Wer fortan die CDU führt, muss sich die Zustimmung von Partei und Wahlvolk hart erarbeiten. Die Befragung von Mitgliedern über den künftigen Parteichef der Union führt derzeit zu einer Eintrittswelle. Die drei Kandidaten werben um Unterstützung.
Da staunte nicht nur die Hauptstadtpresse, sondern auch Armin Laschet. Durchstechereien an die Medien waren bei vergangenen politischen Verhandlungen Ehrensache gegenüber den Journalisten – und auch der Noch-CDU-Vorsitzende weiß ein leidgeprüftes Lied davon zu singen. Entsprechend lobte er die Koalitionäre auf Twitter: „Glückwunsch an Ampel-Koalition vor allem zu Stil und Form der Verhandlungen. Vertraulichkeit ist eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen. Das muss auch die Union wieder lernen."
Von den Kandidaten für den Parteivorsitz, Norbert Röttgen, Helge Braun und Friedrich Merz, dazu kein Wort. Stattdessen warben sie für sich auf dem Parteitag der Jungen Union und auf dem CDU-eigenen Videokanal. Friedrich Merz etwa möchte „Anwalt der jungen Generation" sein. „Mehr zuhören finde ich wichtig, aber auch Durchsetzungskraft und Führungsstärke", sagte er im virtuellen Live-Chat mit Mitgliedern. Braun forderte, die Wurzeln der CDU müssten wieder sichtbarer werden. Der noch amtierende Kanzleramtschef sprach sich gegen Flügelbildungen aus. Er wolle ein Vorsitzender sein, der „Raum gibt für inhaltliche Debatten" , und „aus der Mitgliederpartei eines Helmut Kohl eine moderne Mitmachpartei" machen – mit Angeboten an die Mitglieder, bis hin zum digitalen Kreisverband. „Und auch, wenn Opposition Mist ist, ist es doch eine Chance, dass wir uns einmal um uns selbst kümmern." Röttgen sagte, die CDU habe noch immer nicht verstanden, mit jungen Menschen zu kommunizieren und ihre Sprache zu finden. „Deshalb sage ich den jungen Leuten: Wenn ihr wirklich wollt, dass sich in der CDU konkret etwas ändert, dann haben wir ein Angebot für euch." Er glaube, dass Ehrlichkeit „entgegen der weitläufigen Annahme von Macchiavelli die Basis von Vertrauen in der Politik" sei.
Merz will „Anwalt der jungen Generation" sein
Der Nachfolger von CDU-Chef Armin Laschet soll wegen der derzeit dramatischen Corona-Lage auf einem Online-Parteitag gewählt werden. Der Bundesvorstand der Partei entschied, das am 21. und 22. Januar in Hannover in Präsenz geplante Treffen der 1.001 Delegierten abzusagen. Stattdessen soll es einen digitalen Parteitag geben. Davor will die CDU die Mitglieder befragen, erstmals in ihrer Geschichte. Diese Befragung hat nach Angaben von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bei der Partei zu einer ersten Eintrittswelle geführt. „Mit Beginn des Verfahrens hat es rund 8.000 Eintritte neuer Mitglieder über die Internetseite der Bundes-CDU gegeben. In den Kreisverbänden sind es noch deutlich mehr", sagte Ziemiak der „Rheinischen Post". Es gebe wieder mehr Vertrauen in die Partei, und der Wunsch sei groß, den Prozess zur Bestimmung des künftigen Vorsitzenden zu gestalten, sagte der CDU-Generalsekretär. „Der neue Vorsitzende wird dadurch über sehr viel Legitimation und Autorität verfügen."
Offenbar war die Ausgangslage der Unionsfrauen schlecht genug, dass sich lediglich die Brandenburger CDU-Politikerin Sabine Buder traute und dann von ihrem Kreisvorstand wieder zurückgepfiffen wurde. Dem „Spiegel" hatte sie in einem Interview gesagt, sie wolle damit die Verantwortungsbereitschaft der Frauen in der Partei zeigen. Keine Frau wird somit dem Männertrio entgegentreten, sie sind höchstens „mit im Team", für welchen Posten auch immer.
Dieses Ereignis ist nur ein Beispiel von vielen, die zeigen: Der Weg der CDU wird lang. Die SPD hat es in ihrem Erneuerungsprozess bereits vorgemacht: Mitgliederbefragungen sind in unseren digitalen Zeiten kein Problem und vor allem beliebtes Mittel, um die Legitimität neuer Führungspersönlichkeiten in einer Partei zu verbreitern. Einer Partei, die wie die SPD entkernt zu sein scheint und ihrem Status einer „Volkspartei" hinterherläuft. Die unzähligen Konferenzen und Auseinandersetzungen der Sozialdemokraten, die je nach Lesart seit dem Ende der Ära Schröder 2005 oder seit 2018 mit Andrea Nahles bis heute noch ihr Profil neu zu schärfen versuchen, machen deutlich, dass dieser Prozess nicht mit einem oder einer neuen Vorsitzenden beendet ist. Es braucht Zeit, den neuen Markenkern zu finden, zu etablieren, von Mittbewerbern abzugrenzen, zu kommunizieren und Menschen davon zu überzeugen.
Auf dem langen Weg der politischen Erneuerung
Die CDU aber hat keine. Im März bereits wählt das nächste Bundesland, das Saarland, einen neuen Landtag (siehe auch Seite 34), die Umfragen bedeuten derzeit nichts Gutes für den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Tobias Hans. Oppositionsführer, interner Moderator und Entwickler frischer, zeitgemäßer politischer Botschaften, Partei-Befrieder, Motivator und Innovator, Fraktionschef und damit auf einer guten Ausgangsposition für eine mögliche Kanzlerkandidatur 2025 mit ungewissem Ausgang zu sein – all dies wird Aufgabe von Braun, Merz oder Röttgen sein.
Bis zum 16. Dezember noch können sich die Parteimitglieder in einem Online-Verfahren oder per Briefwahl zwischen den drei Kandidaten entscheiden. Am 17. Dezember soll dann das Ergebnis feststehen. Vereint ein Bewerber die absolute Mehrheit auf sich, gilt er automatisch als Kandidat für den digitalen Bundesparteitag. Ist das Votum weniger eindeutig, treten die beiden Bestplatzierten bis zum Stichtag 14. Januar in einer Stichwahl erneut an.
Die Menschen in Deutschland aber zeigen nach einer Umfrage wenig Zustimmung zu den drei Bewerbern. Auf die Frage, wem sie das Amt des Parteichefs am ehesten zutrauen würden, antworteten 35 Prozent mit „keinem der drei". Merz schnitt dabei noch am besten ab. Für den früheren Unions-Fraktionschef im Bundestag entschieden sich in der Yougov-Umfrage 23 Prozent. Außenpolitiker Röttgen kam auf 16 und Braun auf sieben Prozent. Unter denen, die angaben, bei der Bundestagswahl die Union gewählt zu haben, lag Merz mit 34 Prozent mit weitem Abstand vor Röttgen (20 Prozent) und Braun (6 Prozent). Auch hier antwortete aber mehr als ein Viertel der Befragten (27 Prozent) mit „keinem der drei". Überzeugung sieht anders aus. Vertrauen muss sich der künftige Parteichef der CDU in Partei und bei potenziellen Wählern also hart erarbeiten –
egal, wer das Rennen macht.