Der österreichische Schauspieler und Regisseur Martin Leutgeb bringt mit dem Amateurensemble „Volkstheater in der Kettenfabrik" an Ostern die dritte Produktion auf die Bühne. Im Interview spricht er über das neue Stück, das Besondere an der saarländischen Mundart und was ihm an St. Arnual gefällt.
Herr Leutgeb, Sie sind für die Regiearbeit für das Volkstheater in der Kettenfabrik gerade wieder zurück im Saarland. Wie war Ihre Anreise aus Tirol, wo Sie normalerweise wohnen?
Es war für mich wie eine Zeitreise hierher – wobei das letzte Projekt im Volkstheater ja gar nicht so lange zurückliegt. Das Saarland ist natürlich total schön. Wenn ich bei den Leuten vom Volkstheater bin, dann ist das wie heimkommen. Dann überlegt man zusammen: Ist eine gemeinsame Situation jetzt drei Jahre her oder ist sie 20 Jahre her. Wenn man nicht gelegentlich mal in den Spiegel schaut, vergisst man die Zeit. Aber mein Credo ist ja sowieso: Wenn man über vergangene Geschichten redet, hat man gelebt. Wenn man nicht darüber redet, ist es vorbei.
An Ostern hat das neue Stück in der Kettenfabrik Premiere. Sie sind aktuell für einige Probentage vor Ort. Im Vorfeld haben Sie mit der Gruppe aber schon über Skype geprobt. Wie hat das funktioniert?
Mit Skype hat es merkwürdigerweise ganz gut funktioniert. Wir haben gelesen und gelesen und gelesen. Über das Lesen und über das Zuhören hat sich schon viel hergestellt. Man merkt jetzt bei den Proben: Man fängt nicht bei null an. Auch wenn ich wieder weg bin, stellt das Sulzbacher Kellertheater der Gruppe Räume zur Verfügung, wo sie dann auch ohne mich proben können. Überhaupt bekommen wir vom Sulzbacher Kellertheater viel Unterstützung. Auch vom Staatstheater, das uns wieder mit der Beleuchtung und der Kulisse hilft. Und von den Leuten der Kettenfabrik. Das ist toll, zumal wir nur wenige Sponsorengelder haben, die wir verwenden können.
Das Projekt Volkstheater in der Kettenfabrik ist ein Amateurprojekt, mit den meisten Darstellern haben Sie schon vorher zusammengearbeitet …
Es sind einfach gute Leute dabei, von denen ich sage, dass es „High-Class-Amateure" sind. Wenn die Leute zuschauen, sagen sie später: Ich hätte nie gedacht, dass das Amateure sind. Von daher ist man gern da, weil sie einfach so super sind.
Das Stück „Der G’wissenswurm" von Ludwig Anzengruber stammt aus dem Jahr 1874. Es geht um einen älteren Bauern, den nach vielen Jahren seine Vergangenheit einholt. Das klingt erst mal nach einer dramatischen Handlung, das Stück ist jedoch eine Komödie. Warum haben Sie sich nach zwei ernsteren Stücken nun für etwas mehr Humor entschieden?
Das ist durch den Autor schon mal vorgegeben. Wir hätten jetzt Saarbrücken weiter zur Hochburg der Schönherr-Festspiele machen können (Autor der letzten beiden Stücke, Anm. d. Red.). Da sind der Schmutz und der Dreck dabei. Aber es ist auch so: Wir brauchen jetzt nach dieser ganzen Corona-Geschichte etwas, wo man mehr mit dem Auge zwinkern als mit dem erhobenen Finger zeigen kann. Die Leute brauchen das – wir brauchen das. Ich wollte mit Ludwig Anzengruber mal einen anderen Autor ins Spiel bringen, der trotzdem auch mit einem ernsthaften Hintergrund kommt. Und von daher haben wir uns für diese Komödie entschieden, die auch Tiefgang hat. In „Der G’wissenswurm" geht es zum Beispiel auch um Betrug und Schwindel, es sind alle Zutaten drin, die auch bei „Erde" (Vorgängerstück, Anm. d.Red.) drin waren. Komödie ist ja nur dann lustig, wenn die Figuren und Protagonisten trotzdem leiden. Das heißt, es wird auch in diesem Stück Leidende geben – über das Unverständnis der anderen, oder weil jemand eine Erlösung sucht.
Wie ist es für Regisseur und Darsteller, etwas Lustiges auf die Bühne zu bringen?
Wenn die Inszenierung daraus besteht, dass man andere diffamiert, die so reden oder so handeln, weil man selbst keine Haltung dazu hat, dann ist es für mich Klamauk. Wenn wir aber als Darsteller eine Haltung dazu haben und gewisse Sachen auf der Bühne erleiden, ist es das nicht mehr. Und da wollen wir hin. Für den Schauspieler ist es das Ziel, sich auf die Bühne zu stellen und einen Charakter darzustellen, der Not erleidet. Das ist Volkstheater, dass man das, was man sagt, ernst nimmt. Sonst ist es ein Bauernschwank. Je tiefer man reingeht in die Rolle und je mehr man sich auseinandersetzt und leidet, umso mehr wird es das, was das Publikum auch empfinden kann. Wenn man etwas vorgaukelt und nicht dahintersteht, dann bleibt alles an der Oberfläche. Meine Aufgabe als Regisseur ist zu sondieren, wo wir wirklich Gas geben können. In einem Stück, das düster und brutal gemacht ist, brauchen wir auch lustige Figuren, die Dummen, die Kasperln.
Das Stück ist eigentlich in Österreichisch geschrieben. Wie hat es funktioniert, den Text ins Saarländische zu übersetzen? Was ist das Besondere an einem Mundartstück?
Ich könnte es selbst nicht ins Saarländische übersetzen. Dieter Meier, der ja auch mitspielt, hat das Stück wunderbar übersetzt. Er hat sich viel Mühe gemacht und auch alte Begriffe eingebunden. Und das ist auch das Besondere. Es ist ein weiteres Credo von mir, dass der Dialekt als Muttersprache der Schlüssel zur Seele ist. Deshalb habe ich das Gefühl, dass es bei den Saarländern auch so einschlägt, weil sie den Dialekt hören wollen. Vorher hat mir jemand gesagt: Es funktioniert nicht, weil Saarländisch immer nur Fastnachtssitzung oder Kabarett ist. Wir haben aber durch die zwei vorangegangenen Aufführungen gesehen, dass da noch mehr geht, und das wollen wir bei dieser Aufführung jetzt noch mal zeigen.
Welchen Stellenwert hat die Mundart bei Ihnen in Österreich? Als Saarländer versucht man ja im offiziellen Kontext manchmal, seinen Dialekt zu verbergen.
In Österreich schämt sich keiner für seinen Dialekt. Bei uns in Tirol gibt es durch die Täler alle 15 Kilometer eine Veränderung der Sprache. Wenn ich zum Beispiel ins Zillertal fahren würde und mit den Leuten reden würde, würde ich vieles nicht verstehen. Wenn Saarländer so loslegen, dann frage ich höflichkeitshalber nicht nach, und manchmal lasse ich es mir von Leuten, die dabei waren, übersetzen (lacht). Was man auf alle Fälle versteht bei den Saarländern, ist, dass es herzensgute Menschen sind. Auch wenn man die Sprache nicht versteht, versteht man, was sie bewegt.
Wie unterscheiden sich die Saarländer denn von den Tirolern?
Die Tiroler sind stur, die Saarländer nicht (lacht). Ich habe noch keinen sturen Saarländer gesehen.
Der Aufführungsort in St. Arnual hat ein ganz besonderes Flair …
Das ist Wahnsinn, St. Arnual ist ein Kleinod in Saarbrücken. Da steht man auf dem Platz und die Kirche und die schmucken Häuser sind rundherum und du hörst die Kinder vom Schulhof. Es sind sehr liebevolle, sehr spezielle Leute, wenn ich das so sagen darf, die da ein Dorfgefüge haben, wo der eine den anderen kennt. Dort erlebst du eine dörfliche Gemeinschaft, deshalb ist der Ort perfekt! Besser könnte es gar nicht sein. Wenn du hinkommst, hast du schon das Gefühl, du bist in einer anderen, einer runden und abgeschlossenen Welt.
Die Spielstätte in der historischen Kettenfabrik ist nicht nur wegen dieses Ambientes bemerkenswert, auch die Situation für die Zuschauer ist besonders. Es gibt nur 80 Plätze, die Bühne ist in der Mitte des Raums.
Ja, wir verwenden nie die Guckkastenbühne, sondern machen es eher zur Arena mit Zuschauern links und rechts. In der Mitte des Raums ist ein Steg, auf dem gespielt wird. Das hat sich jetzt bewährt.
Sie sind selbst Schauspieler, für das Theater in der Kettenfabrik sind Sie als Regisseur aktiv und neben Ihnen sehe ich gerade eine Nähmaschine, mit der Sie auch an den Kostümen für das Volkstheater arbeiten. Sind Sie in diesen verschiedenen Funktionen trotzdem immer derselbe Martin Leutgeb?
Ich bin immer derselbe – und in unterschiedlichen Sachen perfekt (lacht). Nein, ich bin der, der ich bin. Ich komme aus dem Amateurtheaterbereich, da hat man immer alles selbst gemacht. Ich bin nicht unbedingt einer, der sich so viel zutraut, aber ich versuche immer, meinen Ansprüchen gerecht zu werden und nicht denen eines anderen. Letztendlich versuche ich immer, so viel wie möglich selbst zu machen. Nicht weil ich es den anderen nicht zutraue, sondern weil es meinem Anspruch entspricht.
Welche Projekte stehen bei Ihnen in nächster Zeit sonst noch an?
Ein Projekt ist, dass man einen Monolog für mich geschrieben hat, für den es schon einen Premierentermin gibt. Dann habe ich zwei Filmprojekte in Vorbereitung und ein großes Projekt, aber da kann ich jetzt noch gar nicht so viel dazu sagen. Dann habe ich letztes Jahr in Österreich den „Brandner Kaspar" inszeniert. Das war ein großer Erfolg, wir haben dafür einen Preis vom Land Oberösterreich bekommen. Das wird dieses Jahr noch mal aufgeführt.
Welche Bedeutung haben Kunst und Kultur und auch Projekte wie das Volkstheater in der Kettenfabrik in der heutigen Zeit?
Sie sind total wichtig. Ich glaube, dass die Vereinsamung zu Hause ja schon stattgefunden hat. Wenn du keinen Garten, keine Möglichkeit hast, nach draußen zu gehen, dann sitzt du blöd vor der Glotze. Und irgendwann, wenn du wieder rausgehen kannst und Leute treffen kannst, dann kannst du das Erlebnis haben. Und es ist ja für uns doch ein Erlebnis, wenn du sagst, dass 80 Leute in der alten Kettenfabrik sind und es ist so unmittelbar und so nah. Und das ist etwas Besonderes, das hast du mit keinem Film. Genauso in Opern oder Konzerten, das ist einfach wunderschön. Wie willst du das ersetzen? Das kann man nicht ersetzen. Deshalb glaube ich schon, dass die Leute, wenn sie die Angst verloren haben, sich mit Corona zu infizieren und auch diese wahnsinnigen Kriegsgeschichten sich beruhigen, auch wieder in Begegnung mit anderen gehen, weil sie es brauchen – weil der Mensch jemanden treffen muss. Die Vereinsamung zu Hause ist da, und das Theater ist mit nichts zu vergleichen.