Den Ampel-Parteien fällt es schwer, unseren Wählerwillen richtig zu interpretieren
Wir geben zu: Wir haben uns bei der Bundestagswahl Ende September verwählt! Angesichts der mühsamen Regierungsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP erkennen wir schlagartig, welches Chaos wir mit unserer Stimmabgabe angerichtet haben. Die drei Verhandlungspartner hatten offensichtlich wahnsinnig viel Mühe, unseren Wählerwillen zu interpretieren und nach Wegen zu suchen, ihn gemeinsam in Alltagspolitik umzusetzen.
Vermutlich haben wir uns wieder mal missverständlich ausgedrückt, sodass die eventuell koalierenden Parteien unsicher sind, ob wir für oder gegen Steuererhöhungen, für oder gegen höhere Klimaabgaben, für oder gegen mehr Digitalisierung, für oder gegen mehr Bildungsinvestitionen sind. Wir sehen ein: Das hätten wir ihnen einfacher machen müssen.
Dabei hatten wir uns diesmal besonders viele Gedanken um die richtige Wahlentscheidung gemacht. Die SPD, mit der wir gelegentlich durchaus schon mal sympathisiert haben, wollten wir diesmal nicht wählen, weil uns das zu sehr nach Mitleid ausgesehen hätte. Und ein Erbarmens-Kreuzchen hat diese stolze Partei einfach nicht verdient.
Die CDU wäre durchaus infrage gekommen, weil es uns als Mensch Anfang 70 einfach ratsam erscheint, in Sachen Jenseitsvorsorge eine christliche Partei an unserer Seite zu wissen. Allerdings wurde uns doch noch rechtzeitig bewusst, dass der Wahlakt nicht persönlichem Nutzen dienen darf, sondern mit einem uneigennützigen Blick auf die Gesamtheit des Volkes durchgeführt werden soll. Darüber, dass CDU-Kandidat Armin Laschet bei der Gedenkveranstaltung im Ahrtal so viel kritisiert gelacht hat, hätten wir sogar hinwegsehen können. Wahrscheinlich hat er sich ja ohnehin nur über die scherzhafte Bemerkung eines Nebenstehenden amüsiert, Olaf Scholz könnte vielleicht Kanzler werden?
Unsere Frau hatte uns schließlich zur FDP geraten, weil ihrer unnachahmlichen Expertise nach Christian Lindner selbst mit Dreitagebart so adrett aussieht wie allenfalls noch James-Bond-Darsteller Daniel Craig. Und wer hätte den nicht gern im Bundeskabinett? Der Rat unserer Frau erschien uns aber ein wenig zu sympathiegesteuert, obwohl wir nicht abstreiten können, dass sie bei ihrer Verehelichung durchaus ein gutes Händchen in Personalfragen bewiesen hat.
Mit ihrer Aussage: „Lindner und Baerbock wären ein schönes Paar" bewies sie schon vor ein paar Monaten möglicherweise sogar politische Weitsicht. Für uns selbst kam dennoch eine Stimmabgabe nach solchen rein äußerlichen Kriterien nicht infrage!
Weil selbst bei Lidl und Aldi immer mehr Bio-Produkte in den Regalen stehen, die uns sogar oft auch gut schmecken, schien eigentlich die Zeit gekommen zu sein, uns endlich auf die Seite der Grünen zu schlagen. Aber dann kamen uns Zweifel, ob Bio-Hühner ihre Eier wirklich selbst legen oder anderem Federvieh eventuell sogar ökologisch bedenkliches Futter aus dessen Fressnapf klauen. So mussten wir erkennen, dass wir diesmal wohl noch nicht reif waren für die grüne Stimmabgaben-Revolution. Und bei der Linken war uns nicht klar, ob sie immer weiß, was die Rechte tut, und bei den Rechten fielen uns zu viele linke Typen auf. Das hat uns verwirrt.
Was hätten wir vor diesem Hintergrund denn wählen sollen? Vor unserer Entscheidung waren wir uns sogar nicht zu schade, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen und den Wahl-O-Mat zu konsultieren: Heraus kam dabei die eindeutige Wahlempfehlung für die „Partei Liebe". Als junger Mann hätte uns so was natürlich begeistert, aber heutzutage schien uns das zu gewagt: Schließlich hat uns die Lebenserfahrung doch gezeigt, dass Liebe im Laufe der Zeit durchaus nicht immer nur zu positiven Entwicklungen führt.
Was wir letztlich nun gewählt haben, soll unser Wahlgeheimnis bleiben. Dennoch fühlen wir uns ein wenig mitverantwortlich für die Probleme der Ampel-Parteien, endlich richtig zueinander zu finden.
Sollte tatsächlich ein gemeinsamer Regierungsvertrag zustande kommen, dürfen wir aufatmen: Eine „Große Kollision" ist uns wenigstens vorerst erspart geblieben!