Aufs Maul geschaut: Was denken eigentlich die ganz normalen Leute über die anstehenden Wahlen? Die, die sich auf ein Feierabendbierchen im nächsten Späti treffen, dem Berliner Pendant zu Büdchen oder Kiosk? Ein kleine Reise durch die Stadt.
Ditt kannste dir mal so richtig in die Haare schmieren!“ Ein breites Grinsen, eine verächtliche Geste – ein Späti irgendwo in Berlin-Kreuzberg, Mittwochabend, so gegen halb acht. Hier sind tatsächlich eher die versammelt, die nicht so hochgestochen daherkommen, die vielleicht auch pfeifen auf all das schlaue Gerede, das sonst so zu hören ist. Die aber selbst eher selten öffentlich zu Wort kommen. Die eher ein einfaches Schultheiß oder Kindl trinken als einen edlen Barolo. Die findet man in Berlin sehr oft im liebevoll sogenannten Späti, dem Spätkauf an der Ecke.
Rund 1.000 dieser Mini-Läden gibt es in der Stadt, und sie sind vor allem eines: Treffpunkt der Nachbarschaft. Quasi eine Mischung aus Tante Emma mit langen Öffnungszeiten und improvisierter Eckkneipe. Also auf zum Blick in die Kristallkugel, unten auf dem Bürgersteig, gleich nebenan.
Peter – wie nennen ihn einfach mal so – steht an der Kasse seines kleinen Ladens irgendwo in Kreuzberg. Er ist der Mann, der eingangs den Spruch mit den Haaren gemacht hat. Schon den ganzen Tag lang hat er Zigaretten, Süßkram, Knacker mit Schrippe, Kaffee in Plastikbechern und Bier über den Tresen gereicht. Ende noch lang nicht in Sicht. Seinen Namen möchte der Spätkauf-Betreiber nicht in der Zeitung lesen, auch nicht den seines Ladens. Warum eigentlich nicht? „Na weeßte, wenn´s um Politik geht und so …“ Peter denkt nach. Er wolle da irgendwie neutral bleiben, auch wenn er seine Meinung natürlich habe. Eigentlich war ja die Frage, ob es okay sei, seine Kunden mal zum Thema Bundestagswahl zu fragen. Antwort siehe oben – eben die mit den Haaren.
Doch zu spät, im Späti lässt sich eben keiner das Maul verbieten: Hinter uns mischt sich ein in Würde ergrauter, aber noch immer drahtiger Mann ins Gespräch ein. „Ach lass ma, der Peter, der hat immer Angst, dass da irgendwas nicht korrekt ist.“ Er habe zur Bundestagswahl schon so seine Meinung – aber hallo! Er hält den Lottoschein hoch, den er gerade ausgefüllt hat: „Ist wie Lottospielen!“ Steckt man einfach nicht drin, meint er, er selbst jedenfalls nicht. Besonders diesmal ist das die reinste Lotterie. Jetzt auch noch mit der schrecklichen AfD.
Jörn kommt dazu, zwei Bier in der Hand, die er sich aus dem verglasten Kühlschrank geangelt hat. Seine Lieblingsmarke, klar. Jörn ist sein richtiger Name, denn Jörn hat nichts dagegen, dass seine Meinung über die Parteien auch gedruckt wird. Und bei der AfD sind sich doch alle schnell einig hier – obwohl, wenn es nach Peter gegangen wäre, in seinem Laden nicht über Politik gesprochen wird.
Jörn hat immer Ströbele gewählt
Jörn ist Mitte dreißig und lebt seit zehn Jahren in Kreuzberg, gleich um die Ecke. Er hat bislang immer Hans-Christian Ströbele gewählt, den finden hier eigentlich alle gut. Der war der Politiker mit den links-alternativsten Ansichten, die die Grünen noch im Angebot hatten. „Der war wichtig für die Seele der Grünen“, und durchgesetzt hätte er auch so einiges. Jörn wirkt fast etwas melancholisch, denn der 78-jährige Ströbele hat diesmal freiwillig verzichtet und tritt nicht wieder an. Seine Nachfolgerin Canan Bayram habe nicht das gleiche Standing, vielleicht noch nicht, weder im Stadtteil noch in der Partei. Jörn ist am Grübeln: Lohnt es sich tatsächlich, die 51-jährige Deutsche mit türkische Wurzeln zu wählen?
Zwei Jungspunde mit Skateboard unter den Arm geklemmt und Kopfhörern über den Ohren huschen herein. Cool, man! Tabak, dazu Blättchen, Filter. „Und? Dürfta ooch schon wählen?“, posaunt der Grauhaarige heraus. Die Lacher der drei anwesenden Älteren hat er ganz klar im Sack, gute Performance. „AfD, wa?“, schiebt er noch hinterher, als die beiden Skaterboys nicht recht einsteigen wollen auf seinen Interviewstil. Na, das wohl ganz bestimmt nicht, murmelt einer von beiden. Der andere guckt verdutzt, dann sind sie wieder weg.
„Na, fragen will wohl auch gelernt sein“, kichert der Grauhaarige in sich hinein. Na, aber wenn es denn passieren würde, wenn ein Politiker direkt hier vor ihm im Späti stünde – welche Fragen an ihn hätte er denn dann? „Was er mit dem vielen Geld macht, das die verdienen sollen“, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen, „sollen ja so einiges verdienen.“ Das wäre aber auch wichtig, wirft Jörn ein, um die Unabhängigkeit der Abgeordneten zu wahren.
Und warum seien sie es dann nicht, statt hier im Späti abzuhängen – wieso sind sie keine Abgeordneten? „Ich jedenfalls mache da schon länger nicht mehr mit“, sprudelt es etwas hastig aus Peter. Jörn und der Grauhaarige schauen sich an. Stille für einen Moment – jetzt ist es also raus: Peter ist Nichtwähler, einer dieser ominösen! Deswegen auch seine Zurückhaltung? Jörn will scheinbar entrüstet etwas auf das Nicht-mehr-Mitmachen entgegnen, man sieht es richtig in ihm arbeiten – doch er fängt sich noch rechtzeitig wieder. „Peter, da gibt es dieses Mal auch für dich was im Angebot“, versucht er dem Outing seines Spätkauf-Besitzers eine gute Seite abzugewinnen. „Die Partei – Slogan: ‚Wer nicht wählt, wählt die Partei‘.“ Jörn findet das lustig, doch Peter scheint seine Offenheit schon zu bereuen – er lacht nicht mit. Jörn verrät noch, dass die Satire-Truppe „Die Partei“ für ihn diesmal vielleicht tatsächlich eine Alternative darstellen könnte. In der Bezirksverordneten-Versammlung von Friedrichshain-Kreuzberg mischen die Jungs um den Parteivorsitzenden und ehemaligen „Titanic“-Redakteur Martin Sonneborn die etablierten Parteien jedenfalls ordentlich auf. „Satire kann es momentan eigentlich nicht genug geben – Hetze schon.“
Wahlkampf in der Kastanienallee
Szenenwechsel: Raus aus dem quirligem Nachbarschaftskiez mit der berühmten Kreuzberger Mischung samt Anschlussgarantie, einmal über die Spree und noch ein ganzes Stück weiter – wir sind im Prenzlauer Berg. Alles ein bisschen gesetzter hier, mehr Laufkundschaft auf der breiten Danziger Straße, mehr Touristen. Hier wird auch weniger diskutiert. Auf dem Prenzlauer Berg ist ein Spätkauf weniger Treffpunkt, sondern eher ein praktischer Ort – rein, Bierchen, Schokolade und wieder raus. „Mit wem soll ich hier über Politik sprechen?“ fragt Stipe. Mit den Touristen oder den Horden von Teenies, die sich seit einiger Zeit breitmachten? Die Eltern seien sowieso noch bei der Arbeit um diese Zeit – auch wenn es schon gegen halb acht ist. Viel zu holen in Sachen Kristallkugelgucken, sei bei ihm eh nicht, meint Stipe: „Wählen sowieso alle grün hier.“
Stipe hat einen der zehn Spätis, die sich allein auf dem knappen Kilometer zwischen Eberswalder Straße und Prenzlauer Allee aufreihen. „Vielleicht wählen die Leute hier aber auch mehr Merkel“, überlegt Stipe. Der 43-Jährige hat schon beobachtet, wie der Wohlstand hier in den letzten Jahren gestiegen ist – vor allem rundherum in den schicken Seitenstraßen. Nur die fette Danziger Straße mit ihren vielen Autos und der vorbeiquietschenden Straßenbahn bleibt wild wie eh und je, schiebt Stipe lachend hinterher. „Hier müssten sie auch mal gentrifizieren, oder wie das heißt.“ Einer der Kunden im Laden mischt sich doch noch ein: Harald hat mitgehört, während er die „Berliner Zeitung“ und den „Tagesspiegel“ zusammensucht. „Gibt sowieso Schwarz-Grün am Ende“, ist seine Einschätzung. Stipe guckt verdutzt. „Wie“, entfährt es ihm, „die Grünen und die Merkel zusammen?!“ Das wäre ja Prenzlauer Berg in ganz Deutschland!
Schwerwiegende Erkenntnisse: Ganz Prenzlauer Berg Schwarz-Grün? Das muss gegengecheckt werden – ab in die Kastanienallee, wo es immer hipper wird. Von wegen keine Gentrifizierung, die hat hier voll zugeschlagen. Bis auf ein paar Reste der ehemaligen Bewohnerschaft vor Ort: Vor dem Späti schräg gegenüber dem besetzten Haus in der Kastanienallee 86 kommt sogar noch mal ein bisschen Wahlkampfstimmung auf.
„Wenn du gegen Krieg bist, musst du ‚Linke‘ wählen!“, sagt Volker. Er hat offenbar einige Parolen gut verinnerlicht. Das kommt nicht so gut an hier – Volker bekommt das postwendend zu spüren. Auf der schmalen Bank vor dem Schaufenster hat es sich eine kleine Gruppe mit ein paar Bierchen gemütlich gemacht. „Wenn du hier aufgewachsen bist vor dem Mauerfall, kannste die aber nicht wählen!“, stößt ihm Kerstin Bescheid. Und zwar wegen der ganzen „Alt-Kader“, wie sie es nennt. Klarer Fall von Aufeinanderprall der Welten: Kerstin ist hier aufgewachsen, Volker zugezogen aus Westdeutschland. Aber ginge denn vielleicht eine rot-rot-grüne Koalition für ganz Deutschland? In Berlin ist diese Kombination ja schon Realität. „Und, was bringt’s?“, fragt Kerstin stracks in die Runde. „Vielleicht mehr Fahrradwege, wenn wir Glück haben“, mehr fällt Volker gerade auch nicht ein. Schallendes Gelächter rundum: „Mehr Fahrradwege für die Republik!“ Schon wird losgesponnen: Ob sich mit diesem Slogan Bundestagswahlen gewinnen lassen? „Dann vielleicht doch gleich ‚Die Partei‘“, wirft einer aus der Gruppe ein. Hoppla, da trifft sich offenbar altes Ostberlin mit Kreuzberger Kiez … Wird wohl kein Zufall sein, dass die satirische „Partei“ auch auf dem Prenzlauer Berg aktiv ist. „Matriarchat für Pankow“ steht auf den Plakaten der hiesigen Kandidatin Maria von Bolla.
Das sei doch auf jeden Fall mal eine klare Position, daran mangele es sowieso bisher in diesem Wahlkampf, kommt es aus der Gruppe. Nach dem Lachanfall vorhin herrscht jetzt übereinstimmendes Nicken – auf diesen Standpunkt können sich am Ende dann doch noch alle einigen. Der ganze Prenzlauer Berg schwarz-grün? Von wegen.