Eine Kindheit am Rand der Gesellschaft, eine junge Frau auf der Suche nach ihrer Identität: Die US-Filmbiografie „Schloss aus Glas“ startet am 21. September in den Kinos.
Die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen, irgendwo im Niemandsland: Ist das Freiheit? Wenn ein Kind sich selbst sein Essen kochen muss und sich dabei den Körper verbrüht, ist das Vernachlässigung? „Schloss aus Glas“ erzählt die Geschichte der amerikanischen Journalistin Jeannette Walls, die gemeinsam mit ihren drei Geschwistern in einer Aussteiger-Familie aufgewachsen ist. Und sich auch als Erwachsene lange nicht darüber im Klaren war, wie sie zu ihren Eltern stehen sollte.
Jeannette Walls (Brie Larson) führt das Leben einer wohlhabenden, selbstverliebten Oberschichtlerin. Sie arbeitet als Kolumnistin für eine Zeitung in New York. Ihr Freund ist Rechtsanwalt; gern nimmt er sie zu Geschäftsessen mit wichtigen Kunden mit. Auf dem Rückweg von solch einem Essen fährt sie mit dem Taxi nach Hause. In einer Seitenstraße sieht sie Menschen, die im Müll herumwühlen: ihre Eltern. Und obwohl die sie erkennen, steigt sie nicht aus, sondern lässt sich weiter nach Hause in ihre schicke Wohnung fahren. Es ist einer der Tiefpunkte in der Beziehung, die sie zu ihren Eltern hat. Eltern, die nie so waren wie andere Eltern.
Eltern, die anders sind als die meisten
In Rückblicken zeigt der unter Regie von Destin Daniel Cretton entstandene Film, der auf Walls autobiografischem Buch basiert, wie die junge Frau zu dieser Haltung gegenüber ihren Eltern gekommen ist. In schönen Bildern zeigt der Film ein Leben, das man eigentlich keinem Menschen wünschen kann. Es sind die ländlichen Regionen im Südwesten der USA, in denen sich die Familie bewegt, oder auch die vom Bergbau geprägten, etwas hinterwäldlerischen Gebirgsregionen. Vor der schönen Landschaft spielt sich objektiv gesehen eine Tragödie ab. Vater Rex (Woody Harrelson) arbeitet mal hier und mal da, doch nirgendwo länger, Geld hat die Familie nie genug. Und doch haben sich die Eltern auf ihre Art und Weise für genau dieses Leben entschieden. Die Kinder sind gezwungen, es mitzuleben.
Natürlich hat das Leben auf der Straße und in abbruchreifen Häusern auch seine schönen, abenteuerlichen Seiten. Und es ist auch Platz für Träume, die aber immer wieder durch die Realität zerstört werden. Immer wieder sieht man das Scheitern der Eltern, wie wenig sie in der Lage sind, ihr Idealbild wirklich zu leben. Wenn etwa Rex seiner Tochter (im Alter von fünf bis sechs Jahren dargestellt von Chandler Head, mit zehn Jahren von Ella Anderson) immer wieder verspricht, für die Familie das dem Buch und dem Film seinen Titel gebende Schloss aus Glas zu bauen. Obwohl für einen Außenstehenden von Anfang an klar ist, dass es dieses Schloss nie geben wird, glaubt Tochter Jeanette über Jahre hinweg daran, während ihr Vater fortwährend mit seiner Alkoholabhängigkeit kämpft. Währenddessen widmet sich Mutter Rose (Naomi Watts) lieber der Malerei, als sich um Essen für die Kinder zu kümmern.
Buchvorlage war sechs Monate ein Bestseller
Als das Buch „Schloss aus Glas“ im Jahr 2006 herauskam, war es ein riesiger Erfolg. Es wurde in 31 Sprachen übersetzt; in Deutschland verkaufte es sich über 500.000 mal. Auf der Spiegel-Bestsellerliste stand es ein halbes Jahr lang. Für Jeannette Walls muss das Buch eine Befreiung gewesen sein – eine Befreiung aus einem Leben, das nicht wirklich ihres war. Und ein Bekenntnis zu ihren gleichsam verhassten und geliebten Eltern.