Immer mehr Stromer oder Plug-in-Hybride auf den deutschen Straßen: Nach langer Verzögerung startet der Elektroboom. Lücken im Ladenetz, Debatten ums Bezahlen und fehlende Halbleiterchips torpedieren jedoch derzeit den reibungslosen Erfolg.
Stecker rein, aufladen, Stecker raus,und los geht’s. Mit der Umwelt- und Innovationsprämie der Bundesregierung hat die Elektromobilität in Deutschland im vergangenen und in diesem Jahr Fahrt aufgenommen. Auch wenn der Markt derzeit wie leergefegt scheint, der Boom ist nicht aufzuhalten. Mittlerweile fahren 517.000 Elektroautos auf deutschen Straßen, hinzu kommen 494.000 Plug-in-Hybride. Möglich gemacht hat das auch das Geld, das die Bundesregierung mit Umwelt- und Innovationsprämie seit 2019 in den Markt pumpt.
Das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle, das für die Bearbeitung der Anträge zuständig ist, kommt kaum noch hinterher – vor allem auch, weil sich kurz vor dem Abschluss des Koalitionsvertrages zwischen SPD, Grünen und FDP viele private und gewerbliche Käufer noch schnell ein Elektroauto oder einen Plugin-Hybriden zugelegt haben, aus Angst, dass die Bafa-Förderung ausläuft. Nun ist klar: wird sie nicht. Bis 2025 läuft sie weiter, danach soll die Innovationsprämie, sprich der verdoppelte staatliche Anteil, abschmelzen.
Förderung läuft bis 2025 weiter
Wer ein Elektrofahrzeug sein eigen nennt, steht jedoch zunächst vor der Frage: wie und wo laden? Ebenfalls vom Bund gefördert wurden bislang sogenannte Wallboxen, sprich Ladestationen für das Auto zu Hause. Zwar ist die heimische Steckdose notfalls auch brauchbar, die Ladeleistung damit aber so gering, dass heutige Autobatterien, zum Beispiel die eines Tesla, gut 24 Stunden zum Vollladen benötigen. Mit Wallboxen geht das sehr viel schneller. Meldungen, wonach in einigen deutschen Straßenzügen aus Gründen der Netzstabilität keine dieser Stationen mehr installiert werden dürfen, beziehen sich vor allem auf extrem leistungsfähige Wallboxen, erklärt Michael L’huillier, überzeugter Elektromobilist und Pressesprecher des regionalen Energieversorgers VSE. „Ladestationen mit einer Kapazität von elf Kilowatt müssen beim Energieversorger zwar nach der Installation gemeldet werden. Abgelehnt werden sie jedoch nicht." Bei den stärkeren 22-Kilowatt-Ladern für Zuhause aber könne das schon mal passieren, sie sind zwingend vor der Installation genehmigungspflichtig, damit beim Laden die Netzstabilität in der Nachbarschaft gewährleistet werden kann.
Gefördert wurden bisher nur die intelligenten, deutlich teureren „netzdienlichen" Wallboxen. Diese können vom Netzbetreiber notfalls heruntergeregelt werden, um jene Netzstabilität zu gewährleisten – und liefern dann im ungünstigsten Fall beim Laden des E-Autos weniger Ladeleistung als angegeben. Staatlich gefördert werden die heimischen Ladestationen jedoch derzeit nicht mehr. Denn der Topf, den die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwaltet, ist seit Ende Oktober leer. Ob und wann er wieder aufgefüllt wird, ist noch unklar.
Klar ist: Das Ladenetz soll laut Koalitionsvertrag ausgebaut werden. Zwei Milliarden Euro für das sogenannte Deutschlandnetz will die Bundesregierung aufbringen, um das noch lückenhafte Netz aus Ladestationen in Deutschland zu verbreitern. Gleichzeitig soll das europäische Netz anwachsen, laut dem „Green Deal" der EU um eine Million Stationen.
Zwei Milliarden für ein Ladenetz
Aber auch private Investoren pumpen kräftig Geld hinein: Ionity, das europäische Joint Venture von Ford, BMW, Daimler, Hyundai, Volkswagen und dem US-Finanzinvestor Blackrock, bringt 700 Millionen Euro auf, um europaweit sein Netz aus 350-Kilowatt-Ladestationen von 1.500 auf 7.000 auszubauen. Wie viele es derzeit insgesamt gibt, ist nicht eindeutig. Die Bundesnetzagentur etwa veröffentlicht auf einer Karte nur diejenigen, die das Anzeigeverfahren abgeschlossen und einer Veröffentlichung zugestimmt haben. Dies sind, Stand 1. November, knapp 5.000. Tatsächlich sind es jedoch viel mehr. Wie viele, darüber gehen die Zahlen derzeit auseinander. Die Bundesregierung zählt knapp 21.000 öffentliche Stationen, eine Statistik der Ladeplattform Chargemap listet 24.000, der Bundesverband der Energiewirtschaft 40.000 öffentliche und teilöffentliche Ladestationen. Zum Vergleich: der ADAC zählt derzeit knapp 14.450 Tankstellen in Deutschland, bei einem Fahrzeugbestand von 56,5 Millionen Verbrennerfahrzeugen im September 2021.
Tatsache ist, dass das Ladenetz zu langsam wächst – je nachdem, wie man rechnet. Ein Stromer steht länger an einer Tankstelle als ein Verbrenner, beim heutigen Stand der Batterieladetechnik etwa zwischen 20 Minuten und einer Stunde, um den Akku auf 80 Prozent aufzuladen. Daher werden tendenziell mehr Ladepunkte, also Anschlüsse an Ladesäulen, benötigt. Zu den Ladepunkten gehören natürlich auch die privaten Wallboxen. Je mehr Wallboxen, desto weniger öffentliche werden benötigt, so die Rechnung des Bundesverkehrsministeriums von Andreas Scheuer (CSU). Nach Meinung von Oliver Zipse, Chef von BMW aber gehe es zu langsam, die Zahl der Elektroautos wachse um den Faktor fünf schneller als die Zahl der Ladepunkte.
Ein weiteres Problem: Noch kann nicht an jeder Säule mit der gleichen Methode gezahlt werden. Tesla hat mithilfe seines Supercharger-Netzwerkes vorgelegt: Seine Autos werden betankt, die Ladesäule erkennt das Auto und bucht das Geld automatisch ab – zum Beispiel per Lastschrift oder auf der Kreditkarte des der Fahrgestellnummer zugeordneten Besitzers. Andere Ladeanbieter nutzen Apps oder Ladekarten. Der Tarifdschungel blüht. Das soll künftig einfacher laufen: Ab Juli 2023 muss jede neu errichtete Ladesäule mit einem Lesegerät für EC-Karten ausgestattet sein. Ein Anachronismus in Zeiten von Apps, kritisieren Anbieter.
Zudem fürchten sie staatliche Konkurrenz. Das Deutschlandnetz, auf dessen Errichtung sich derzeit 400 Anbieter von Ladestationen bewerben, soll nach dem Willen der Bundesregierung nicht nur finanziell gefördert werden. Auch der Preis pro Kilowattstunde soll auf 44 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt sein. Das bringt die privaten Ladestationenanbieter wie Tesla, Ionity oder EnBW ebenso auf die Barrikaden. Sie haben bereits Milliarden aus eigener Tasche in das bestehende Netz investiert. Einen staatlichen Wettbewerber, der einen Maximalpreis verlangt, wollen sie sich nicht vor die Nase setzen lassen. Dabei gehört Tesla derzeit noch mit etwa 40 Cent zu den günstigsten Anbietern, Ionity ruft 79 Cent auf.
Unterschiedliche Bezahlmethoden
Zwischen den Anbietern und der neuen Bundesregierung besteht offenbar noch Redebedarf. Und dann wäre da noch das Lieferkettenproblem. Wer sich derzeit um einen Plugin-Hybriden oder ein E-Auto bemüht, kennt es: Wartezeiten zwischen sechs und zwölf Monaten auf den Neuen sind keine Seltenheit. Oftmals hängt es an den fehlenden Halbleiterchips, weswegen Werke von Volkswagen in Zwickau, Opel in Eisenach oder Ford in Saarlouis in Kurzarbeit müssen. Die EU signalisierte bereits Unterstützung für eine gesamteuropäische Lösung und den Aufbau einer heimischen Chipproduktion, dies löst das Problem jedoch nur langfristig. Kurzfristig greifen Autobauer zu drastischeren Maßnahmen, umgehen Zwischenhändler und Zulieferer und bestellen direkt ab Werk. Dies verhindert jedoch keine Einbußen: Volvo meldet sieben Prozent Verlust im dritten Quartal, Toyota baute im Oktober ein Viertel weniger Autos als im Monat zuvor, BMW verzichtet auf Touchscreens und Mercedes auf bestimmte Audiosysteme. Tesla liefert vermeintlich fertige Fahrzeuge ohne USB-Anschlüsse aus und verspricht, sie nachzuliefern. Von den erwartbaren Problemen seitens der Zulieferer ganz zu schweigen.
Damit künftig den Lieferketten für Lithium, das im Augenblick noch für den Bau batterieelektrischer Fahrzeuge enorm wichtig ist, nicht dasselbe geschieht, will sich die EU von internationalen Lieferanten unabhängig machen. Lithium aber gehört zu den Seltenen Erden, die größten Produzenten sind derzeit Chile, Australien, Argentinien und China.
Deutschland könnte künftig auch dazu gehören. Dafür sorgen will beispielsweise das australisch-deutsche Unternehmen Vulcan Energie mit Sitz in Karlsruhe (siehe Infokasten).