam eine sehr hohe Impfquote erreichen können", könne aber konkrete Zahlen „angesichts mangelnder gesetzlicher Impfpflicht" nicht in der Öffentlichkeit preisgegeben.
DFL veröffentlicht die Daten nicht
Ähnlich argumentiert der VfL Bochum, der auf das sensible Verhältnis zwischen Arzt und Patient „und die daraus resultierende Vertraulichkeit" verweist. Die Impfquote im und beim Team sei „sehr hoch". Einige, wie Hertha BSC, VfL Wolfsburg, FC Bayern, Borussia Mönchengladbach, Arminia Bielefeld oder der SC Freiburg errichten eine Mauer des Schweigens.
Kein Verein ist verpflichtet, diese Daten preiszugeben, genau so wenig wie Trainer ihre Aufstellungen vor einem Spiel preisgeben. Bei einem Blick in die USA zeigt sich, dass mit dieser Thematik auch anders umgegangen wird. Dort verlangt die NBA, dass Spieler geimpft sein müssen, wenn sie spielen wollen. Das blüht Fußballern übrigens auch. An der WM 2022 sollen nur geimpfte Spieler teilnehmen dürfen.