Deutsche Wissenschaftler konnten die Wirksamkeit eines eigentlich gegen Pilzinfektionen entwickelten Medikaments zur Bekämpfung der Vorsteherdrüsen-Karzinome nachweisen. Prostatakrebs ist hierzulande eine der häufigsten Tumorerkrankungen bei Männern.
Prostatakrebs gilt längst weltweit als Volkskrankheit, von der allerdings nur die männliche Bevölkerung, vor allem jenseits des 50. Lebensjahres, betroffen ist. Die Prostata befindet sich zwischen der Harnblase und dem äußeren Blasenschließmuskel und ist gerade mal kastaniengroß. Mit fortschreitendem Alter nimmt sie allerdings an Umfang und Gewicht zu. Sie wird auch als Vorsteherdrüse bezeichnet und gehört zu den inneren Geschlechtsorganen des Mannes. Ihre Hauptfunktion besteht darin, jene milchig-weiße Flüssigkeit (Sekret) zu bilden, die die Spermien nach dem Samenerguss auf ihrem Weg zu einer befruchteten Eizelle benötigen. Ein wesentlicher Bestandteil des Sekrets ist dabei das sogenannte Prostataspezifische Antigen PSA.
In geringer Menge ist das PSA auch im männlichen Blut vorhanden, wo es jedoch einen in Nanogramm pro Milliliter messbaren Grenzwert bei gesunden Männern nicht überschreiten sollte. Beim Verdacht auf eine Prostatakrebserkrankung kann der jeweilige sogenannte PSA-Wert im Blut ermittelt werden. Dieser PSA-Wert ist beim Vorhandensein von Prostatakrebs meist erhöht. Als kritischer Grenzwert wird gemeinhin von den deutschen Fachgesellschaften ein PSA-Wert von vier Nanogramm pro Milliliter angesehen.
Längst kein Todesurteil mehr
Die Heilungschancen des Prostatakarzinoms bei einer frühzeitigen Erkennung und entsprechenden Behandlung wahlweise mit operativer Totalentfernung der Vorsteherdrüse oder einer Strahlentherapie werden als sehr gut eingeschätzt. Rund 15 bis 20 Prozent der deutschen Männer müssen sich im Laufe ihres Lebens mit diesem ärztlichen Befund auseinandersetzen. Wobei das Risiko mit dem Alter steigt, ab dem fünften Lebensjahrzehnt lässt sich bei deutschen Männern die Wahrscheinlichkeit einer Karzinomausbildung auf acht bis neun Prozent beziffern, die meisten Neuerkrankungen treten ab rund 70 Jahren auf. Prostatakrebs ist inzwischen hierzulande unter Männern mit 22,7 Prozent die häufigste bösartige Tumorart, jährlich werden rund 62.000 Neuerkrankungen registriert, und steht bei den zum Tode führenden Krebserkrankungen bei Männern mit einem Anteil von 11,6 Prozent an zweiter Stelle hinter Lungenkrebs. Dennoch ist die Erkrankungsdiagnose längst kein Todesurteil mehr, weil laut Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft „ungefähr neun von zehn Männern mit diagnostiziertem Prostatakrebs" letztlich nicht an dieser Erkrankung sterben, „sondern an einer anderen Ursache. Dazu kommen noch diejenigen Männer, die zwar ein Prostatakarzinom haben, dies aber nie erfahren: Bei systematischen Untersuchungen von Verstorbenen, sogenannten Autopsie-Studien, werden bei neun von zehn Männern über 90 Jahren nach ihrem Tod Prostatakrebs-Zellen gefunden."
Da die Ursache für das Entstehen des Prostatakrebses noch immer weitestgehend ungeklärt ist, gibt es keine prophylaktischen Maßnahmen, die dagegen eingeleitet werden könnten. Es sind allerdings gewisse Faktoren bekannt, die das Risiko einer Erkrankung erhöhen können. Das fortschreitende Alter ist dabei der wichtigste Risikofaktor neben genetischer Veranlagung und dem Einfluss des Geschlechtshormons Testosteron. Letzteres ist zwar für die Funktion der Prostata unabdinglich, fördert aber auch nachweislich das Wachstum von Tumorzellen. Eine komplette Suppression von Testosteron im männlichen Körper kann natürlich nicht infrage kommen. Stattdessen hat ein Wissenschaftler-Team der Julius-Maximilians-Universität, des Universitätsklinikums Würzburg und des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg jüngst ein anderes, das Tumorwachstum in der Prostata förderndes Enzym ausfindig gemacht. Dessen Blockade könnte durch ein schon für eine gänzlich andere Krankheit entwickeltes Medikament nicht nur eine Reduktion des Karzinomwachstums, sondern sogar ein Absterben von Tumorzellen zur Folge haben.
Ihre möglicherweise bahnbrechende Entdeckung hatten die Forscher im renommierten Fachmagazin „Nature Communications" veröffentlicht. Der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war, inwieweit das zur Bekämpfung von Hautpilzinfektionen wie Nagel- oder Fußpilz auf den Markt längst eingeführte Antimykotikum Terbinafin, dessen Wirkmechanismus auf der Hemmung eines Enzyms namens Squalen-Epoxidase (SQLE) beruht, möglicherweise auch als Mittel gegen den Prostatakrebs eingesetzt werden könnte. Normalerweise benötigen menschliche Zellen das Enzym SQLE zum Cholesterin-Aufbau, doch die Wissenschaftler hatten erkannt, dass bösartige Prostatatumore große Mengen genau dieses Enzyms auszubilden pflegen. „Die Expression des SQLE-Gens ist bei Prostatakrebs", so die Forscher, „mit schlechter Prognose und hohen Todesraten verknüpft." Und da Enzyme generell als Biokatalysatoren angesehen werden, die Stoffwechselprozesse, also auch das Wachstum von Karzinomen, beschleunigen können, wollten sie überprüfen, welche Auswirkungen eine Ausschaltung des Enzyms auf einen Prostatatumor haben könnte.
SQLE-Hemmstoff reduziert Wachstum
In der ersten Versuchsanordnung gaben sie den Wirkstoff Terbifanin im Labor zu Zellkulturen mit menschlichen Prostata-Tumoren. Mit dem Ergebnis, dass die Krebszellen ihr Wachstum einstellten und einige Tumorzellen sogar abstarben. Im nächsten Schritt testeten die Forscher unter Federführung von Oberarzt Dr. Charis Kalogirou vom Universitätsklinikum Würzburg den Einsatz von Terbifanin bei Mäusen, denen menschliche Prostata-Krebszellen implantiert worden waren. Nach sechs Wochen war der PSA-Wert der jeden zweiten Tag mit dem Pilzmedikament behandelten Tiere deutlich niedriger als der entsprechende Wert der Kontrollgruppe, denen kein Terbifanin verabreicht worden war. Die Medikamentengabe hatte den PSA-Wert um die Hälfte reduziert und die Größe der Tumore zudem auf die Hälfte schrumpfen lassen. Erfreulich war zudem, dass die Terbifanin-Verabreichung offenbar keine negativen Auswirkungen auf den Cholesterinhaushalt der gesunden Zellen der Versuchstiere zur Folge hatte. „Zusammen demonstrieren diese Ergebnisse, dass der SQLE-Hemmstoff Terbifanin das Wachstum von Prostatakarzinomen reduziert, ohne dass eine systemische Toxizität auftritt", so die Forscher.
Im Rahmen einer klinischen Mini-Phase-1-Studie überprüften die Forscher sodann auch noch die Wirksamkeit des Pilzmittels Terbifanin an vier an Prostatakrebs im Endstadium schwerst erkrankten Patienten. Drei Patienten erhielten im Rahmen einer sogenannten Off-Label-Anwendung zwei Wochen lang täglich 500 Milligramm Terbifanin verabreicht (die maximal für das Medikament zugelassene Menge), beim vierten Patienten musste man sich wegen eines Leberschadens auf die halbe, über sechs Wochen applizierte Dosis beschränken. Bei den drei Patienten mit der Maximaldosis konnten die zuvor stark erhöhten und trotz aller möglichen Therapien weiter steigenden PSA-Werte signifikant gesenkt werden. Beim vierten Patienten stagnierte der Wert hingegen nach einem anfänglichen Abfall. Auch wenn die Behandlung mit Terbifanin für die vier Patienten letztlich zu spät kam, deuteten die Wissenschaftler auch diesen Versuch als klares Indiz für die Wirksamkeit des Pilzmedikaments im Kampf gegen den Prostatakrebs.
SQLE-Hemmstoffe wie Terbifanin könnten das Potenzial für einen neuen Therapie-Ansatz gegen die männliche Volkskrankheit Nummer eins haben. Auch wenn die Ergebnisse natürlich noch in einer großen klinischen Studie bestätigt werden müssen. „Eine Weiterentwicklung des Wirkprinzips von Terbifanin könnte eine neue Therapie für Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom darstellen", so Dr. Charis Kalogirou. „Eine solche ‚Umnutzung‘ von existierenden Medikamenten hat große Vorteile, da Wirkung und Sicherheitsprofile bereits bekannt sind." Co-Autorin Prof. Almut Schulze vom Deutschen Krebsforschungszentrum zog jedenfalls ein rundum positives Resümee: „Unsere Studie hat gezeigt, dass SQLE eine neuartige Zielstruktur für die Behandlung von fortgeschrittenem Prostatakrebs sein könnte und dass Hemmstoffe von SQLE in klinischen Studien genauer untersucht werden sollten." Die Machbarkeit einer großen klinischen Studie werde gerade überprüft, so Prof. Almut Schulze. Womöglich auch wieder unter Mitwirkung eines Teams von der Universitätsklinik des Saarlandes unter Leitung von Dr. Johannes Linxweiler, der mit seinen Mitarbeitern ebenfalls an der Terbifanin-Publikation beteiligt war.