Wie auch immer die Berliner dazu stehen: Die Auseinandersetzung darüber, ob der Flughafen Tegel auch nach einer Eröffnung des BER weiter betrieben wird, ist nach dem Volksentscheid noch lange nicht vom Tisch.
Am 24. September stimmen die Berliner nicht nur wie alle Bundesbürger über die Zusammensetzung des neuen Bundestags ab. Sie dürfen per Volksentscheid zudem auch ihre Meinung über die Zukunft des bisherigen Flughafens Tegel im Norden der Stadt kundtun, der, so ist es geplant, mit der allerdings immer weiter verzögerten Inbetriebnahme des neuen BER geschlossen werden soll. Sicher an dem Volksentscheid ist nur: Wie immer er ausgeht, der Streit um die Berliner Flughäfen und damit ein wichtiges Stück städtische Infrastruktur wird weiter gehen. Denn trotz der Aufforderung per Werbeplakat, beim Volksentscheid mit „Ja“ für den Erhalt von Tegel zu stimmen, geht es ja nicht darum, ob weiterhin Flugzeuge dort starten und landen. Sondern das „Ja“-Kreuzchen fordert auf, Maßnahmen für den Erhalt Tegels zu ergreifen – sprich: noch mal an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Ausgang ungewiss.
Hauptargument für die Offenhaltung ist die Meinung, Berlin könne mehrere Flughäfen vertragen. Auch die Nähe zur (westlichen) Innenstadt und die Befürchtung, der BER werde bereits bei der Inbetriebnahme zu klein sein, spielen eine Rolle. Für die Gegner des innerstädtischen Flughafens sind Lärm und Umweltbelastung die Hauptargumente, danach folgt das Sicherheitsrisiko für die Anwohner.
Sebastian Czaja, Vorsitzender der FDP im Abgeordnetenhaus und Initiator des Volksbegehrens zum Flughafen Tegel, bekräftigte noch einmal seine Position. „Jedes erfolgreiche Volksbegehren ist eine klare Handlungsanweisung an den Senat. Trotz aller Beteuerungen von Rot-Rot-Grün bin ich mehr als skeptisch, dass die Koalition die Prozesse zur Offenhaltung von TXL auch positiv begleitet. Umso wichtiger ist ein starkes Ergebnis, um den Handlungsdruck zu erhöhen. Wenn Rot-Rot-Grün die Entscheidung der Bürger nicht ernstnimmt, hat diese Koalition das Vertrauen der Berliner endgültig verspielt.“
Die Berliner Regierungskoalition lehnt den Weiterbetrieb kategorisch ab. Sie macht immer wieder klar, dass der Volksentscheid keinen bindenden Charakter hat. Die Tatsache, dass mit einem Abschluss der Bauarbeiten am neuen Flughafen BER laut Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup nicht vor Herbst 2018 und mit einer Eröffnung nicht vor Herbst 2019 zu rechnen ist, ficht sie dabei nicht an. Auch nicht, dass im Umfeld des Flughafen-Aufsichtsrats sogar von 2020 die Rede ist. Die Kernaussage steht: Die Schließung Tegels sei seit langem beschlossen. Der Senat stehe für Verlässlichkeit, diejenigen Menschen vom Fluglärm und den Gefahren zu befreien, die darauf seit vielen Jahren warten. Der Weiterbetrieb sei außerdem mit hohen Kosten verbunden: Laut vom Senat beauftragtem Gutachten würde die notwendige Sanierung von Tegel mit mehr als einer Milliarde Euro zu Buche schlagen. Dafür könnten 50 Schulen oder 8.400 Wohnungen gebaut werden.
Statt den maroden Airport weiter zu betreiben, will das Land auf dem Gelände insgesamt 9.000 neue Wohnungen bauen. 800 Unternehmen mit bis zu 20.000 Arbeitsplätzen könnten dort in der sogenannten „Urban Tech Republic“ Platz finden. Gleichzeitig würden so 300.000 Berliner vom Fluglärm befreit –
sie alle leben in einem Streifen quer über dem Norden der Stadt. Eigentlich sollten schon seit 2012, dem ursprünglich geplanten Eröffnungsdatum für den BER, keine Flugzeuge mehr über ihren Häusern auf- oder absteigen.
Aber selbst wenn der Berliner Senat sich für die Offenhaltung Tegels entscheiden würde, würde das nicht ausreichen, den Schließungsbeschluss der Flughafen-Gesellschafter Berlin, Brandenburg und Bund zu kippen: Berlin hält lediglich 37 Prozent der gemeinsamen Gesellschaft. Somit müsste ein weiterer Partner gegen die bisherige Abmachung stimmen, um überhaupt etwas zu bewegen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kann sich inzwischen zwar ebenfalls eine Hauptstadt mit zwei Flughäfen vorstellen. Maßgeblich ist dies jedoch nicht, denn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stützt den geltenden Status quo – und damit den grundsätzlichen Beschluss, Tegel zu schließen.
Die Berliner CDU tickt eher nach bayrischem Vorbild: Ihre Vorsitzende Monika Grütters bekannte sich zur uneingeschränkten Unterstützung der Landes-Parteiführung für die selbst ernannten „Tegelretter“. Nach Grütters Auffassung hat die Kanzlerin lediglich die geltende Rechtslage beschrieben. Dennoch äußerte sie auch Verständnis für diejenigen, die sich im Vertrauen auf die Schließung des Flughafens Häuser in dessen Umfeld gekauft haben: Für die Betroffenen müssten geeignete Lärmschutzmaßnahmen getroffen werden. Ob das den christdemokratischen Parteifreunden und Wählern in der Tegeler Einflugschneise im Norden der Stadt reichen wird?
Wichtigstes Argument der Berliner Konservativen: Der BER ist zu klein. Sie werfen dem Berliner Senat vor, bislang kein ernstzunehmendes Konzept für steigende Fluggastzahlen vorgelegt zu haben. Daran ändere auch der Masterplan zum weiteren BER-Ausbau nichts, der für Grütters eher wie kurz vor dem Volksentscheid aus dem Hut gezaubert wirkt. Immerhin erkenne der Senat jetzt die Kapazitätslücke an.
CDU sieht unlautere Wählerbeeinflussung
Monika Grütters machte klar, dass bei einem erfolgreichen Volksentscheid die drei Gesellschafter Berlin, Brandenburg und Bund die Rechtslage neu erörtern und gegebenenfalls anhand einer vernünftigen Luftverkehrsplanung anpassen müssten.
Streit ist vorprogrammiert, schon vor der Abstimmung ging es los: Die CDU wirft dem Senat „unlautere Wahlwerbung“ vor, weil der kurz vor Termin seine Argumente für ein „Nein“-Kreuzchen per Brief an alle Haushalte zusammengefasst hatte. Die „Tegelretter“ müssen sich hingegen wegen Großplakaten mit dickem Ryanair-Logo unter der Aufforderung für die „Ja“-Stimme verteidigen.
Unterdessen hat Berlins FDP-Chef Czaja zum Gegenangriff geblasen. Ab 2019 und damit unabhängig von der BER-Eröffnung und dem Ausgang des Volksentscheids hätten die Tegel-Anwohner ohnehin Anspruch auf Lärmschutz, sagte er der „Berliner Zeitung“ in einem Interview. Der Berliner Senat bestätigt das, nennt aber 2020 als Zeitpunkt. Rot-Rot-Grün betont die Nöte der Anwohner. Bleibe Tegel nun auf Dauer geöffnet, so Berlins Umweltsenatorin Regine Günther gegenüber der Berliner Zeitung, dann wäre das eine „grobe Täuschung“ die politisch nicht hinnehmbar sei. Und der Bund fordert dazu auf, die Folgen ungehemmten Flugverkehrwachstums zu bedenken, das die Klimaziele Berlins ad absurdum führe.
Es scheint, als beginne die Debatte über Tegel mit dem Volksentscheid erst richtig.