Bei Entscheidungen auf europäischer Ebene haben die Regionen ein stärkeres Gewicht als oft angenommen. Das Schlagwort vom „Europa der Regionen" ist nicht nur eine Worthülse, wie die Arbeit eines oft wenig beachteten, aber einflussreichen Gremiums zeigt.
Es sind die Bilder von großen Gipfeltreffen, roten Teppichen, Fahnenmeeren, Interviews in oder vor eindrucksvollen Gebäuden europäischer Institutionen, die in der Regel das Bild von „der EU" prägen. Kein Wunder, wenn damit der Eindruck entsteht, dass „die EU" eine undurchschaubar komplexe Konstruktion ist und „die da oben in Brüssel" ziemlich weit weg sind von dem, was die Menschen vor Ort bewegt. Wie immer bei solchen allgemeinen Bildern ist das nicht ganz aus der Luft gegriffen, aber es ist nur ein Teil der Wirklichkeit, wie sich bei einem etwas näheren Blick zeigt.
Der „Ausschuss der Regionen" (AdR) ist ein Beispiel für ein Gremium, das in der medialen Berichterstattung kaum Aufmerksamkeit findet, in der Realität europäischer Politik aber eine gewichtige Rolle spielt. Jenseits der großen Gipfel von Staats- und Regierungschefs oder den eindrucksvollen Bildern aus dem Europäischen Parlament ist der AdR das zentrale Bindeglied für die Interessen der Regionen.
Der AdR ist nicht ganz vergleichbar mit dem Bundesrat, also der Länderkammer in Deutschland, hat aber inhaltlich eine ähnliche Funktion. Er vertritt die Interessen von regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in der EU und setzt sich entsprechend zusammen. Oft sind es Bürgermeister, Vertreter von Landkreisen oder Landtagen, die entsandt werden. Deutschland stellt 24 der insgesamt 329 Mitglieder.
Mehr Transparenz und Vernetzung
In vielen Politikfeldern muss der AdR vor EU-Entscheidungen angehört werden, und diese Felder gleichen denen, für die in Deutschland Länder und Kommunen Kompetenzen haben: Bildung, Kultur, Gesundheitswesen, Verkehr, wirtschaftliche Zusammenarbeit. Nicht selten wird der AdR aber auch eingebunden bei Themen, die nicht vorgeschrieben sind, die aber ganz offenkundig unmittelbar lokale und regionale Belange betreffen. Ein markantes Beispiel dafür ist etwa die Integration von Migranten.
Der AdR muss aber nicht warten, bis er mit Themen befasst wird, die Kommission, Rat oder Parlament setzen – er kann auch von sich aus aktiv werden und mit Stellungnahmen die Interessen der Regionen offensiv in die Entscheidungsprozesse einbringen. Das geschieht öfter, als man gemeinhin erwarten könnte. Beispiele sind nach eigenen Angaben Themen, die kleine und mittlere Unternehmen betreffen, transeuropäische Netze, Tourismus, Strukturfonds, Gesundheitswesen, Industrie, Stadtentwicklung, Bildungsprogramme und Umwelt. Im Zweifel kann der AdR die Einhaltung wichtiger Prinzipien auch gerichtlich überprüfen lassen: Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Das besagt, dass höhere staatliche Ebenen etwas nur dann regeln dürfen, wenn es auf unteren Ebenen nicht möglich ist, also ein Schutz vor Überregulierung zu Lasten lokaler oder regionaler Autonomie.
Neben dieser Quasi-Wächterfunktion für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips arbeitet der AdR nach den Grundsätzen Bürgernähe und Partnerschaft. Er ist das Bindeglied zwischen den Menschen vor Ort und denen „da oben in Brüssel". Das heißt, einerseits regionale Interessen in Richtung europäischer Institutionen zu vertreten, aber auch umgekehrt für mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit europäischer Entscheidungen vor Ort zu sorgen. Es ist aber auch ein Gremium, das lokale/regionale Aktivitäten vernetzt und im Sinne von best practice weiterentwickelt.
Kritiker bemängeln, der AdR habe „nur" beratende Funktion. Wer die Praxis des Brüsseler Geschäfts etwas näher kennt, weiß, dass keiner wirklich wagen würde, eine Stellungnahme des AdR nicht ernst zu nehmen oder gar zu ignorieren. Ein „Europa der Regionen" ist nicht nur eine nette Redewendung, sondern gelebte Praxis, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft unterschätzt wird.