Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League – und jetzt die Europa League: Union Berlin hat auf seinem famosen Weg den nächsten Meilenstein gesetzt. Vor allem für Grischa Prömel war das Saisonfinale emotional.
Urs Fischer ließ es eisern über sich ergehen. Der Trainer von Union Berlin war gerade dabei, passende Worte für das herausragende Saisonergebnis zu finden, als ein paar seiner Spieler die Pressekonferenz stürmten und Fischer unter großem Gejohle mit einer Bierdusche eindeckten. „Was soll man sagen?", kommentierte der Schweizer den „Überfall" in seiner gewohnt stoischen Art: „Das passiert immer wieder." Die nassen Klamotten und der penetrante Biergeruch machten Fischer aber nichts aus, nichts und niemand konnte ihm an diesem Tag die Laune verderben.
„Da stehst du da nach 34 Spieltagen und bist Fünfter", sagte der Coach und schüttelte ungläubig den Kopf: „Tut mir leid, aber mir ist noch kein Wort eingefallen, das diese Situation beschreibt." Er freue sich jetzt, „dass die Ferien beginnen, dann habe ich ein bisschen Zeit zu verstehen, was da geschehen ist." Kurze Zeit später brachte er doch noch ein paar Worten heraus, die ihm nach dem Erreichen der Europa League durch das 3:2 am letzten Spieltag gegen den VfL Bochum durch seinen Kopf schwirrten. „Wahnsinn, unglaublich, fantastisch, außergewöhnlich", zählte Fischer auf: „Ich glaube, da gibt es noch ein paar mehr."
Mit der anfänglichen Sprachlosigkeit war Fischer aber längst nicht allein. Viele Unioner konnten nur schwerlich beschreiben, wie sich dieser fast schon sensationelle Erfolg anfühlt. Geschweige denn, wie er überhaupt möglich war. „Platz fünf – ich finde keine Worte", sagte Kapitän Christopher Trimmel. Auch für Sportchef Oliver Ruhnert fühlte sich der Blick auf die Abschlusstabelle surreal an. „Man muss sich kneifen, um es zu glauben", sagte Ruhnert: „Kein Experte hatte es auf dem Schirm, und ich muss auch ehrlich sagen, dass ich das auch nicht hatte."
Ungewohnte Dreifachbelastung
Nicht wenige hatten Union wegen der ungewohnten Dreifachbelastung aus Bundesliga, Conference League und DFB-Pokal einen Absturz prophezeit, zumal wichtige Leistungsträger wie Robert Andrich, Marvin Friedrich oder Max Kruse vor oder während der Saison den Club verlassen hatten. Doch Fischer und sein Team trotzten den Umständen und stehen nun sogar besser da als je zuvor. 58 Punkte, Tabellenplatz fünf, direkte Europa-League-Qualifikation – alles noch nie dagewesen, alles kaum für möglich gehalten. „Der ganze Verein ist aktuell dabei, sich allmählich damit abzufinden, dass das alles kein Traum ist", berichtete Ruhnert.
Die Fans halfen dabei. Sie ließen ihre Helden vor dem Stadionbalkon der Alten Försterei immer wieder hochleben und erzeugten eine ähnliche Stimmung wie schon nach den letzten Saisonfinals, als man zuerst den Aufstieg (2019), dann den Klassenerhalt (2020) und schließlich das Erreichen der Conference League (2021) gefeiert hatte. Ausgerechnet der Profi, der Union im Sommer ablösefrei verlässt, wurde mit besonders viel Zuneigung bedacht: Grischa Prömel. Und der Mittelfeldspieler genoss ganz bewusst diesen Moment. „Einfach mal die Gefühle rauslassen, den Emotionen freien Lauf lassen, sich von den Fans tragen lassen und alles aufsaugen, was noch geht", sagte Prömel: „So etwas, was Union vorlebt, gibt es nur noch ganz selten."
Die Anhänger nehmen ihm den Wechsel zu Ex-Club TSG Hoffenheim auch deshalb nicht übel, weil seine Verbundenheit zu Union immer authentisch war. Und deswegen wirkten Prömels Abschiedsworte auch nicht wie aufgesetzter Kitsch, sondern wie eine ehrlich gemeinte Liebeserklärung. „Ich habe Union Berlin in meinem Leben so viel zu verdanken, es waren die fünf schönsten Jahre in meiner Fußballkarriere", erklärte der 27-Jährige. Er hätte seinen ganz persönlichen Werdegang und den des Vereins „nie für möglich gehalten", als er 2017 nach Köpenick gewechselt war. „So viele schöne Momente, so eine geile Zeit", schwärmte Prömel: „Es ist schwierig, das in Worte zu fassen, wenn man sieht, dass die Fans und der ganze Verein hinter einem stehen. Es tut unglaublich weh, den Verein am Saisonende zu verlassen."
In den kommenden Wochen wird sich Prömel wohl verstärkt an die Gründe für einen Wechsel nach Hoffenheim erinnern müssen, um seine Entscheidung aus dem vergangenen Winter nicht doch noch schwer zu bereuen. Doch so ganz will Prömel die Union-Welt nicht verlassen, selbst eine Tour als Fan zu einem Auswärtsspiel der Europa League in der kommenden Saison kann er sich vorstellen – schließlich hat die in der Rückrunde abgestürzte TSG Hoffenheim unter der Woche spielfrei. „Klar, wenn ein geiles Los dabei ist und es irgendwie machbar ist, muss ich mir das mal überlegen", sagte der frühere U21-Nationalspieler: „Es wäre natürlich schön, noch mal was mitzunehmen."
Baumgartl wieder auf dem Weg der Besserung
Beim letzten Saisonspiel nahm Prömel auch alles mit. Bereits nach fünf Minuten sorgte er mit seinem achten Saisontor für die 1:0-Führung – viel kitschiger hätte kein Autor das Drehbuch für diesen Abschied schreiben können. Er habe schon beim Einlaufen gespürt, „dass heute mein Tag ist, dass alles zusammenläuft", verriet Prömel: „Da konnte man sich einfach nur treiben lassen und die Atmosphäre genießen." Dass Union eine 2:0-Führung noch zu verspielen drohte und erst kurz vor Schluss durch Angreifer Taiwo Awoniyi den erlösenden 3:2-Siegtreffer erzielte, machte den Abschluss noch mal spezieller. Nicht nur für Prömel. „Es hat viele Spieler gegeben, die sich gegen Bochum verabschiedet haben, was sehr emotional war", sagte Trimmel.
Neben Prömel verlassen auch Jakob Busk, Bastian Oczipka, Anthony Ujah und Suleiman Abdullahi den Club, ihre Verträge wurden nicht verlängert. Als Zugänge stehen die Mittelfeldspieler Paul Seguin (27/Fürth) und Janik Haberer (28/Freiburg) fest. Medienberichten zufolge sollen demnächst auch die Transfers von Verteidiger Danilho Doekhi (23/Arnheim) und Stürmer Jamie Leweling (21/Fürth) verkündet werden. Außerdem gab Union kurz nach dem Saisonfinale bekannt, dass Timo Baumgartl, der bislang von der PSV Eindhoven ausgeliehen war, ein Unioner bleibt. Über die Vertragsmodalitäten gab der Club zunächst nichts bekannt.
Baumgartl hatte mit seiner kompromisslosen Spielweise in der Abwehr großen Anteil an der starken Saison, ehe er die finalen Spiele wegen eines Tumors im Hoden verpasste. Dieser wurde ihm inzwischen erfolgreich entfernt, er ist auf dem Weg der Besserung. Seine Mitspieler hatten sich gegen Bochum in Shirts mit Baumgartls Nummer 25 aufgewärmt, dazu twitterte der Bundesligist: „Eisern bleiben, Timo". Der Innenverteidiger hatte sich schon zuvor für den unglaublichen Support" im Verein bedankt. Er geht von einer vollständigen Genesung aus, weil die Operation gut verlaufen sei. Als großer Vorteil dürfte sich die frühe Diagnose herausstellen. „Glücklicherweise gehe ich seit einigen Jahren zur Vorsorge", erklärte Baumgartl.
Für Baumgartl, für die Fans und für den Verein wollten die Union-Profis im letzten Saisonspiel unbedingt den maximalen Erfolg einfahren. Es ist ihnen gelungen. Das zu verarbeiten, wird eine der Aufgaben für die kommenden Wochen sein, ehe am 20. Juni die Vorbereitung beginnt. Daran wollten die Unioner in der Stunde des Triumphes aber überhaupt nicht denken. „Wir werden ausgelassen feiern", kündigte Kapitän Trimmel an, „sehr viel feiern, so wie ich uns kenne. Dann hat sich jeder seinen Urlaub verdient, der kommt jetzt zur richtigen Zeit."