Tapeten haftet in Deutschland oft ein angestaubtes Image an. Welter Wandunikate, 1985 in Berlin gegründet, tritt den Gegenbeweis an. Die Tapeten aus Berlin-Schöneberg versprühen mehr als nur einen Hauch von Exklusivität, Luxus und Weltläufigkeit.
Ulrich Welter ist auf dem Sprung. Die nächste Messe in Paris wartet. Doch er nimmt sich die Zeit, uns vorher noch seine Werkstatt zu zeigen. „Manufaktur“ nennt er sie, „Manufaktur für Wandunikate“. Mit ihr ist er Mitglied in einem exklusiven Club, der Initiative Deutsche Manufakturen – handmade in Germany.
Es klingt erst einmal unspektakulär: Mit 15 Mitarbeitern stellt Welter in einem Gewerbegebäude, zweiter Innenhof links, seit 1995 Tapeten und Wandpaneele her. Aber es sind keine gewöhnlichen Tapeten. Sie hängen im Hotel Adlon in Berlin und im Pekinger Fairmont Hotel, in der japanischen Chanel-Niederlassung und in den Galéries Lafayette in Jakarta. Welter hat es mit seiner Manufaktur zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Im Treppenaufgang zu seiner Werkstatt steht eine große Palette mit dem Bestimmungsort Jordanien. Daneben liegen einige längere Pakete für ein Kaufhaus in Wien.
Den Begriff „Tapete“ mag er nicht. Wandunikate, so erklärt Ulrich Welter sein Geschäft, sind handgefertigte Verkleidungen für Wände oder Möbel, die nur wenig mit der gängigen Vorstellung von Tapeten gemeinsam haben. „Als wir anfingen, in den 1990er-Jahren, waren Tapeten sowas von out – da verkaufte sich nicht mal Raufaser. Die Wände wurden gespachtelt oder einfach glatt gestrichen, das war’s“, erzählt er.
Welter arbeitete damals als Filmausstatter, dekorierte historische Wohnungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, und ärgerte sich, dass nach jedem Dreh sein Filmset wieder kaputtgemacht wurde. „Wände haben mich schon immer fasziniert“, erklärt er. Durch Zufall fand er einen Kaufhausbesitzer, der ihm zutraute, seine Geschäftsräume zu gestalten. Er probierte es aus, machte einiges falsch, probierte noch einmal – und es gefiel dem Kunden.
„Ich bin Autodidakt“, bekennt er freimütig, „ich brauche immer zwei Anläufe, bis es perfekt ist und mir gefällt.“ Er wurde weitergereicht, Architekten wandten sich an ihn, er bekam die ersten Aufträge. Irgendwann sei er auf die Idee gekommen, statt vor Ort die Wände zu bearbeiten, die „Wände mit nach Hause zu nehmen“, wie er sagt. Sprich: Tapeten zu entwerfen. Aber aus Papierbahnen wurden schnell Wandbespannungen, handgefertigte Unikate, die er den Wünschen der Kunden entsprechend bearbeiten konnte. Designer wurden aufmerksam und bald schon hingen seine Unikate in den Verkaufsräumen von Boutiquen oder Juwelieren.
Das Geschäft läuft. Heute treffen Bestellungen aus Saudi-Arabien und Usbekistan ein, aus Singapur und Japan. Für die Oscar-Verleihung, den Golden Globe und die Emmy Awards hat Welter die Bespannungen für den Bühnenhintergrund geliefert. Das Geschäft mit den Wandpaneelen kam später hinzu, hat sich aber heute stark erweitert. Im Jahr des Wasserdrachens stellte seine Manufaktur ein Wandbild in Intarsientechnik aus 2.000 Einzelteilen für einen Pekinger Geschäftsmann her. Betreiber von Kreuzfahrtschiffen lassen ihre VIP-Bereiche bei ihm ausstatten. Auch aus Deutschland und den europäischen Nachbarländern treffen viele Bestellungen ein – es sei zu spüren, dass die Konjunktur gut läuft, meint Welter. Die Firma hat einen Musterkatalog, fertigt aber nach wie vor auch nach individuellen Wünschen.
Pflanzenornamente, die Träume wecken
Was stellt sie aber nun genau her? Eine breite Bahn liegt auf acht Meter Länge auf einem überdimensionalen Tapeziertisch. Zwei Frauen bearbeiten die Bahn mit Farbrolle und Handbesen – sie tragen eine Grundierung auf. Jede Bahn muss einzeln trocknen, dann kommt die nächste Schicht Farbe auf die Fläche. Die Farben mischen sie selbst, das ist eines der Betriebsgeheimnisse. So entstehen marmorierte Beschichtungen, schillernde Oberflächen, feine, durchsichtige Strukturen.
Aber es geht noch weiter mit der Handwerkskunst: Es gibt Tapeten, die mit versilberten Glasperlen oder Mineralien beschichtet sind, mit Blattmetallen, die wie Gold und Silber aussehen, aber unecht oder einfach nur aus Aluminium sind. „Natürlich arbeiten wir auch mit echtem Gold, das kommt aber eher selten vor“, meint Welter. Das Blattmetall wird von Hand aufgelegt, zum Beispiel auf Pflanzenornamente, die historischen Wandbespannungen aus dem 18. Jahrhundert gleichen und Träume von alten Schlössern und Herrensitzen wachrufen.
„Das entspricht der französischen und englischen Tradition der Tapetenherstellung“, erklärt Ulrich Welter. „In diesen Ländern sitzen auch unsere Konkurrenten auf dem Weltmarkt.“ In Deutschland sei die Kunst, wertvolle Tapeten herzustellen, leider schon vor 150 Jahren verloren gegangen. Von den traditionellen Herstellungsmethoden konnte sich seine Manufaktur so einiges abgucken. Etwa, was den besonderen Kleister betrifft, mit dem die Tapeten an die Wände geklebt werden müssen, oder die Zusammensetzung der Beschichtung, auf die die Ornamente oder Materialien aufgetragen werden.
Einen Stock höher brummt eine Maschine vor sich hin. Sie zerschneidet eine beschichtete Tafel, in der viele künstliche Risse klaffen. Hier entstehen Paneele: ein bis eineinhalb Zentimeter dünne Platten unterschiedlicher Größe aus einem Kaolin-, Kreide- und Leim-Gemisch, die mal flexibel, mal starr sein können. Das Grundrezept ist uralt, bereits vor 400 Jahren seien Paneele ähnlich hergestellt worden, erklärt Welter. Ohne Acrylat, ohne chemische Beimischungen, also auch ohne Geruchsbelästigung.
Dreidimensional und mit Schimmer
Justyna, die an einem Tisch daran arbeitet, Blattsilber in die Fugen zu drücken, ist von Haus aus Bildhauerin. Ihr Kollege, Kevin, ist Maler. Er hat wie auf einer Leinwand die Grundstruktur aufgezeichnet. Dann wurden die Risse ins Material gebrochen. Die werden mit Edelmetall ausgeschmückt und versiegelt. Am Ende wird die ganze Tafel in kleine Teile zerschnitten, die wie ein Puzzle an die Wand kommen. Ist ein Bild oder eine Grafik vorgesehen, erhält jedes Teil eine Nummer. So entstehen lebendige, dreidimensionale Verkleidungen, die je nach Beleuchtung unterschiedlich schimmern.
Welter gibt selbst zu, dass so etwas sehr aufwendig, also auch teuer werden kann. Aber um Kunden musste er sich in den mehr als 30 Jahren, in denen seine Manufaktur mittlerweile besteht, nicht sorgen. „Sicher, 2002, die Aktienkrise, und 2008, die Finanzkrise – das haben wir schon stark gespürt“, räumt er ein. „Aber in den letzten Jahren ist die Bereitschaft, für Produkte wie unsere Geld auszugeben, gestiegen.“
Ob so viel Luxus nicht auf ihn abgefärbt hat? Ulrich Welter lacht. „Mir ging es immer um Qualität, um ein handgefertigtes, individuelles Produkt. Wer das am Ende kauft, bekomme ich oft gar nicht mit. Meine Ansprechpartner sind die Innenarchitekten, die Designer, die Scouts, die ich auf den Messen treffe.“ Zum Beispiel in den nächsten Tagen in Paris.