Wenn ein Underdog aufsteigt, ist die Euphorie groß. Doch manchmal entpuppt sich das Wunder als Eintagsfliege. Der 1. FC Saarbrücken lieferte 1993 den wohl kuriosesten Bundesliga-Abstieg der Geschichte.
Am Anfang steht ein Sektempfang. Oskar Lafontaine, damals Ministerpräsident des Saarlands, lädt ein, und der 1. FC Saarbrücken kommt. Gemeinsam will man auf den Start in die Bundesligasaison 1992/93 anstoßen und auf die Spiele gegen den FC Bayern und Borussia Dortmund, aber auch Wattenscheid 09 und Dynamo Dresden. Man ahnt in all der Euphorie noch nicht, dass die Spielzeit die bislang letzte mit einem erstklassigen FCS werden wird.
Wynalda sorgte für Begeisterung
Dabei beginnt die Geschichte durchaus vielversprechend, vor allem wegen eines jungen Mannes: Eric Wynalda. Den jungen Kalifornier kann Gastgeber Lafontaine beim Sektempfang zwar nicht zuordnen und fragt vorsichtshalber nach („Womit verdienen Sie denn Ihren Lebensunterhalt?"), macht aber im blau-schwarzen Trikot eine ausnehmend gute Figur. Charismatisch und dauerlächelnd, sympathisch und cool, ein Typ wie aus dem Katalog und dazu noch Doppeltorschütze beim prestigeträchtigen 2:0-Erfolg gegen den FCK. Wynalda, damals gerade mal 23 Jahre alt, macht sich mit seiner unbeschwerten Art zu einem Gesicht des Clubs. Kein Wunder also, dass er einer der ersten Lieblinge von „Ran" wird, der erst kurz zuvor aus der Taufe gehobenen Show von Sat 1, in der Fußball in einer nie zuvor erlebten Art inszeniert wird. Unbekümmert und mit Schnelligkeit gesegnet bringt er es in der Hinrunde auf acht Treffer und wird von der „Welt" dafür als „Big Mac am Ball" abgefeiert, der „wie eine Springflut über das Saarland hereingebrochen" ist. Zusammen mit Juri Sawitschew bildet Wynalda ein Duo, dem man im Ludwigspark noch heute nachtrauert. Schenkt man den Worten des damaligen Trainers Peter Neururer Glauben, können sich die beiden Sturmpartner stundenlang unterhalten, obwohl der Amerikaner kein Russisch spricht, der Russe kein Englisch und sie beide nicht Deutsch können.
Den Hype um seine Person weiß Wynalda zu nutzen. Kaum laufen die Zeitlupen seiner ersten Treffer für den 1. FC Saarbrücken, werden über die Geschäftsstelle des Vereins schon 3.000 T- Shirts mit seinem Konterfei vertrieben. Pro verkauftem Shirt streicht Wynalda zehn Mark ein. Ein paar Wochen später strahlt er von zahlreichen Plakatwänden des Saarlands, um den unnachahmlichen Geschmack von Lyoner-Wurst zu preisen. Eine Region liegt ihm zu Füßen. Warum auch nicht? Schließlich attestiert ihm die „Bild", auszusehen wie Robert Redford und zu schießen wie Marco van Basten. In seinen ersten Monaten in Deutschland gelingt ihm einfach alles.
Doch nicht nur Eric Wynalda macht von sich reden. Das ganze Team ist geprägt von interessanten Typen und nicht zuletzt durch Peter Neururer. Der Aufstiegstrainer aus dem Ruhrgebiet, bekannt für markanten Schnauzer, spitze Zunge und großes Sendungsbewusstsein, wartet mit zahlreichen denkwürdigen Momenten auf. Als er mit seinem Porsche etwas rasant zum ersten Arbeitstag im Saarland aufschlägt, meint ein anwesender Reporter trocken: „Peter Neururer fährt kein Auto, Peter Neururer schleudert Auto!" Monate später wird dem Übungsleiter während einer Pressekonferenz die berüchtigte Post aus Flensburg gereicht, Neururer nimmt umgehend Bezug auf die aktuelle sportliche Misere, reißt die Arme hoch und jubiliert: „Endlich wieder zwei Punkte". Und als er sich beim Torjubel (!) einen Bänderriss (!!) zuzieht, begründet der kultige Coach die Verletzung damit, dass sein Körper nicht mehr auf ein Tor vorbereitet gewesen sei.
Neururer ist der Chef einer denkwürdigen Truppe. Einer Truppe mit zwei Gesichtern, denn, so Neururer: „Ausgesehen haben wir wie die Brasilianer, gespielt haben wir wie Barfuß-Kairo." Im Tor steht der 2,02 Meter große Stefan Brasas, laut Neururer „so lang, der kann aus der Dachrinne saufen."
Den bekanntesten Namen trägt ein eher unscheinbarer Abwehrspieler, Stephan Beckenbauer. Der Sohn des „Kaisers" bestreitet allerdings nur zwölf Spiele und leidet mehr unter der Last seines berühmten Namens als dass ihm dieser nützt. Stürmer Arno Glesius wiederum macht sich um das ein oder andere verbale Missgeschick verdient. Einmal verkündet er stolz, „eine Eigentumswohnung mit Einmachküche" erworben zu haben, ein anderes Mal verweist er selbstbewusst darauf, sein „Übergewicht immer gehalten" zu haben. Da ist es wohl kein Wunder, dass er seinen Coach eines Morgens mit einem dringenden Anliegen behelligt: „Trainer, ich muss mal eben für drei Stunden weg: Von 8 bis 10!".
Wuttke dribbelt, Wynalda trifft
Das Mittelfeld dirigiert derweil Ex-Nationalspieler Wolfram Wuttke, ein begnadetes Schlitzohr, das sich während seiner Karriere aber zu oft selbst im Weg steht. Wuttke ist der mit Abstand beste Fußballer der reichlich ungewöhnlichen Truppe, ist bei Neururer aber trotzdem nicht immer gesetzt. Der Trainer „musste erst abwarten, wie er drauf ist. Vielleicht hat er sich eine Gehirnzerrung zugezogen." Für Wuttke endet die Saison besonders tragisch. Nach einem komplizierten Schulterbruch muss er seine Karriere beenden.
Das bittere Ende für den FCS ist lange nicht abzusehen. So tönt Neururer am 23. Spieltag nach einem Unentschieden im Derby auf dem Betzenberg in Kaiserslautern, einer Serie von sechs ungeschlagenen Spielen und einer Platzierung im gesicherten Mittelfeld voller Überzeugung und äußerst voreilig: „Jetzt haben wir mit dem Abstieg nichts mehr zu tun."
Doch es kommt anders. 16 Spiele am Stück bleiben die Blau-Schwarzen in der Rückrunde sieglos, Sonnyboy Wynalda trifft nicht mehr, und spätestens nach Wuttkes schwerer Verletzung ist das Team endgültig am Boden. Mit 964 torlosen Minuten stellt der FCS einen neuen Rekord auf. Nie zuvor gelang es einem Team der Bundesliga, eine solche Ewigkeit nicht zu treffen.
Während Werder Bremen in einem spannenden Finish den FC Bayern noch abfängt und sich den Meistertitel sichert, steigt der FCS als Tabellenletzter gemeinsam mit Bayer Uerdingen und dem VfL Bochum ab. Kein schönes Ende für Peter Neururer, der Saarbrücken nach dem Abstieg den Rücken kehrt. Aber immerhin kann ihn seitdem nicht mehr viel erschüttern, denn schon während der denkwürdigen Saison ist er sich sicher: „Wenn neben mir eine Bombe einschlägt, zucke ich nicht einmal zusammen. Immerhin bin ich schon eineinhalb Jahre beim 1. FC Saarbrücken." Prost!